Eine Revolution bei Flugzeugen bahnt sich an
Vor 120 Jahren sind die Gebrüder Wright erstmals mit einem voll-steuerbaren, motorisierten Flugzeug abgehoben. Es hatte einen Rotor, ein Höhen- und ein Seitenruder. Um es in der Luft zu kontrollieren, wurden zudem Flügelverwindungen eingesetzt – quasi ein Vorgänger des Querruders.
Seitdem hat sich dieses Prinzip nicht geändert. Nach wie vor werden Flugzeuge in den 3 Achsen mit Höhen-, Seiten- und Querruder gesteuert. Durch das Bewegen dieser Elemente nach oben und unten bzw. links und rechts wird der Luftstrom an den Tragflächen und dem Leitwerk umgeleitet. Deshalb spricht man bei diesem Prinzip auch von der aerodynamischen Flugsteuerung.
Und genau diese klassische Flugsteuerung soll jetzt modernisiert werden. Dazu geht das Projekt X-65 der DARPA in die nächste Phase.
X-65 wird von einer Abteilung von Boeing gebaut
Die DARPA, die Forschungsabteilung der US-Streitkräfte, hat in einer Presseaussendung den nächsten Schritt für das X-65 Flugzeug verkündet. Aurora Flight Sciences wurde ausgewählt, um das X-65 zu bauen. Aurora gehört seit 2017 zu Boeing und hat zuvor ua. bei der Entwicklung der militärischen Drohne RQ-4 Global Hawk mitgewirkt.
Das X-65 wird zur Steuerung AFC verwenden – Active Flow Control. Dabei wird verdichtete Luft durch viele Öffnungen an den Enden der diamantförmigen Tragflächen ausgestoßen. Dadurch verändert sich der Luftstrom über der Flugzeugoberfläche. Je nachdem, wo und wie stark die Luft ausgestoßen wird, kann die Maschine die nötigen Bewegungen in 3 Achsen durchführen: Rollen, Gieren und Nicken.
Der Vorteil dieser Steuerung: Das Flugzeug kann ohne bewegliche Steuerelemente gebaut werden. Ein klassisches Leitwerk könnte dadurch deutlich kleiner ausfallen oder gar überflüssig werden. Das reduziert Gewicht, Luftwiderstand und die Komplexität der Konstruktion. Das wiederum soll den Treibstoffverbrauch geringer ausfallen lassen und könnte die Baukosten von Flugzeugen senken.
➤ Mehr lesen: Aus menschlichem Kot wird Flugzeugtreibstoff
X-65 hat „Stützräder“
Dazu muss sich AFC aber erst beweisen, weshalb das X-65 gebaut wird. Das Flugzeug wird neben AFC auch ein Leitwerk und eine klassische aerodynamische Steuerung haben. Dies dient als Benchmark, um herauszufinden, ob sich das Flugzeug mit AFC genauso gut – oder potenziell besser – steuern lässt als mit Rudern. Die DARPA bezeichnet die klassische Steuerung als „Stützräder“, um besser verstehen zu lernen, wie AFC die Ruder ersetzen kann. Außerdem erhöht das die Sicherheit, falls das experimentelle AFC im Flug ausfallen sollte.
Um die nötigen Daten zu sammeln, werden ua. Sensoren am X-65 eingesetzt. Diese werden die Leistung des AFC messen und so mit der Leistung der Rudersteuerung vergleichbar machen. Die DARPA betont, dass mit diesen Daten der erste Schritt gemacht wird, um herauszufinden, „wie AFC sowohl die militärische als auch die zivile Luftfahrt revolutionieren könnte“.
X-65 gab es zuvor als Mini-Modell
Es wäre nicht die DARPA, wenn nicht noch die militärische Nutzung extra in der Pressemitteilung hervorgehoben wird. Mit 3,2 Tonnen Gewicht, einer Flügelspannweite von 9 Metern und einer Geschwindigkeit bis zu Mach 0,7 (860 km/h) würde das X-65 vergleichbar mit einem militärischen Ausbildungsflugzeug sein. Dadurch seien die Ergebnisse der Tests leichter auf Designs für Flugzeuge in Serienfertigung übertragbar.
