© Stephan Boroviczeny

Forschung

TU Wien: "Wir brauchen Innovationsbewusstsein"

futurezone: Wie würde die Technikwelt aussehen, wenn 50 Prozent der Frauen ein Mitspracherecht hätten bzw. sie mitgestalten würden?
Sabine Seidler: Ehrlich?

Ja.
In vielen Bereichen wesentlich besser durchdacht.

Wie lauten Ihre Kritikpunkte?
Bei vielen technischen Lösungen denkt man sich, wer hat sich denn das nur ausgedacht. Schauen Sie sich die Küchengeräte an, da gibt es Mängel. Da denke ich mir oft, da hatten ein Freak und ein Designer eine Idee, aber die Logik ist von vornherein nicht immer gegeben. Und in der Logik haben Frauen aber ihre Stärke.

Werden Sie in Ihrer Tätigkeit die weibliche Komponente stärken, Technik weiblicher machen?
Die Frage ist letztendlich, was man erreichen kann, um Dinge wie Quoten auf eine rationale und sinnvolle Basis zurück zu führen. Unsere technischen Themenstellungen sind nicht besonders beliebt, bei Frauen schon ganz und gar nicht. Und nun überlegen wir, was für junge Frauen besonders hinderlich beziehungsweise förderlich ist, welche Themen für Frauen attraktiv sind. Aber sind es unsere Themen?

Sie sind ja ein Beispiel dafür, dass eine Frau in einer von Männern dominierten Domäne die Führung übernehmen kann. Sie haben eine Vorbildfunktion.
Früher habe ich das immer verneint, aber es gibt die Vorbildfunktion als solches. Ich habe nach meiner Wahl unglaublich viele Glückwünsche erhalten, von Frauen innerhalb der TU Wien, aber auch von Frauen außerhalb der TU, von irgendwo aus Österreich, die ich noch nie gesehen habe und vermutlich auch nicht treffen werde, die mir gratuliert haben. Frauen, die sich gefreut haben, dass einer Frau dieser Schritt gelungen ist.

Dabei ist Ihr Karrieresprung logische Konsequenz ihrer Laufbahn und hat nichts mit einem Frauen-Förderprogramm zu tun.
Ich habe ein grundsätzliches Problem mit der Frauenförderung. Wir machen Programme für Frauen, und für dieses und jenes. Seit 20, 30 Jahren betreiben wir starke Frauenförderung, aber am Bild hat sich nicht wirklich etwas geändert. Jetzt frage ich mich: was ist die Frauenförderung wert und wer muss gefördert werden? Meine provokante These ist: Es gilt nicht die Frauen zu fördern, sondern das Umfeld.

Ein futurezone-Leser (adsf111, Anm.) kommentierte bei Bekanntwerden Ihres Rektorats – er finde es traurig, dass man ständig betont, dass eine Frau den Job bekommen hätte, dass es die erste Frau in diesem Beruf sei. Er sagte, das müsse doch selbstverständlich sein.
Das ist genau das, was ich gemeint habe. Man muss diese Quotendiskussion auf eine rationale Basis bringen. Es muss normal sein. Die Öffentlichkeit, die ich genieße, ist zwar gut für die TU, aber sie ist eigentlich nicht das, was ich möchte.

Was möchten Sie?
Dass es normal ist und man darüber nicht reden muss.

Wie kann man diese von Ihnen geforderte Normalität realisieren?
Ich kann das nicht lösen. Wir haben ein gesellschaftliches Problem zu lösen und daran kann ich mitwirken. Ich kann zeigen, dass es möglich ist, in einem technischen Beruf zu arbeiten und dass es möglich ist, Familie daneben zu haben. Über die Opfer will ich in diesem Zusammenhang nicht reden, denn da ist ein Kraftakt nötig. Auf der anderen Seite muss sich die Gesellschaft aber im Klaren sein, dass man sich von gewissen Rollenbildern verabschieden muss. Und diese Aufgabe kann ich nicht leisten. Diskussionen dürfen nicht bei der Quote aufhören. Die Politiker lehnen sich zufrieden zurück in ihren Lehnstuhl, weil sie eine 40-Prozent-Quote in irgendeinem Gesetz drinnen stehen haben.

