Wie ein Weltraum-"Sonnenschirm" die Erde abkühlen soll
Wenn es auf dem Balkon zu heiß wird, dann stellen wir einen schattenspendenden Sonnenschirm auf. Das bringt mit geringem Aufwand einen guten Effekt. Genau diese Idee verfolgen Forscher im Kampf gegen die Klimakatastrophe: Ein "Sonnenschirm" im Weltall soll die Sonneneinstrahlung verringern und die Erwärmung reduzieren.
Das klingt einfacher, als es ist: "Wir müssen Tausende Quadratkilometer abschirmen, um die Sonneneinstrahlung um zwei Prozent zu reduzieren", erklärt Carsten Scharlemann, Studiengangsleiter für Aerospace Engineering an der FH Wiener Neustadt. Sein Studiengang ist Teil eines Kompetenznetzwerks für Geo-Engineering, also dem technischen Eingreifen in die Kreisläufe der Erde für den Klimaschutz. Gestartet wurde es vom deutschen Raumfahrtkonzern OHB Systems AG. Insgesamt sind 8 internationale Forschungseinrichtungen beteiligt.
Segel-Flotte im All
Bei der Entwicklung könnte man auf bestehende Technologien wie Weltraum-Sonnensegel zurückgreifen. Sie nutzen Sonnenlicht ähnlich wie Wind auf der Erde, um sich im All zu bewegen. Statt wie derzeit als Transportmittel zum Einsatz zu kommen, könnten Sonnensegel fest an einem Ort verankert werden und wie ein Spiegel das Sonnenlicht zurückwerfen.
Obwohl man sich unter so einem "Sonnenschirm" intuitiv eine zusammenhängende Konstruktion vorstellt, haben die Forscher*innen einen anderen Plan: "Im Augenblick zielen wir darauf ab, kein gigantisch großes Sonnensegel zu bauen, sondern eine Flotte von Tausenden kleineren Segel, die im Formationsflug Sonnenlicht abschirmen", schildert Scharlemann den Plan.
Entscheidend sei dabei auch die richtige Platzierung. Dafür bietet sich der sogenannten Lagrange-Punkt L1 an. Er liegt an jener Stelle zwischen Erde und Sonne, an der sich die Anziehungskraft der beiden Himmelskörper ausgleicht.
Die größte Herausforderung ist es aber, einen Bau in dieser Größenordnung umzusetzen. Sonnensegel bestehen aus sehr dünnen Folien. Das Material für ihre Herstellung zu finden, ist ein Aufgabengebiet, das die Studierenden an der FH Wiener Neustadt bearbeiten. Derzeit prüfe man, ob Materialien auf Asteroiden abgebaut werden können.
Asteroiden und Marsboden
Die OSIRIS-REx Mission der NASA konnte im Oktober 2020 schon erfolgreich Gesteinsproben des Asteroiden Bennu entnehmen (futurezone berichtete). "Aber dort zu landen und eine Infrastruktur aufzubauen, um das Material nutzen zu können – so etwas haben wir noch nie gemacht", erklärt Scharlemann.
Das Material könnte abgebaut und mit einem 3D-Drucker im Weltall weiterverarbeitet werden. So müsste man keine Baustoffe ins All bringen. Die Produktion würde vor Ort stattfinden. Das Forschungsunternehmen der FH Wiener Neustadt, Fotec, hat zudem gemeinsam mit der ESA erfolgreich Strukturen aus simulierte Mars-Erde zu drucken.
Neben Asteroiden und dem Mars könnte auch der Mond Baustoffe für den 3D-Druck liefern. Dass das in der Schwerelosigkeit möglich ist, zeigen seit Jahren Experimente auf der ISS. Allerdings müssten für die tatsächliche Produktion des Sonnenschutzes neue Dimensionen erreicht werden. "Das muss man in das Zehntausendfache skalieren. Das ist herausfordernd und ein gigantisches Projekt“, so Scharlemann.
Gezielter Schutz der Pole
Deshalb forscht man auch daran, die Abschattung zunächst nur punktuell über den wichtigsten Stellen einzusetzen: "Man kann sich das wie eine kleine permanente Sonnenfinsternis in Regionen vorstellen, die ohnehin wenig bewohnt sind, wie etwa die Antarktis und die Arktis. Wir berechnen, wie groß ein solches Schild sein müsste und welchen Einfluss es auf die Erde hätte", erklärt Gerrit Lohmann, Leiter der Arbeitsgruppe Dynamik des Paläoklimas am Alfred-Wegener-Institut in Bremen. Er ist ebenfalls Teil des Kompetenznetzwerks. Dieser gezielte Schutz wäre billiger und weniger aufwendig als die ganze Erde abzuschirmen.
Viele Experten warnen zudem davor, Geo-Engineering als Ausrede vorzuschieben, Klimaschutz-Maßnahmen auf der Erde langsamer voranzubringen. Die Forschung an einem Sonnenschutz sei "ein Mittel, um Zeit zu gewinnen", sagt Lohmann. "Der unwiederbringliche Verlust der Eisschilde, wenn der nächste Kipppunkt erreicht wird, ist nicht zu akzeptieren, denn die Nebenwirkungen wären für die Menschheit gravierend." Scharlemann schätzt, dass ein Sonnensegel innerhalb der nächsten 50 Jahre eingesetzt werden müsste, um noch eine Auswirkung zu haben. Käme es erst in ein paar Hundert Jahren, wäre es zu spät.