Wie wir gemeinsam aus der Krise kommen
Die Menschen sind verunsichert und ängstlich, die Jobsituation alles andere als rosig, Geschäfte und Lokale gefährdet. Corona hat uns wie ein apokalyptischer Schlag getroffen, persönlich und wirtschaftlich. Die Auswirkungen sind gut ein Jahr nach Ausbruch der Pandemie in Österreich schon spürbar. Die wahrscheinlich noch heftigeren Spätfolgen werden sich erst zeigen. Wann sich Österreich von den durch die Pandemie verursachten Schäden erholen wird, bleibt jedenfalls abzuwarten.
Laut Prognosen der Österreichischen Nationalbank wird das Niveau des realen Bruttoinlandsprodukts, das Auskunft über die Menge verkaufter Güter und Dienstleistungen unabhängig von Preisveränderungen gibt, erst im Jahr 2022 wieder jenem vor Ausbruch der Pandemie entsprechen.
Lösungsansätze
Unterdessen können die Österreicher gemeinsam mit interdisziplinären Experten Lösungsansätze zur COVID-19-Krise und für eine resilientere Zukunft erarbeiten. Das zumindest ist das Ziel des digitalen COVID-Popup-Hubs, einer Initiative des Bundesministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK).
Bei der Plattform handelt es sich um eine Art „virtuelles Kaffeehaus“, in das jeder Interessierte Ideen einbringen kann. Die Diskussionen finden in Formaten wie Online-Gespräche, Workshops oder Experteninterviews statt. Diskutiert wird in 4 Themenbereichen, die sich in der Krise als besonders relevant für das Wirtschafts- und Gesellschaftssystem herausgestellt haben.
„Durch die Pandemie ist Distanz in unser Bewusstsein gerückt, wir müssen jetzt mit ihr umgehen“.
Distanz neu verstehen
Jener, der uns alle fast gleichermaßen betrifft, ist „Soziale Distanz“. Dieser Schwerpunkt wird von Manfred Tscheligi vom AIT Austrian Institute of Technology und vom Center for Human-Computer Interaction an der Universität Salzburg geleitet. Hier geht es vor allem um die Frage, welche Auswirkungen soziale Distanz hat und wie sie als neues Gesellschaftskonzept implementiert werden kann, ohne dass wir einander auf menschlicher Ebene verlieren.
Laut Tscheligi sei es wichtig, Distanz auf neue Weise wahrzunehmen und zu definieren. „Wenn mir jemand etwa im Kaufgeschäft sehr nahe kommt und auf mich einredet, fühle ich mich unwohl und trete zurück.“ Dies geschehe unbewusst – dahinter stecken sozialpsychologische Aspekte. „Durch die Pandemie ist Distanz aber in unser Bewusstsein gerückt, wir müssen jetzt mit ihr umgehen“, sagt Tscheligi der futurezone.
Neue Distanz
Wenn Menschen ihr Verhalten nachhaltig verändern und Distanz aufbauen sollen, müssen sie laut dem Experten ohne Zwang dazu motiviert werden. „Die beste Verhaltensmotivation ist die intrinsische, wenn es einen Grund gibt“, sagt er. Will etwa jemand aus eigenem Antrieb zum Rauchen aufhören, um gesünder zu leben, geht diese Motivation mit der Zeit in die Normalität über.
Am aktuell nötigen Distanzverhalten, das eine gewisse Sicherheit gewährleistet, um nicht krank zu werden, habe zwar niemand Zweifel, dennoch müsse Distanz laut Tscheligi mehr ins Bewusstsein gelangen und der Begriff positiv belegt werden. „Momentan ist sie eher negativ konnotiert. Es ist per se aber nicht schlecht, in einer Ansammlung von Menschen etwas mehr Distanz zu halten – deswegen komme ich in einer Schlange nicht langsamer voran. Es ist aber sicherer“, sagt der Wissenschafter.
Technologie soll aber auch dabei helfen, das Gefühl der Ferne – wo es nicht erwünscht ist – zu reduzieren. „In einem internationalen Kooperationsprojekt, das wir in Salzburg machen, versuchen wir, emotionale Gefühle über Distanz mit Kleidung zu transformieren“, sagt der Forscher. Wenn etwa ein Enkelkind seinen Ärmel berührt, spürt das auch die Großmutter, indem etwa die Stofffasern über Aktuatoren mechanisch bewegt werden. Übertragen werden die Signale über das Internet. Die Herausforderung dieses Projekts liegt in der Interpretation der Impulse.
Auch forscht das Team an einen speziellen Spieltisch, der das Geräusch eines Würfels überträgt, sodass über Distanzen das Gefühl entsteht, gemeinsam in unmittelbarer Nähe zu spielen.
„Das Leben nach der Krise wird sicher nicht mehr dasselbe sein wie davor".
Vorbereitung
Ein weiterer auf dem COVID-Popup-Hub behandelter Schwerpunkt ist „Digitale Gesundheit“. Hier geht es um die Herausforderungen der digitalen Transformation des Gesundheitssystems. Dafür ist es etwa wesentlich, neue Technologien in den Gesundheitssektor zu implementieren.
Unter „ökonomische Puffer“ werden Faktoren reflektiert, die für eine resiliente Wirtschaft nötig sind. Im Themenbereich „Staatliche Interventionen“ geht es unter anderem darum, wie der Staat systematisch gegen Krisen vorgehen kann. Die digitale Plattform ist für alle Bürger frei zugänglich – laut Tscheligi seien die Diskussionen, die bereits geführt werden, äußerst erhellend: „Das Leben nach der Krise wird sicher nicht mehr dasselbe sein wie davor. Es hilft, in bestimmten Aspekten schon auf Veränderungen vorbereitet zu sein und zu wissen, wo es noch viel zu tun gibt.“
Technologien gegen Nahkontakt
Seit Ausbruch der Corona-Pandemie wurden weltweit zahlreiche Technologien entwickelt, die Menschen vor einer COVID-19-Ansteckung schützen und physische Distanz schaffen sollen. Unter anderem kam bei der Behandlung des ersten Corona-Infizierten in den USA ein Roboter zur Anwendung, der die Kommunikation zwischen den Medizinern und dem Infizierten über einen Bildschirm ermöglicht, sodass sich die Personen nicht im gleichen Raum aufhalten muss.
5G-Thermometer
In Wuhan wurde hingegen das Smart Field Hospital aufgebaut. Zum Einsatz kommen Wearables, also smarte Geräte, die an der Hautoberfläche getragen werden, sowie 5G-Thermometer. Die sind an eine auf künstliche Intelligenz gestützte Plattform gekoppelt, sodass das medizinische Personal alle wesentlichen Körperwerte der Patienten aus der Distanz überwachen können. Nahrungsmittel und Arzneien erhalten die Patienten zudem von Robotern.
Distanzweste
Distanz braucht es aber nicht nur in Krankenhäusern. Der österreichische Nutzfahrzeughersteller Schwarzmüller hat etwa für Mitarbeiter in Produktionshallen sogenannte „Distanzwesten“ entwickelt, die mit Sensoren ausgestattet sind. Diese messen permanent den Abstand zu den anderen Westen und blinken, vibrieren und piepsen, wenn der Mindestabstand nicht eingehalten wird.