Kostenwahrheit für das Klima
Die freie Marktwirtschaft ist eine seltsame Idee, die erstaunlich gut funktioniert: Viele verschiedene Leute verfolgen jeweils ihre eigenen Interessen, und am Ende kommt etwas dabei heraus, was insgesamt für alle gut ist. Wir brauchen kein Regierungsbüro, das den Preis von Zahnpasta festlegt. Niemand muss eine komplizierte Formel dafür aufstellen, wie viel Katzenfutter im nächsten Quartal produziert werden soll. Die Antwort auf solche Fragen ergibt sich gewissermaßen von selbst – durch das komplexe Zusammenwirken aller Marktteilnehmer, durch das Wechselspiel von Angebot und Nachfrage.
In vielen Bereichen ist das extrem nützlich. Mit Hilfe der Marktwirtschaft haben wir gewaltige technische Innovationen hervorgebracht und dazu beigetragen, bittere Armut zu reduzieren. Aber wie ist das mit Ausbeutung von Mensch und Natur? Wie ist das mit dem Klima?
Marktversagen
Natürlich ist Marktwirtschaft nicht perfekt – das ist keine revolutionäre Erkenntnis, sondern eine simple ökonomische Tatsache. In den Wirtschaftswissenschaften weiß man schon lange: In bestimmten Situationen kann es passieren, dass der Markt volkswirtschaftlich unerwünschte Ergebnisse hervorbringt – man spricht dann von „Marktversagen“.
Um Marktversagen handelt es sich zum Beispiel, wenn ein Monopol entsteht. Wenn der Wettbewerb verschwindet, weil es für eine Ware nur noch einen Anbieter gibt, dann funktioniert auch das Wechselspiel von Angebot und Nachfrage nicht mehr. Auch Intransparenz und unvollständige Information können zu Marktversagen führen – etwa wenn ich als Produzent als einziger weiß, dass mein Produkt versteckte Mängel hat, ich meinen gutgläubigen Kunden aber trotzdem den vollen Preis verrechne.
Mit einer ganz klassischen Form von Marktversagen haben wir es beim Klima zu tun, nämlich mit „externen Kosten“: Jede Tonne CO2 verursacht Kosten – in Form künftiger Ernteausfälle, unbewohnbar gewordener Gebiete oder Reparaturkosten für Klimaschäden. Diese Kosten tragen aber nicht jene, die für den CO2-Ausstoß verantwortlich sind, sondern andere, zum Beispiel wir alle. Sobald es solche „Externalitäten“ gibt, kann der Markt rein mathematisch zu keinem optimalen Ergebnis mehr führen.
Externe Kosten internalisieren
Die Lösung dafür wurde bereits in den 1920erjahren wissenschaftlich beschrieben: Man muss die Kosten von der Allgemeinheit auf die Verursacher zurückverschieben, zum Beispiel durch eine Steuer. Wenn das Verursachen eines Schadens teuer ist, dann hat man als Verursacher Eigeninteresse daran, den Schaden zu reduzieren – und die Idee, dass Optimierung des Eigennutzes zu einem für alle sinnvollen Ergebnis führt, kann wieder funktionieren. Der Schaden wird durch die Steuer in die Kosten-Nutzen-Rechnung des Verursachers eingebaut. Man spricht von „Internalisierung externer Kosten“.
Wie hoch eine solche Steuer sein muss, ist im Einzelfall schwer zu sagen – aber daran, dass externe Kosten prinzipiell internalisiert werden sollten, besteht kein Zweifel. Das ist keine innovationsbremsende Forderung umstürzlerischer Wirtschaftsfeinde, sondern eine simple mathematische Tatsache, die in der Ökonomie unbestritten ist.
Wirtschaftswissenschaft und Umweltschutz stimmen in diesem Punkt völlig überein. Man muss für Umweltschäden jene Leute zur Kasse bitten, die für diese Umweltschäden verantwortlich sind – nicht um die freie Marktwirtschaft zu bremsen, sondern ganz im Gegenteil: Um Marktversagen zu verhindern, um sicherzustellen, dass die Marktwirtschaft ihren Zweck voll erfüllen kann. Wer Kostenwahrheit durch CO2-Steuern fordert, stellt sich nicht gegen die Wirtschaft, gegen Innovation oder gegen „Technologieoffenheit“. Erst durch eine CO2-Steuer können die Marktmechanismen helfen, das Klima zu retten. Die Einkünfte daraus kann man auf alle aufteilen – oder auch in für die Allgemeinheit besonders nützliche Projekte stecken.
Ein Fonds für Klimaschäden, wie er bei der Klimakonferenz in Ägypten beschlossen wurde, ist keine derartige Internalisierung externer Kosten, sondern ein Weiterführen des Marktversagens. Die Kosten werden nicht von den Verursachern übernommen, sondern von Staaten, also wieder von der Allgemeinheit. Das ist etwas völlig anderes als eine CO2-Steuer.
Natürlich sind Steuern immer unpopulär. Unser erster Gedanke ist: „Man nimmt mir schon wieder etwas weg!“ Das ist aber ein Denkfehler. Denn wir alle zahlen heute für Klimaschäden – egal ob wir wollen oder nicht, egal ob wir sie verursachen oder nicht. Es ist die Abwesenheit von Kostenwahrheit bei klimaschädlichem Verhalten, die uns etwas wegnimmt: Jeder von uns zahlt jeden Tag indirekt Geld an jene, die dem Klima den größten Schaden zufügen. Und das sind Ausgaben, die wir uns langsam nicht mehr leisten können.