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Wieso wir alles mit dem Handy fotografieren

Seit fast jeder mit einem Smartphone fotografieren und seine Schnappschüsse in sozialen Medien öffentlich machen kann, entwickelte sich das Knipsen zur "menschlichen Universalie", so der österreichische Biologe Kurt Kotrschal und der Medienpädagoge Leopold Kislinger. Damit befriedigen Leute jeglicher Kultur grundlegende soziale Bedürfnisse. Fotografieren wurde dadurch ähnlich bedeutend wie Sprache, Kochen und Musik, erklären sie im Fachjournal Frontiers in Psychology.

Jagen und Sammeln von Bildern

"Weltweit fotografieren Leute, weil dies zur Natur der menschlichen Wahrnehmung und der kognitiven Verarbeitung passt, wie ein Schlüssel ins Schloss", meinen die beiden Forscher. Das "Jagen und Sammeln von Bildern" wurde unabhängig vom kulturellen Hintergrund allgegenwärtig, seit es durch die Smartphone-Technologie und soziale Medien einfach und billig ist. "Es gibt viele Features von Smartphones, die kaum bis gar nicht genutzt werden, aber das Fotografieren und Teilen von Fotos werden extrem oft genutzt", sagte Kotrschal, der am Department für Verhaltens- und Kognitionsbiologie der Universität Wien forscht, der APA. Es gebe kaum jemanden, ob alt oder jung, der dies nicht tue.

Kontrolle und Sinngebung

Das Fotografieren und Bilder-Teilen würde für die Leute vier wichtige Bedürfnisse erfüllen: Erstens sei es ihnen möglich, sich damit etwas aus ihrer Umwelt aneignen. "Durch das Erstellen und Besitzen eines Fotos erhalten Menschen dauerhaften Zugang zu Information und Kontrolle darüber", so die Forscher. Zweitens können sie durch das Wählen einer bestimmten Perspektive, eines Ausschnitts und Zeitpunkts einem Ereignis rasch, einfach und mühelos eine bestimmte Bedeutung geben. Das Fotografieren bewerkstelligt damit "Sinngebung".

Die Grafik soll zeigen, wofür Handy-Fotografie von Menschen gebraucht wird

Soziale Verbundenheit und Sexualität

Drittens: "Fotos ermöglichen es Menschen, sich emotional mit ihnen wichtigen anderen Menschen, Gott, Kumpan-Tieren und so weiter in Beziehung zu setzen", erklären die beiden Wissenschafter. Somit dienen sie den Menschen zum "Herstellen und Stärken sozialer Verbundenheit". Dazu gehöre auch, dass man sich darin möglichst vorteilhaft zeigen kann, und seine Rolle in der Gesellschaft präsentiert. Viertens sei es eine "Werbung um sozio-sexuelle Partner". Das heißt, dass die Leute auch Selfies machen und verbreiten, um möglichen sexuellen oder romantischen Partnern attraktiv zu erscheinen.

Fotografie hilft, sich zu verorten

Die Fotografie sei demnach ein "universelles soziales Werkzeug", das die Menschen als "extrem soziale Tiere" unterstützt, sich in der Welt zu verorten, sagte Kotrschal. Dies sei für einzelne Individuen sowie für ganze Gruppen überlebensnotwendig. "Fotografieren ist auch ein guter Ansatz, um Kontrolle zu erlangen", meint er. Wenn die Eltern beim ersten Schultag ihrer Sprösslinge sowohl fröhlich wie nervös sind, drücken sie zum Teil auch auf den Auslöser, um diese Ambivalenz (Zerrissenheit) zu verarbeiten. Das selbe gelte für Passagiere in einem Flieger, die sich vielleicht auf den Urlaub freuen, aber unter Flugangst leiden, und beim Start wie wild aus dem Fenster knipsen. "Es gibt viele Bereiche, wo das Fotografieren dazu funktioniert", so Kotrschal.

Außerdem könne man, wenn man Selfies vor einem Monument oder aus einer Metropole schickt, sich selbst mit ein wenig mehr Bedeutung darstellen. "Das wirkt natürlich vor allem innerhalb der eigenen Clans und Beziehungs-Blasen", erklärte der Forscher. Deshalb sieht man sich die Fotos von Spaghetti-essenden Bekannten, Freunden und Verwandten oder auch bekannten "Reichen und Schönen" an, aber nicht die selben Motive von Fremden.

Preisgeben in sozialen Medien

Freilich habe das Teilen von Fotos auch negative Aspekte, die breit in den Geisteswissenschaften behandelt werden: "Es wissen mittlerweile auch schon alle, dass man sich selbst mit jedem Foto in den sozialen Medien preisgibt." Dass auch dies offensichtlich in Kauf genommen wird, zeige wiederum, wie wichtig das Fotoschießen und -teilen für die Leute geworden ist.

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