
LHC
Sollen wir einen neuen Teilchenbeschleuniger bauen?
Der Teilchenbeschleuniger am CERN ist eine wissenschaftliche Erfolgsgeschichte. Er lieferte uns großartige neue Einblicke in die Natur der kleinen Teilchen, 2012 wurde dort das Higgs-Boson entdeckt, das letzte Teilchen im sogenannten „Standardmodell der Teilchenphysik“, dessen Nachweis noch gefehlt hatte.

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Damit ist die Teilchenphysik aber noch nicht an einem Endpunkt angekommen. Noch immer sind viele Fragen offen. Es gibt allerlei gewagte Thesen über weitere, zusätzliche Teilchen, die man vielleicht finden könnte, wenn man andere Teilchen mit noch höherer Geschwindigkeit und noch gewaltigerer Energie aufeinander schießen würde.
Dreimal größer als bisher
Und so legte das CERN nun einen ambitionierten Plan vor: Man könnte einen neuen Tunnel graben, mit 91 Kilometern Umfang mehr als 3x so groß wie der heute bestehende Large Hadron Collider. In diesem Tunnel könnte man dann in den 2040er-Jahren Elektronen und Protonen aufeinander schießen.
➤ Mehr lesen: CERN plant 91 Kilometer langen Teilchenbeschleuniger
Und in einer weiteren Ausbaustufe könnte man den Beschleuniger dann adaptieren, um die bisher schnellsten je von Menschen beschleunigten Protonen zu erzeugen. Frühestmöglicher Zeitpunkt: 2072. Die erste Ausbaustufe – samt Tunnelbau – würde laut aktueller Kalkulation gut 16 Milliarden Euro kosten, die zweite Ausbaustufe zusätzlich noch einmal rund 20 Milliarden Euro.
Können wir uns das leisten?
Das ist viel Geld. Ist das finanzierbar? Die Antwort ist eindeutig: Ja. Man darf sich von den großen Zahlen nicht verwirren lassen. Wir reden hier über Geld, das von vielen Staaten gemeinsam über lange Zeiträume gezahlt wird. Wer in Deutschland oder Österreich lebt, zahlt für das CERN einen Beitrag in der Größenordnung von 3 Euro pro Jahr – nicht gerade eine besorgniserregende Summe.
Zwischen 750 und 900 Milliarden Euro, so schätzt man, entgehen den Staaten der EU durch Steuerhinterziehung – und zwar jedes Jahr. Wenn es gelänge, die Steuerhinterziehung 2 Jahre lang nur um ein Prozent zu verringern, hätte man die Kosten für die erste Ausbaustufe eines neuen Teilchenbeschleunigers bereits zurückgeholt. Eine ähnliche Summe – rund 800 Milliarden Euro – sollen nun angesichts der russischen Aggression in zusätzliche Verteidigung investiert werden. Donald Trumps Zoll-Ankündigungen vernichteten an den Börsen Werte in der Größenordnung von tausenden Milliarden Euro – innerhalb weniger Tage. Man sieht also: Verglichen mit dem, was möglich ist, sind die vom CERN budgetierten Milliarden bis zum Jahr 2072 recht harmlos. Wir könnten uns das leisten.
Aber sollen wir? Das ist eine ganz andere Frage. Es ist unklar, ob die Physik überhaupt so weit ist, dass sie von einem neuen Teilchenbeschleuniger profitieren könnte.
Die Physik ist noch nicht so weit
Große, teure Experimente sind eine tolle Sache, wenn sie uns helfen, eine Frage zu beantworten. Sie sind aber nicht besonders hilfreich, wenn man sein Wissen noch gar nicht ausreichend gut sortiert hat, um überhaupt eine klar beantwortbare Frage stellen zu können.
Es ist ein bisschen wie in einer Schulklasse, wenn der Mathelehrer mit hochkomplizierten Rechnungen alle verwirrt hat und dann anbietet, Fragen zu beantworten. Die Klassenbesten haben den Stoff vielleicht gut genug verstanden, um tatsächlich eine klare, durchdachte Frage stellen zu können, aus deren Antwort sie dann etwas lernen. Kinder, die geistig längst ausgestiegen sind, und die ganze Stunde lang nur kleine Totenköpfchen ins Matheheft gezeichnet haben, werden hingegen gar keine sinnvolle Frage stellen können. Sie wissen gar nicht, was sie eigentlich wissen wollen.
In so einer Situation befindet sich die moderne Teilchenphysik. Über die bisher entdeckten Teilchen weiß man bestens Bescheid, aber bei allem, was zusätzlich noch kommen könnte, herrscht große Verwirrung. Es ist nicht so, dass wir 2 miteinander konkurrierende Thesen hätten und durch ein Experiment entscheiden könnten, welche davon richtig ist. Wir haben eher ein wildes Sammelsurium an vagen Ideen. Egal, welche Ergebnisse ein neuer Teilchenbeschleuniger liefern würde – wir würden wohl nicht erfahren, welche Theorie nun richtig ist. Man könnte die bestehenden Thesen alle ein bisschen zurechtbiegen und anpassen, damit sie mit den neuen Daten wieder vereinbar wären. Sie sind einfach nicht klar genug.
Natürlich kann man in einer solchen Situation einfach mal auf gut Glück einen Teilchenbeschleuniger bauen und hoffen, damit dann Daten zu sammeln, die für mehr Klarheit sorgen. Vielleicht kommt man dann auf bessere Ideen und präzisere Theorien, die man dann testen kann. Aber dieses „probieren wir mal, dann sehen wir schon“ ist eigentlich nicht die Strategie, mit der man üblicherweise gute Wissenschaft macht. Um 91 Kilometer Tunnel für einen neuen Mega-Beschleuniger zu bauen, sollte man wohl etwas klarere Vorstellungen davon haben, was man eigentlich wissen möchte.
Vielleicht haben wir diese Vorstellungen in ein paar Jahren – dann sieht die Sache anders aus. Vielleicht gewinnen wir diese Vorstellungen aber auch eher durch andere Experimente. Durch einen Blick in den Weltraum etwa, oder durch hochenergetische kosmische Strahlung. Die Arbeit wird der Physik jedenfalls nicht ausgehen, ganz egal ob ein neuer Riesenbeschleuniger gebaut wird oder nicht.
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