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Zukunftsforschung

IBM: „Lichtgeschwindigkeit ist zu langsam“

futurezone: Wenn Sie an die Informatik zu Ihren Studienzeiten zurückdenken, ist das noch in irgendeiner Weise mit heute vergleichbar?
Rappoport: Die Aufbruchsstimmung unter jungen Leuten war nicht zuletzt aufgrund der Mondlandung groß. Jeder war verblüfft, was man mit IT alles machen kann, wenngleich heute wohl jedes Smartphone mehr Rechenleistung hat als damals die gesamte NASA zusammen. Die Programmierung war aber natürlich noch abenteuerlich mit Lochkarten und Lochstreifen. Das ist mit heute schwer zu vergleichen.

Hatten Sie damals schon eine Vorstellung davon, was mit Computern in 30, 40 Jahren möglich sein wird?
Natürlich hatten wir viele Träume und umso mehr erfüllt es mich jetzt mit großer Genugtuung, dass viele Dinge sich jetzt endlich realisieren. Während es die ersten 20 Jahren noch um schnellere Hardware und Software ging und in der zweiten Phase Unternehmen wissen wollten, wie man mit IT mehr Geld verdienen kann, geht es nun in erster Linie um gesellschaftliche Verbesserungen und Erleichterungen im Alltag.

Über welche technische Errungenschaft der vergangenen Jahre freuen Sie sich am meisten?
Dass man einmal ein kleines Gerät in der Tasche hat, das einem die neuesten Nachrichten, das Wetter oder den Weg anzeigt, wann der Flug geht, mit dem man rechnen, mit Enkelkindern per Videochat kommunizieren, Bilder ansehen oder Dinge nachschlagen kann – das habe ich mir immer gewünscht. Und das macht mich sehr glücklich, dass das mit den Smartphones jetzt Realität geworden ist.

Gibt es noch Verbesserungsbedarf?
Es gibt natürlich immer Verbesserungspotenzial, auch wenn wir wirklich schon weit gekommen sind. Manches – etwa Software-Updates – finde ich immer noch zu kompliziert in der Handhabung und bei der Sicherheit sind wir noch lange nicht da, wo wir sein müssten. Außerdem will ich verlässlich wissen, wenn ich ein Interview mit Ihnen habe, ob ich um viertel vor oder viertel nach fünf von hier wegfahren muss, um den Flieger zu erwischen.

Über die gezielte Analyse der digitalen Datenflut – Stichwort Big Data – erhoffen sich Wissenschaftler und Unternehmen neue

Möglichkeiten
, um gesellschaftliche Herausforderungen in den Griff zu bekommen, sei es im Gesundheitsbereich, im Katastrophenmanagement oder etwa in der Stadtplanung. Hängt der Erfolg von Big Data von neuer Hardware oder Software ab?
Es ist eine Kombination von beidem, zumal die Grenze, wo die Software anfängt und die Hardware aufhört, längst keine klare Trennlinie mehr aufweist. Die alte Art, wie wir Computer gebaut haben mit Prozessoren, dem Schreiben auf Disk und dem Auslagern großer Datenbestände auf Tape und wieder zurück, ist heute nicht mehr zielführend. Um etwa die Flut an unstrukturierten Daten aus sozialen Netzwerken und anderen Quellen in Echtzeit zu analysieren, müssen diese gar nicht mehr abgespeichert werden.

Wie kann die schnelle Verarbeitung von Daten in Echtzeit gewährleistet werden?
Hardwaretechnisch muss das Chipdesign natürlich optimiert sein – „One size fits all“ funktioniert heute nicht mehr. Softwareseitig gibt es ebenfalls neue Herausforderungen mit Spracherkennung und Texterkennung. Ein wesentlicher Punkt ist zudem, dass Systeme lernend sind und sich kognitiv auch hardwareseitig anpassen, um gewisse Aufgaben zu erledigen. Das ist wie beim menschlichen Gehirn – wir verwenden auch verschiedene Strategien um unterschiedliche Arten von Problemen schneller lösen zu können.