Die 40-Prozent-Quote gibt es auf der TU Wien aber noch lange nicht?
Bei uns sieht die Realität so aus: Wir haben derzeit 136 ProfessorInnen, davon sind 14 Frauen. Und diese 14 Frauen sind, da 40 Prozent Frauen in jedem Gremium sein sollen, unter dem permanenten Druck, in jeder Kommission vertreten sein zu müssen. Wir haben eine rationale Regelung. Denn sonst müssten unsere Frauen nur noch in Kommissionen sitzen und könnten ihrer fachlichen Arbeit nicht mehr nachkommen. Selbst ich muss vor jeder Einsetzung einer Berufungskommission oder Habilitationskommission in meiner Fakultät schriftlich erklären, dass ich gefragt wurde, mitzuarbeiten, aber nicht mitarbeiten möchte. Ich und meine Kolleginnen sind ins Haus gekommen, um zu forschen und nicht um irgendwelche Quoten zu erfüllen.

Im Uni-Ranking „Times Higher Education World University-Ranking“ rangiert die TU Wien auf Platz 312. Das ist nicht unbedingt ein Spitzenplatz. Worauf führen Sie das zurück?
Wenn Sie sich das Ranking ansehen, sehen Sie sofort, dass dies eine Finanzierungsthematik ist. Es ist aber auch eine Profilierungsthematik. Wir haben in Österreich die Situation, dass jede Universität über viele Jahrzehnte geglaubt hat, sie muss alles tun. In den vergangenen Jahren hat da aber ein Umdenken begonnen, man hat sich gefragt, ob es Sinn macht, alles zu tun und ob es nicht sinnvoller ist, sich komplementär miteinander aufzustellen. Dieser Prozess läuft seit 2004.

Da war die Universitäts-Autonomie aber sehr hilfreich.
Bis 2004 hatten wir ja die zentrale Steuerung des Ministeriums und da ist tatsächlich nicht wirklich etwas gesteuert worden. Die Universitäts-Autonomie hat bewirkt, dass die Unis für sich selbst entscheiden können, und das hat eben in einem „jeder muss nicht alles haben“ geendet.

Wo wollen Sie ihre Schwerpunkte setzen?
Wir haben unsere fünf Forschungsschwerpunkte: Computational Science and Engineering, Quantum Physics and Quantum Technologies, Materials and Matter, Information and Communication Technology sowie Energy and Environment. Im Schwerpunkt Energie & Umwelt liegen unsere besonderen Stärken in „Klimaneutrale Energieerzeugung, -speicherung und -verteilung”, sowie im Gebiet „Umweltmonitoring und Klimaanpassung“.

Diese Thematik hat ein enormes Potenzial. Energie & Umwelt wird als das Zukunftsthema schlechthin beschrieben.
Das ist schon jetzt ein Thema und wird ein Thema der Zukunft bleiben, weil man Energie & Umwelt schwer voneinander trennen kann. Umwelt ohne Energie geht vielleicht noch, Energie ohne Umwelt ist undenkbar.

Wie bauen Sie diesen Schwerpunkt auf?
Innerhalb dieser Schwerpunkte sind wird dabei uns intern zu vernetzen. Eine unserer großen Schwächen in der Vergangenheit war, dass wir zwar über hervorragende Arbeitsgruppen verfügen, die Kollegen aber nicht ausreichend miteinander kommuniziert haben. Durch die Kommunikation entstehen Netzwerke und neue Ideen und wir kommen in Kooperationsmöglichkeiten, die nicht mehr bedeuten, Professor A kooperiert mit Firma B, sondern die Professoren A, B und C kooperieren mit Firma D.

Die Verschränkung Wissenschaft und Unternehmertum habe ich bei der TU Wien bislang ein wenig vermisst. Bei den US-Unis funktioniert das ja besser.
Das ist ein großes Thema, aber in Europa gibt es kaum Risikokapital. Und das macht viele Dinge sehr langsam.

Die Technologie-Branche wird von US-Firmen dominiert. Europa scheint da etwas geschlafen zu haben. Nokia hat verloren, Siemens hat nicht mehr den Stellenwert, den der Konzern einmal hatte. Und erfolgreiche europäische Ideen, wie etwa Skype, werden in die USA verkauft. Fehlt den Europäern ein IT-Bewusstsein?
Man verkauft diese Ideen, weil man einen Gewinn erzielen will. Wenn der Gewinn in Europa nicht da ist, wird etwas eben in die USA verkauft. Auch wir verkaufen unser Know-How, aber in Europa. Wir verkaufen es an die klein- und mittelständische Industrie in Österreich. Wir sollten nicht Dinge, die wir ohnehin schon verloren haben, zurückholen, sondern uns überlegen, in welchen Bereichen wir noch stark und weltführend sind. Und das ist der Bereich der Umwelttechnologien. Da ist Europa mit Sicherheit Weltspitze. Wir müssen überlegen, wie wir diese globale Führungsrolle nicht verlieren. Aber das können auch die Universitäten allein nicht leisten.

