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Videospiele auf der Anklagebank

Als Richter Antoni Scalia letzten Montag die Entscheidung zur Gewaltdebatte um Videospiele verlas, gingen die Gemüter hoch. Die hitzig geführte Debatte im Vorfeld der Gerichtsverhandlung fußt auf einem Gesetzesentwurf aus dem Jahre 2005 (unterzeichnet vom damaligen Gouverneur Arnold Schwarzenegger), der den Verkauf von gewalthaltigen Videospielen an Jugendliche unter 18 Jahren untersagte. Während unklar blieb, welche Form von Gewalt in Spielen verboten und wie das Gesetz vollstreckt werden sollte, sorgte zumindest die Strafe von 1000 US-Dollar bei Verkauf jener Spiele an unter 18-jährige für Aufruhr. Was dabei juristisch verhandelt wurde, war jedoch mehr als nur ein Gesetz, es war eine Entscheidung für oder gegen den staatlich kontrollierten Verkauf von Videospielen – so zumindest schien es, wenn man sich den öffentlichen Diskurs dazu anhörte.

Endlich durfte mal wieder kräftig losgeschimpft werden, auf den gesichtslosen digitalen Übeltäter. Plötzlich hatten wieder alle eine Meinung und erzählten von Spielszenen, die sie zwar selbst nie erspielt hatten, aber die "angeblich" tagtäglich in den Kinderzimmern auf den Bildschirmen flimmern. Und natürlich erinnern sich blitzartig alle an jene Studien, die sie zwar nie gelesen hatten, aber die mit Sicherheit bewiesen hätten, dass genau diese Spiele unsere Jugend zu Gewalttätern machen.

Als Johan Huizinga in den 30er Jahren schrieb, dass Spiele jenseits der Sphäre der großen kategorischen Gegensätze, jenseits von Gut und Böse, jenseits von Wahrheit und Lüge stehen, erahnte er wohl noch nicht, dass 70 Jahre später, genau jene Entscheidung anstand. Und tatsächlich finden sich auch eine große Menge an Menschen, die Spiele einfach nur "gut" finden – ja besser als Film und Fernsehen. Immer wieder wurde in den letzten Wochen entgegen der Kritiker gekontert, dass Computerspiele heute Teil unserer Kultur wären, ja fast als Kunst zu bezeichnen sind, und dass ein Verbot eine Verstümmelung der Computerindustrie bedeuten würde. Denn was die Traumfabrik in Kalifornien heute produziert, sind nicht nur gewalthaltige Actionstreifen à la Arnold Schwarzenegger, sondern viele Computerspielfirmen haben ihren Sitz genau in dieser Region, was die Entscheidung umso tragender machen würde.

Gut oder Böse? Weder noch!
Als Medienpädagoge werde ich hierbei mehrfach mit der Frage konfrontiert, wer nun in der Debatte Recht behalten sollte. Soll der Verkauf von diesen brutalen Spielen nun verboten werden, oder nicht? Sind Videospiele nun gut oder böse? Meine Antwort mag wie eine Ausrede klingt, sie bringt das Problem aber auf den Punkt: Weder noch!

Videospiele sind weder gut noch böse, sie müssen nicht gesetzlich verboten werden, ein aufgeklärter Umgang mit diesen ist jedoch entscheidend. Vorerst gilt es jedoch der Wurzel des Übels auf den Grund zu gehen. Wo liegt denn das eigentliche Problem? Das wirkliche Problem ist nämlich weder ein juristisches (Verbot oder Erlaubnis), noch ein wissenschaftliches (Wahr oder Falsch) und schon gar kein moralisches (Gut oder Böse) - es ist ein ethisches. Viele Erziehende wollen nicht, dass ihre Kinder Spiele spielen, die gewisse brutale Darstellungen beinhalten oder Gewalthandlungen ermöglichen. Dieses Unbehagen ist berechtigt – genauso wie ein kontrollierter Umgang mit Fernsehen und Kino vielen am Herzen liegt. Die wirklich Diskussion ist aber eine gesellschaftliche Wertedebatte.

Ja, einige Darstellungen in Spielen erscheinen brutal, dennoch finden sich kaum sadistische Handlungen in Spielen, da diese weder Spaß machen, noch herausfordernd sind. Aus Beobachterperspektive – die ja dem Spiel an sich zuwiderläuft – und den Kontext der Handlung außer Acht lassen, wirken einige Szenen übermäßig gewalttätig. Die Gewalt steigert sich dabei meistens ins Hyperreale - reale Gewalt erscheint im Vergleich dazu banal. Und dennoch, jede Spielhandlung ist immer eine "Als-Ob-Handlung", das wissen Kinder, und auch Eltern sollten das in Erinnerung behalten. Dass gewisse violente und virtuelle "Als-Ob-Handlungen" nicht für jedes Alter geschaffen sind, ist klar und darf dabei nicht in Vergessenheit geraten.