Was die DARPA damit sagen will: Das X-65, das jetzt gebaut wird, ist ein „Full Scale Model“, also ein Flugzeug in Originalgröße. Zuvor hatte Aurora schon einen Prototyp gebaut, der 25 Prozent der Originalgröße hatte.
Das Modell hatte 14 AFC-Einheiten, die von 8 individuell kontrollierbaren Luftkanälen gespeist wurden. Dieses Modell hob allerdings nicht ab, sondern wurde im Windkanal getestet. Über 14.000 Datenpunkte wurden gesammelt, die jetzt in den Bau des Full-Scale-X-65 einfließen.
Das X-65 wird unbemannt sein. Die Arbeiten an der Konstruktion haben bereits begonnen und sollen Anfang 2025 abgeschlossen sein. Der Jungfernflug ist für Sommer 2025 geplant. Nach den Tests soll das X-65 weitergenutzt werden. Laut der DARPA wird es modular gebaut, um Teile der Tragflächen und des AFCs auszutauschen. So sollen künftig weitere Steuerungskonzepte mit der X-65 erprobt werden.
Ursprünge des AFC
Die Idee für AFCs selbst ist nicht neu. Bei DARPA wurde bereits 1999 mit Micro Adaptive Flow Control daran geforscht. Boeing hat gemeinsam mit der NASA im Jahr 2015 eine umgebaute Boeing 757-200 fliegen lassen, das teilweise AFC nutze. Dabei wurde getestet, ob der gezielte Luftstrom die Effizienz des Leitwerks verbessern kann, mit dem Ziel, dies zukünftig kleiner bauen zu können. Es ist das bisher einzige Full-Scale-Flugzeug, das mit AFC geflogen ist.
In weiteren Forschungsprojekten wurde an elektrischen AFCs gearbeitet. Dafür wurden Membranen bei kleinen Luftöffnungen eingesetzt, die sich durch elektrische Pulse zusammenziehen und ausdehnen. So wurde ein blasender oder saugender Effekt kreiert, um den Luftstrom rund um die Tragflächen zu verändern.
Beim Plasma-AFC erzeugen Elektroden durch Pulse Hitze. Die Hitze macht aus der Luft Mikro-Plasma, wodurch der Luftstrom thermisch geändert wird.
Möglicher Einsatz bei Passagiermaschinen
Das X-65 in Originalgröße wird primär pneumatisches AFC nutzen, also verdichtete Luft. Allerdings könnte das X-65 auch andere AFC-Systeme und Flügelformen nutzen – wegen der bereits erwähnten Modularität.
Aurora geht davon aus, dass das X-65 Ergebnisse liefert, die hochskalierbar sind. Diese könnten direkt auf Flugzeuge angewandt werden, die bis zu 45 Tonnen wiegen. Man hoffe, so andere Flugzeug-Designer zu inspirieren, die etwa neue Tankflugzeuge, Drohnen oder elektrische betriebene Lufttaxis bauen wollen.
Von einer Anwendung bei großen Passagiermaschinen wird noch nicht gesprochen. Allerdings wird die Mutterfirma Boeing sehr interessiert an der Weiterentwicklung von AFC sein. Denkbar ist, dass es mit anderen Konzepten kombiniert wird, wie etwa Truss-Braced Wing. Dabei werden die Tragflächen verstrebt, um schlanker gebaut werden zu können. Das reduziert den Luftwiderstand und spart Treibstoff.
➤ Mehr lesen: Flugzeug-Revolution: Was bringen Streben unter den Flügeln?
Mit etwas Fantasie kann man die dünnen, verstrebten Flügel auch im X-65 wiedererkennen. 2028 soll ein Full-Scale-Prototyp eines Flugzeugs mit Truss-Braced Wing abheben – das passenderweise X-66A heißt. Vielleicht hat das Experimentalflugzeug, das von Boeing zusammen mit der NASA entwickelt wird, dann auch AFC an Bord.