Corona-Demonstration in Graz
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Meinung

Toleranz, aber richtig

Sollten wir in Zukunft jeden Unsinn lächelnd ertragen? Nein, sicher nicht. Die Sache ist kompliziert.

Die Pandemie hat uns nicht gut getan. Nach zwei Jahren spüren viele von uns: Man ist ungeduldiger als früher. Wenn man dann zum zweiundvierzigsten Mal in einen Streit über Corona-Maßnahmen gerät, formuliert man vielleicht etwas aggressiver als nötig. Sollten wir versuchen, etwas friedlicher zu werden? Mit Sicherheit. Sollten wir in Zukunft jeden Unsinn lächelnd ertragen? Nein, sicher nicht. Die Sache ist kompliziert.

Eines ist zweifellos richtig: Man soll nicht jeden Andersdenkenden als radikalen Extremisten betrachten. Es gibt Unzufriedene, die gegen eine Impfpflicht sind, die bestimmte Maßnahmen überzogen finden oder völlig zu Recht auf die psychischen Auswirkungen von Lockdowns, Angst und Spaßverzicht hinweisen. Es gibt viele durchaus vernünftige Standpunkte, die irgendwo zwischen harter Anti-COVID-Linie und harter Coronaleugner-Linie angesiedelt sind. Wer solche Standpunkte vertritt, soll nicht als Aluhutträger, Schwurbel-Querdenker oder gar als Rechtsradikaler beschimpft werden.

Extremer Unsinn verlangt extreme Kritik

Tatsache ist aber auch: Es gibt sie, die Radikalen, die bei Coronademos Nazi-Flaggen schwenken, die völlig durchgeknallte Verschwörungstheorien verbreiten, die ungetestetes Entwurmungsmittel für ein Wundermedikament halten. Solche Leute mit scharfen Worten zu kritisieren muss erlaubt sein. Mehr noch: Es ist demokratiepolitisch dringend notwendig. Das Kuriose daran ist bloß: Erstaunlich viele Leute aus dem Lager der gemäßigten Unzufriedenen fühlen sich dadurch angesprochen.

„Aha!“ heißt es dann. „Du unterstellst mir also, ein Verschwörungs-Nazi zu sein, nur weil ich Maßnahmen der Regierung kritisiere!“ Nein, das mache ich nicht. Ich kritisiere Extremisten. Wenn du gemäßigte Ansichten vertrittst und dich angesprochen fühlst, dann dränge nicht ich dich auf die Seite der Extremisten, sondern du selbst ordnest dich dort ein. Wenn man von mir die Sensibilität verlangt, zwischen akzeptablen gemäßigten Ansichten und extremistischem Unfug zu differenzieren, dann darf ich von Menschen mit gemäßigten Ansichten auch die Sensibilität verlangen, sich nicht angesprochen zu fühlen, wenn ich extremistischen Unfug attackiere.

Falsche Toleranz stärkt bloß die Starken

Außerdem: Toleranz ist nicht dasselbe wie Fairness. „Lasst doch alle Leute ihre eigenen Entscheidungen treffen! Respektiert die Ansichten anderer!“ Das klingt auf den ersten Blick nett und vernünftig. Aber in manchen Situationen ist das falsch: Wenn im Schwimmbecken manche für ein Pinkelverbot sind und andere nicht, dann ist „jeder soll für sich entscheiden“ kein vernünftiger Kompromiss. Wenn ich mitten in der Nacht eine grölendlaute Party veranstalte und meine Nachbarn sich beschweren, kann ich nicht sagen: „Na gut, ich zwinge Sie nicht zum Partymachen, dafür zwingen Sie mich nicht zum Partybeenden!“ So funktioniert das nicht.

Wenn uns gemeinsam zwischen kooperativer Rücksichtnahme und Eigeninteresse entscheiden müssen, dann ist eine Mahnung zu Respekt und Eigenverantwortung genauso wenig eine Lösung wie eine Lobrede auf das freie Spiel der Kräfte, wenn der Wolf ins Schafgehege eingedrungen ist.

Natürlich wollen wir Freiheit für alle. Aber die steht in einer Pandemie leider nicht zur Verfügung. Höchstens „Regellosigkeit für alle“ – und die führt dann zu maximaler Unfreiheit für die Schwächsten unter uns. Ja, es ist eine Unverschämtheit, von einem überzeugten Impfgegner zu verlangen, dass er sich impfen lässt. Aber was ist mit der Unverschämtheit, einem immunsupprimierten Risikopatienten zu sagen, dass er eben Pech gehabt hat? Wenn es keine eleganten Lösungen gibt, müssen wir gemeinsam eine unelegante finden.

Ja, wir sollten uns alle bemühen, toleranter zu werden. Wir sollten weniger schimpfen und mehr diskutieren. Aber die bloße Forderung nach Toleranz und Gleichberechtigung aller Meinungen löst noch kein Problem.

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Florian Aigner

Florian Aigner ist Physiker und Wissenschaftserklärer. Er beschäftigt sich nicht nur mit spannenden Themen der Naturwissenschaft, sondern oft auch mit Esoterik und Aberglauben, die sich so gerne als Wissenschaft tarnen. Über Wissenschaft, Blödsinn und den Unterschied zwischen diesen beiden Bereichen, schreibt er regelmäßig auf futurezone.at und in der Tageszeitung KURIER.

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