Gibt es Gespräche mit großen Konzernen?
Auf österreichischer Ebene ja. Vor wenigen Wochen haben wir mit dem Verbund eine fünfjährige Kooperationsvereinbarung geschlossen, wo wir in fünf Forschungsthemen Entwicklungen betreiben wollen. Da geht es auch um den Technologie-Transfer. Es gibt Ergebnisse, die werden als Publikation oder Patent präsentiert, aber ein Ergebnis bedarf vieler Entwicklungsschritte, um zum Produkt zu werden.

Gibt es in Österreich ein Innovationsbewusstsein?
Nicht wirklich. Das ist genau das, was entwickelt gehört. Um den Wissensvorsprung ausnützen zu können, muss man aus diesem einen Technologievorsprung machen. In den USA gibt es viele private Initiativen. Diese Kultur haben wir in Europa nicht. Es macht nur ein europäisches Auftreten Sinn. Wir werden nicht als Österreich/Deutschland/Frankreich gegen China bestehen können … als Europa aber schon.

Wenn man österreichisches Know-How mit internationalem Know-How vergleicht: Österreichische TU-Studenten sind um nichts schlechter als amerikanische TU-Studenten.
Auf gar keinen Fall.

Warum geht es in den USA besser. Hat das wirklich nur mit den Geldgebern zu tun?
Es hat sicherlich auch mit dem Bewusstsein des Umfeldes zu tun. Wir sind Anfänger im Umgang in Themen „wie kann ich Ideen zum Leben bringen?“ oder „wie kann ich kreative junge Leute fördern?“ Da haben wir noch viel Arbeit vor uns.

Um etwas realisieren zu können, benötigt man aber Geld bzw. Geldgeber.
Es muss ein Umfeld geschaffen werden, damit die jungen Leute motiviert werden. Wir haben in Österreich das A+B-Programm, das steht für Academia und Business. Wo man eben Unternehmertum aus Universitäten heraus fördert. Diese Programme sind aber nur so wirksam, so aufbereitet das Umfeld ist.

Wie viele Geldmittel stehen da zur Verfügung?
Diese A+B-Mittel stehen allen Universitäten zur Verfügung, ist aber nicht üppig dotiert.

Was halten Sie von einem Topf, in den die erfolgreichen heimischen Konzerne einzahlen, damit heimische Projekte und Ideen gefördert werden?
Die Problematik der Innovationsförderung seitens der Unternehmer ist, dass sie ein Henne-Ei-Problem daraus machen. Sie fragen: „Was könnt ihr uns anbieten? Schreibt ein Projekt, dann sagen wir euch, wie viel Geld wir euch geben können!“ So soll es aber nicht sein. Die Idee ist, eine Vision zu entwickeln. Man braucht auf der einen Seite den Freigeist, der ohne finanzielle Grenzen einfach nur denkt, und man braucht auf der anderen Seite die Unternehmen, die bereits sind, Ideen aufzugreifen und Produkte zu entwickeln. Ich weiß nicht, ob US-Unternehmen anders sind, was nicht sein kann, da sie global sind. Faktum ist, dass wir in Österreich immer wieder an Grenzen stoßen, die sogar das Entwickeln von gemeinsamen Visionen sehr schwer machen. Schauen Sie nach Aachen und sehen Sie sich an wie viele Stiftungsprofessuren dort von Unternehmen finanziert werden.

Die Uni Erlangen war ja so was wie die Haus-Uni für Siemens, wo die Abgänger direkt im Konzern untergekommen sind.
Man kann Österreich nicht mit Deutschland vergleichen. Aber auf der anderen Seite hat in Klagenfurt das Land gemeinsam mit dem Bund sieben Stiftungsprofessuren im IT-Bereich eingerichtet. Ich habe nichts gegen Klagenfurt, aber ich frage mich, wozu. Das war vollkommen unabgestimmt. Auf der einen Seite ist das ja Klasse, weil man einer Region geholfen hat. Aber Strukturüberlegungen für Österreich stecken da nicht drinnen. Es stecken lokale Überlegungen dahinter.

