Wir können doch nicht alleine die Welt retten!
Es ist schön, sich stark und mächtig zu fühlen. Außer man soll ein Problem lösen, dann ist es praktisch, sich für schwach und irrelevant zu erklären: „Ich würde ja gerne, aber leider kann ich da überhaupt nichts bewirken! Tut mir ehrlich leid!“
Diese Strategie ist in Klimadiskussionen erstaunlich häufig: „Wir verursachen doch nur einen winzig kleinen Anteil der weltweiten CO2-Emissionen – wenn wir uns einschränken macht das doch überhaupt keinen Unterschied! Schaut doch mal nach China! Wir können das Klima doch nicht alleine retten!“
Das ist wahr – und gleichzeitig ist es vollkommener Unfug. Klar: Österreich oder Deutschland können die Welt nicht retten. Nicht einmal die EU kann das. Aber das hat auch niemand verlangt. Niemand hat das je vorgeschlagen, gefordert oder auch nur für möglich gehalten.
Jeder ist „beinahe egal“
Das Argument „wir können doch nicht alleine das Klima retten“ ist so jenseitig falsch als würde ein Fußballspieler im WM-Finale gegen Brasilien sagen: „Ich kann doch nicht alleine die brasilianische Nationalmannschaft schlagen!“ Nein, natürlich nicht, wie kommst du auf diese Idee? Du gehst mit 10 Mitspielern aufs Feld, niemand hat je etwas anderes behauptet.
Dass Klimapolitik nur in weltweiter Zusammenarbeit gelingen kann, ist eine banale Aussage. Jedes Land der Welt ist klein im Vergleich mit dem Rest der Welt. Jedes einzelne Land ist isoliert betrachtet für die CO2-Konzentration der Atmosphäre beinahe egal. Doch auch jede einzelne chinesische Provinz ist beinahe egal.
Dasselbe gilt auch für Menschen mit Schuhgröße 37 oder 47. Oder für Menschen mit mehr als 3 Vokalen im Vornamen. Oder für Leute, deren Geburtstag aus 2 Primzahlen besteht. Lauter Gruppen, die isoliert betrachtet für die Klimakatastrophe keine Rolle spielen. Müssen wir die nun alle von Klimaschutzmaßnahmen befreien? Ist doch egal, was Leute mit extrem großen Schuhen machen! Das sind so wenige, es lohnt sich überhaupt nicht, denen irgendetwas vorzuschreiben!
Auch anderswo strengt man sich an
Hinter dieser Denkweise steckt die völlig irrige Annahme, nur bei uns nehme man Klimaschutz ernst. Das ist falsch. Die Staaten mit der höchsten installierten Leistung erneuerbarer Energie sind China, die USA, Brasilien und Indien. Auf der ganzen Welt gibt es glänzende Beispiele für sinnvollen Klimaschutz: In Marokko werden gewaltige Sonnenwärmekraftwerke gebaut. In Bangladesch werden Millionen Haushalte mit Photovoltaik ausgestattet. Kenia baut Geothermie drastisch aus.
China ist sicher kein Umwelt-Musterland – dass dort immer noch Kohlekraftwerke neu gebaut werden, ist eine Katastrophe. Aber China ist auch das absolute Vorreiterland Nummer eins in der Neuinstallation erneuerbarer Energie.
Die Frage, ob „wir“ alleine die Welt retten können, stellt sich nicht. Sehr wohl aber kommt Industrieländern eine besondere Verantwortung zu: Schließlich haben wir pro Kopf deutlich mehr Treibhausgase emittiert als andere Länder. Es muss logischerweise die Aufgabe der technisch höchstentwickelten Länder sein, nachhaltige Technologien zu entwickeln, von denen dann alle profitieren. Wenn es uns gelingt, bei anhaltend hoher Lebensqualität CO2-neutral zu werden, dann hilft das doppelt: Wir hören selbst auf, das Klima zu zerstören, und wir entwickeln ein Vorzeigemodell, an dem sich andere orientieren werden.
Klimarettung als Wirtschafts-Chance
Angesichts dessen ist es unverständlich, warum Europa nicht viel stärker den Führungsanspruch bei klimarelevanter Technologie erhebt, sondern es ganz in Ordnung findet, Photovoltaik aus China importieren zu müssen.
Es gibt langfristig nur 2 Szenarien: Entweder die Klimakrise trifft uns mit voller Wucht, mit Ökosystemkollaps, Nahrungsmittelknappheit und globalen Unruhen. Dann wird es für alle ungemütlich – auch dann, wenn man vorher noch ein paar Millionen Euro mit Heizöl verdient hat. Oder wir kriegen das alles irgendwie hin. Dann wird es denen am besten gehen, die mutig und vorausschauend auf nachhaltige Lösungen gesetzt haben. Wir sollten zumindest die Chance darauf nicht wegwerfen.