Große Konzerne wie IBM oder EMC arbeiten Big Data aus dem

Business-Umfeld
auf. Daneben verfügen Unternehmen wie Google, Facebook, aber auch Apple und Microsoft durch ihre User über enorme Datenpools, die sie verwerten können.  Besteht nicht die Gefahr, dass nur die genannten Großen hier den Ton angeben werden?
Die Großen stellen meist die Plattformen und sind vielleicht diejenigen, bei denen die Daten gespeichert sind oder zusammenlaufen. Die andere Frage ist aber, wer was mit den Daten macht – und hier kommen kleinere Firmen und App-Entwickler ins Spiel. Weil die tun sich oftmals sogar leichter, da sie beweglicher sind und mit einer App ganz schnell auf Anforderungen und ein ganz spezifisches Problem reagieren können.

Also viele kleine Bill Gates anstelle eines großen?
Die Chance, der nächste Bill Gates oder Google zu werden, ist natürlich klein, obwohl auch Google klein angefangen hat. Für junge Menschen, die heute an der Uni lernen, wie man eine coole App für Android oder iPhone programmiert, ist es dennoch ein tolles Gefühl zu wissen, dass man mit der nächsten App unter Umständen Großes schaffen kann.

Haben die neuen App-Ökosysteme zu einem Paradigmenwechsel in der IT-Branche geführt?
Definitiv. Generell gibt es wohl keine andere Industrie, in der so viele Leute auf dem Rücken anderer Firmen erfolgreich sind. Das war aber nicht der einzige Paradigmenwechsel. Im Vergleich zu früher ist die Technologiewelt um ein Vielfaches schneller geworden. Nur weil ein Konzern heute groß ist, heißt es nicht, dass das in fünf Jahren noch der Fall ist. Die Karten werden ständig neu gemischt. Das ist auch IBM Anfang der 90er-Jahre fast zum Verhängnis geworden.

Aus Business-Sicht könnte die Analyse von Big Data helfen, die richtigen Geschäftsentscheidungen zu fällen. Wird der Computer einmal auch kreative Vordenker wie Steve Jobs obsolet machen?
Ich glaube nicht, dass wir mit Big Data in den nächsten Jahren einen Steve Jobs, einen guten Arzt oder einen Modedesigner ersetzen können - oder überhaupt irgendetwas, wo Kreativität oder Intuition eine Rolle spielt. Wenn der Computer die „next best action“ vorschlägt, geht es in erster Linie darum, aus einer riesigen Menge von Informationen schnell Erkenntnisse zu gewinnen und die vielversprechendste Lösung eines Problems zu erarbeiten.

Dennoch: Man könnte ja argumentieren, dass wenn ein mächtiges Analyseprogramm die Bedürfnisse von Handy-Nutzern und die technischen Möglichkeiten sowie die Marktgegebenheiten analysiert hätte, am Ende der Berechnung ein Gerät wie das damals revolutionäre iPhone herausgekommen wäre.
Um zu wissen, dass Mobiltelefone schlecht zu bedienen sind und keinen Spaß machen, braucht man kein Big Data. Das hat Steve Jobs gewusst, aber das war auch mir klar. Wie man allerdings aus dieser Erkenntnis heraus ein Gerät sowie ein Business- und Marketing-Modell entwickelt, war die Genialität und beinahe künstlerische Begabung eines Steve Jobs. Das wird es so schnell auch nicht wieder geben.

Auf welche technischen Revolutionen oder Geräte dürfen wir Ihrer Meinung nach in den nächsten Jahren gespannt sein?
Wenn ich immer wissen würde, was das „next big thing“ ist, würde ich vermutlich nicht mehr hier sitzen. Aber ich will es eigentlich auch gar nicht wissen, ich bin ja kein Hellseher. Klar ist: die gesellschaftlichen Implikationen von Technologie werden in Zukunft eine viel stärkere Rolle spielen als die Technologie selber. Andererseits: Unsere IBM-Forscher, die an der übernächsten Chip-Architektur arbeiten, haben mittlerweile das Problem, dass ihnen für die Datenverarbeitung mittlerweile schon die Lichtgeschwindigkeit zu langsam ist.

Das Gespräch der futurezone mit Moshe Rappoport fand am Rande der Veranstaltung "IKT Trends 2020" der Österreichischen Computer Gesellschaft statt.

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Martin Jan Stepanek

martinjan

Technologieverliebt. Wissenschaftsverliebt. Alte-Musik-Sänger im Vienna Vocal Consort. Mag gute Serien. Und Wien.

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