Alterskennzeichnungen
Genau für diesen Zweck gibt es in den USA die ESRB und in Europa PEGI – also Agenturen die Alterskennzeichnungen in freiwilliger Abstimmung mit der Industrie auf Spielboxen anbringen. In Österreich gibt es mit der BUPP (Bundestelle für die Positivprädikatisierung von Computer- und Konsolenspielen) sogar eine Einrichtung des Ministeriums, die genauere Informationen über Spielbarkeit an Erziehende weiter gibt. Witziger Weise bekomme ich an dieser Stelle von vielen erzürnten Eltern einen eigenwilligen Blick, der übersetzt soviel bedeutet wie: "Was? ICH soll mich jetzt auch noch mit diesem Teufelswerk auseinandersetzen? Wäre es da nicht viel einfacher mit einem Verbot für Recht und Ordnung zu sorgen? Und dann kommt die Frage, ob ich nicht von dieser Studie gehört hätte, die...

... und ja ich habe von dieser Studie gehört. Meistens habe ich sie auch gelesen und leider habe ich meistens die Quelldaten nicht gesehen - weil sie nicht auffindbar waren. Und auch wenn es einige interessanten Studien für und wieder die Auswirkung virtueller Gewalt auf Spielende gibt, habe ich noch keine gefunden, die mich methodisch überzeugt hätte. Sehr wohl überzeugend, finde ich das medienpädagogische Argument, dass es Aufgabe der Erziehenden ist, sich für die Spiele ihrer Kinder zu interessieren. Denn aus der Entwicklungspsychologie wissen wir, dass Jugendliche sich in gewissen Entwicklungsstadien nur unzureichend von den Inhalten in Medien distanzieren können. Das ist einer der Gründe, warum viele Kinder Angst vor TV-Nachrichten haben, weil sie nicht wie wir die Informationsflut gelangweilt über sich ergehen lassen können.

Die Altersangemessenheit in der Mediennutzung ist heute eine zentrale Aufgabe der Erziehung und Bildung – das gilt auch für Computerspiele. Wenn an dieser Stelle die Gesetzgebung die Erziehungsaufgabe übernimmt, halte ich das für problematisch. Das Verbot von Videospielen mit gewalthaltigen Inhalten nützt dem aufgeklärten Umgang mit Medien in den Kinderzimmern weder in Kalifornien noch in Wien.

Computerspiele gewinnen
In diesem Sinne kann die Entscheidung von Richter Antonin Scalia begrüßt werden, der das Gesetz nach einer Abstimmung mit 7-2 abwies. Das Duell zwischen Gut und Böse ist somit mit 7 zu 2 für die Computerspiele ausgegangen. Die Studien haben sich als unzureichend herausgestellt und das Gesetz als verfassungswidrig.

Im Abschlussstatement wird erneut auf die Bedeutung des Jugendschutzes hingewiesen, jedoch deutlich gemacht, dass deswegen nicht das Recht auf freien Austausch von Ideen reglementiert werden könne. Sowohl für die Befürworter als auch die Gegner ist die Begründung der Entscheidung unzureichend. Denn hier wurde weder bewiesen, ob Gewalt in Spielen nun gut oder schlecht sei, sondern nur juristisch festgestellt, dass es rechtlich keine Gründe gibt, um deren Verkauft dieser Spiele strafrechtlich zu reglementieren. Abschließend sei darauf hingewiesen, dass die Computerspielindustrie großes Interesse an der Alterseinstufung ihrer Spiele hat und diese auch betrieben wird. Dennoch wird durch diese Entscheidung deutlich, dass Erziehende keinen Freispruch erhalten, wenn es um einen aufgeklärten und reflektierten Umgang mit den Spielen ihrer Kinder zu tun haben.

Konstantin Mitgutsch ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Singapore-MIT GAMBIT Game Lab am Massachusetts Institute of Technologie in Boston. In diesem Semester absolviert er eine Gastprofessor an der Universität Wien und lehrt an der Donau Universität Krems. Seit 2009 sitzt er im Expertenrat der Pan European Game Informaton (PEGI) und organisiert die jährlich in Wien statt findende Vienna Games Conference FROG. 2009 veröffentlichte er gemeinsam mit Herbert Rosenstingl das Einsteigerbuch für Nicht-SpielerInnen "Schauplatz Computerspiele".

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