Ukraine bekommt Marschflugkörper mit bisher größter Reichweite
Die Ukraine bittet seit langem um Waffen mit hoher Reichweite. Großbritannien kommt dieser Bitte jetzt nach. Laut dem britischen Verteidigungsministerium habe man bereits damit begonnen, Storm Shadows in die Ukraine zu liefern.
Bei Storm Shadow handelt es sich um einen Marschflugkörper, der pro Stück über eine Million US-Dollar kostet. Dieser wird von Flugzeugen aus abgefeuert. Die Export-Version, die die Ukraine bekommt, hat eine Reichweite von über 250 Kilometer. Damit ist es die Waffe mit der bisher höchsten Reichweite, die die Ukraine seit Beginn des Kriegs von einem westlichen Land geliefert bekommt.
Russische Versorgungskette als Ziel
Damit könnte die Ukraine sogar Ziele in Russland beschießen. Allerdings hat die britische Regierung die Lieferung der Storm Shadow unter der Bedingung freigegeben, dass sie nur gegen Ziele innerhalb der Landesgrenzen eingesetzt wird. Das schließt allerdings die von Russland besetzten Gebiete der Ukraine ein, wie etwa die Krim. Die Ukraine hat immer wieder Ziele auf der Krim attackiert, etwa mit schwimmenden und fliegenden Kamikaze-Drohnen.
Die Storm Shadow des Herstellers MBDA ist für den Angriff auf stationäre Ziele gebaut worden. Sie wiegt 1,3 Tonnen und hat einen Gefechtskopf mit 450 Kilogramm Gewicht. Dieser hat eine Tandem-Ladung und kann gegen befestigte Ziele eingesetzt werden, wie etwa Bunker. Die erste Ladung durchschlägt Beton und Stahl. Die zweite Ladung detoniert dann im Inneren der Struktur.
Die Ukraine hat angekündigt, mit Storm Shadow die Versorgungslinien von Russland attackieren zu wollen. Dazu gehören Munitionslager, aber auch Kontrollzentren und die Logistikkette, in besetztem ukrainischem Gebiet.
Schwer abzufangende Fire-and-Forget-Rakete
Mit knapp 1.000 km/h ist die Storm Shadow deutlich schneller unterwegs als die bisherigen Kamikaze-Drohnen der Ukraine und deshalb auch schwieriger abzufangen. Sie hat ein niedriges Radarprofil und fliegt in nur 30 bis 40 Metern Höhe auf das Ziel zu – auch das soll ihr helfen, nicht von der Luftabwehr erfasst und abgeschossen zu werden.
Die Rakete wird vor dem Start des Flugzeugs programmiert. Das macht sie zu einer sogenannten Fire-and-Forget-Waffe. Der Pilot des Jets drückt nur auf den Knopf zum Abfeuern der Storm Shadow – die Rakete erledigt den Rest. Per GPS und dem Abgleich des Terrains steuert sie auf den Zielpunkt zu. Kurz vor dem Ziel steigt sie auf, um sich dann von oben herabzustürzen. Das erhöht die Durchschlagskraft und verbessert die Genauigkeit.
Eine Infrarot-Kamera gleicht im finalen Sturzflug noch mal die Umgebung mit den gespeicherten Terrainkarten ab, um das Ziel genau zu treffen. Die Storm Shadow kann so programmiert werden, dass sie, falls das Ziel nicht genau erkannt wird, zu einem vordefinierten Absturzpunkt fliegt und dort crasht. Das soll Kollateralschäden verhindern.
Einsatz mit Su-27 und Su-24
Eigentlich hatte die britische Regierung schon im Februar angekündigt, Storm Shadows an die Ukraine zu liefern. Der Grund für die Verzögerung sei, dass man erst testen musste, ob die Rakete sicher von den Jets der Ukraine abgefeuert werden kann. Die Storm Shadow wurde nämlich für europäische Flugzeuge, wie die Tornado, Mirage 2000 und den Eurofighter gemacht. Die Ukraine hat aber Flugzeuge russischer Bauart in ihrer Luftwaffe.
Mit welchen Maschinen genau die Ukraine die Storm Shadow abfeuern wird, ist noch nicht bekannt. Aufgrund des hohen Gewichts von 1,3 Tonnen entfallen die MiG-29 und Su-25 für diesen Job, berichtet The Drive. Daher werden vermutlich die größeren Jets Su-27 Flanker und die ältere Su-24 Fencer mit der Cruise Missile ausgestattet werden. Theoretisch wäre es möglich, die Storm Shadow so umzurüsten, dass sie vom Boden aus abgefeuert werden kann. Dies scheint derzeit aber nicht geplant zu sein.
Bedrohung für russische Infrastruktur
Die Storm Shadow stellt Russland vor neue Herausforderungen. So müsste Russland leistungsstarke Flugabwehrgeschütze in der Nähe von Zielen positionieren, die vorher außer Reichweite der Ukraine waren. Das heißt aber, dass diese Flugabwehr von anderen Stellen abgezogen werden muss – was wiederum den russischen Luftabwehrschirm löchrig macht. Das könnte die Ukraine für eine großangelegte Gegenoffensive nutzen.
Zu diesen Zielen gehören wohl die russische Schwarzmeerflotte im Hafen von Sewastopol in der Krim und die Krim-Brücke. Diese verbindet das russische Festland mit der Krim und stellt dadurch eine strategisch wichtige Verbindung für russische Truppentransporte in die Ukraine dar. Im Oktober 2022 wurde die Brücke teilweise zerstört. Erst seit dem Frühjahr 2023 ist sie wieder vollständig befahrbar.
Storm Shadow als Probelauf für weitere Langstreckenwaffen
Sollte die Ukraine die Storm Shadow effektiv einsetzen, könnte das andere westliche Staaten überzeugen, ähnliche Waffensysteme zu liefern. Die Ukraine erbitten etwa von den USA seit geraumer Zeit Cruise Missiles des Typs ATACMS, die vom HiMARS aus gestartet werden können. Diese hat eine Reichweite von 300 Kilometern. Bisher hat die USA die Lieferung ausgeschlossen, wegen der Befürchtung, die Ukraine könnte damit Ziele in Russland beschießen.
Sollten aufgrund der Erfahrungen mit der Storm Shadow die USA einlenken und ATACMS liefern, könnte das Russland in große Schwierigkeiten bringen. Weil diese vom Boden aus gestartet werden und noch mehr Reichweite als die Storm Shadow haben, würde der aktuelle Luftabwehrschirm nur wenig effektiv dagegen sein. Russland müsste noch mehr moderne Luftabwehr zu strategisch wichtigen Zielen verlegen – oder diese Ziele aus den besetzen Gebieten zurück ins eigene Land versetzen, was wiederum die Logistikkette verlängert und den Nachschub für die Truppen an der Front verlangsamt.