Der britische Psychiater Henry Maudsley

Der britische Psychiater Henry Maudsley

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Meinung

Sexismus, getarnt als Wissenschaft

Der englische Psychiater Henry Maudsley

Bildung ist für junge Frauen gefährlich, davon war der Psychiater Henry Maudsley überzeugt. Im 19. Jahrhundert hatte man wichtige Naturgesetze entdeckt, darunter auch das Gesetz der Energieerhaltung: Energie kann niemals aus dem Nichts erzeugt werden. Und daraus schloss Maudsley messerscharf: Mädchen sollten nicht zur Schule gehen. Denn der weibliche Körper macht in der Pubertät besonders große Veränderungen durch. Wenn da wertvolle Energie für das Lernen vergeudet wird, dann fehlt die Energie, den Mädchenkörper zum Frauenkörper umzubauen. Wegen der Energieerhaltung. Ist Physik, muss also wahr sein.

Logisch betrachtet ist das natürlich haarsträubender Unfug. Dass pubertierende Menschen viel Energie brauchen, ist richtig – das trifft auf Jungen aber genauso zu wie auf Mädchen. Daraus folgt natürlich nicht, dass man sie aus Sparsamkeitsgründen von Schulbildung fernhalten soll. Man könnte ihnen auch einfach ausreichend viel zu essen geben.

Scheinargumente ohne Logik

Maudsleys Argument ist aber ein schönes Beispiel für einen Missbrauch der Wissenschaft, wie wir ihn heute auch erstaunlich oft erleben: Man tut so, als würde man eine Behauptung mit hochwissenschaftlichen Fakten untermauern, schummelt sich aber dabei geschickt darüber hinweg, dass die erhobene Behauptung logisch gar nicht aus den präsentierten Fakten folgt. Der Energieerhaltungssatz sagt uns einfach nichts über die Schulbildung von Mädchen. Es ist als würde man behaupten: „Stickstoff kondensiert bei minus 196 Grad Celsius, daher sollte die Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen bei 196 km/h liegen.“ Auch wenn die eine Aussage wahr sein sollte, folgt daraus nicht die andere.

Gerade, wenn es um soziale Themen wie Geschlechtergleichberechtigung geht, ist das eine beliebte Strategie. Man möchte, dass Frauen die Hausarbeit erledigen? Dann erzählt man Geschichten einer angeblichen Frühzeit der Menschheit, in der die Männer Mammuts jagten und Frauen in der Höhle auf das Feuer aufpassten. Ob das wirklich so war, lässt sich zwar nicht belegen. Und selbst wenn – es wäre völlig unerheblich für die Frage, wie wir unsere heutige moderne Gesellschaft ordnen sollen. Keine politische Entscheidung ließe sich daraus ableiten. Aber man kann etwas von „evolutionärer Anpassung über hunderttausende Jahre“ erzählen und sich wissenschaftlich überlegen fühlen.

Oder man möchte, dass Karriere machen Männersache bleibt. Dann befragt man Frauen, die deutlich mehr verdienen als ihre Männer und kommt vielleicht zum Ergebnis, dass diese Frauen nicht besonders zufrieden mit ihrem Leben sind. Klare Sache: Frauen wollen also gar nicht Karriere machen, es geht ihnen besser, wenn Männer mehr verdienen. Schluss also mit Frauen-Karriereförderung!

Auch das ist natürlich logisch nicht haltbar. Vielleicht sind viele dieser Frauen unzufrieden, weil ihre Männer krank oder arbeitslos sind? Oder einfach, weil es anstrengend ist, gegen gesellschaftliche Normen zu verstoßen? Vielleicht hätten sie die Frage auch ganz anders beantwortet, wenn sie nicht von Kindheit an in einer Gesellschaft aufgewachsen wären, die von althergebrachten Geschlechterbildern geprägt ist?

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Der Sein-Sollen-Fehlschluss

Oft handelt es sich bei solchen Argumenten um einen „Sein-Sollen-Fehlschluss“. Man untersucht, wie die Welt ist, und schließt daraus, dass sie so sein muss. Dass das, was man beobachtet, die natürliche Ordnung der Dinge ist. Eine Umfrage sagt, Männer sind besser im Einparken? Dann muss das wohl seine Richtigkeit haben! Ein Klischee wird seit Jahrhunderten tradiert? Dann liegt es wohl in der Natur des Menschen!

Solche Aussagen gehören eigentlich in die Gedankenwelt von vorgestern. Aber sie scheinen sich heute wieder verstärkt auszubreiten. In autoritären Staaten wie Russland oder auch den USA ist glasklare Differenzierung zwischen Geschlechterrollen wieder in Mode. In Internetforen werden mit biologistischen Scheinargumenten junge Männer in eine frauenhassende Weltsicht getrieben. Jemand wie der Kickboxer Andrew Tate, der Frauen als „Eigentum der Männer“ bezeichnet, wird in sozialen Medien zum Star.

Dieses Gesellschaftsbild ist nicht nur unmoralisch, es ist auch logisch und wissenschaftlich nicht haltbar. Weder Biologie noch Psychologie noch Sozialwissenschaft taugen als Argument für Ungleichberechtigung. Scheinwissenschaftliche Begründungen für Sexismus beruhen oft auf simplen logischen Fehlern, manchmal auch auf schlechter, fehlerhafter Forschung – die in vielen Fällen längst durch bessere Forschung widerlegt wurde. Wir sollten wachsam sein und solchen Argumenten widersprechen, bevor sie von allzu vielen Leuten geglaubt werden.

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Florian Aigner

Florian Aigner ist Physiker und Wissenschaftserklärer. Er beschäftigt sich nicht nur mit spannenden Themen der Naturwissenschaft, sondern oft auch mit Esoterik und Aberglauben, die sich so gerne als Wissenschaft tarnen. Über Wissenschaft, Blödsinn und den Unterschied zwischen diesen beiden Bereichen, schreibt er regelmäßig auf futurezone.at und in der Tageszeitung KURIER.

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