Hat das österreichische Forschungssystem zu wenig Geld?
Für die Forschung gibt es in Österreich viel Geld, aber die Verteilung ist das eigentliche Problem. Wenn Sie sich anschauen, was das BMVIT und das Wirtschaftsministerium im Vergleich zum Wissenschaftsministerium an Forschungsmitteln haben … da kommen Ihnen die Tränen. Und was dann alles unter Forschung etikettiert wird. Der Herr Androsch wird mich vierteilen, aber ich bin gegen eine Aufstockung der Forschungsquote, weil im Grunde genommen qualitätsungesichert Mittel in Unternehmen laufen, wo am Ende des Jahres der Wirtschaftsprüfer entscheidet, war das Forschung oder nicht. Das gibt es nur in Österreich. In allen anderen europäischen Ländern laufen die Forschungsmittel über die Forschungseinrichtungen.

In Österreich wird außerhalb der Unis kaum geforscht.
Das ist das Problem: wir haben in Österreich keine außeruniversitäre Forschungslandschaft, zumindest keine große. Entweder die Unis kooperieren oder sie kooperieren nicht. Beispiel AIT, das Austrian Institute of Technology entwickelt sich genau so, dass es eine Chance hat, als kleine Forschungseinrichtung zu bestehen.

Es kommt auf das Fördersystem an.
Auch das Fördersystem ist falsch herum. Forschungsmittel sollten über die Forschungseinrichtung in die Unternehmen gehen. Wenn bei uns ein Universitätsinstitut über die FFG eine Förderung will, muss zumeist das Unternehmen einen Antrag stellen, sonst kriegt man die Förderung nicht. Institutsmitarbeiter machen aber das gesamte Projekt, von der Idee über den Antrag bis zum Projektmanagement. Und dann sagt das BMVIT: „Wir fördern keine Universitäten, dafür ist das Wissenschaftsministerium zuständig.“ Und das Wirtschaftsministerium sagt das gleiche. Wer bitte soll denn mit den Unternehmen forschen, wenn nicht Universitäten und Forschungseinrichtungen.

In den USA greift der Staat nicht ein.
Dort gibt es ja die vielen Fonds, bis auf eine Ausnahme. Dem MIT geht es ja deshalb so gut, weil da auch Militärforschung dahinter steckt. Da stecken indirekt viele staatliche Mittel drinnen. Man braucht klare kompetitive Verfahren. Die gibt es in den USA. Auf der anderen Seite gibt es in den USA die Möglichkeit, sich die Studierende auszusuchen. Als MIT muss ich nicht die Tore aufmachen für jeden. Da muss ich nicht im Herbst 1200 Architektur- und Raumplanungsstudierenden ins System hinein nehmen, von denen ich nicht weiß, wie ich sie bewältigen soll.

Würden Sie auch gerne nur ausgewählte Studenten aufnehmen?
(Seufzt.) Die Antwort ist relativ einfach. Ich möchte gerne die Studierenden aufnehmen können, die selbst die entsprechenden Talente haben.

Wie stellt man das fest?
Das ist das Schwierige. Und vor allem wie viel Zeit und wie viel Geld investiert man, um das festzustellen.

Welchen Platz wird die TU Wien im Jahr 2015 innehaben?
Ich weiß nicht, ob es dieses „Times Higher Education World University-Ranking“ sein wird. Dieser Platz hängt von verschiedenen Faktoren ab. Es ist eine rein strategische Frage: Welches der vielen Rankings die es gibt, nehme ich mir vor? Welches kann ich mit meinen Mitteln beeinflussen? Ein Ranking, in dem die Nobelpreisträger einberechnet werden (Anm.: Shanghai-Ranking), da haben wir nichts zu bieten. Aber ein Ranking, in dem es um Forschung, um Forschungsleistung, um AbsolventInnen geht, da kann man sich stärker positionieren. Da hab ich mir ganz fest vorgenommen, dass wir daran arbeiten werden, das Ranking zu verbessern.

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Sabine Seidler wurde im März als erste Frau an die Spitze der TU Wien gewählt. Am 1. Oktober wird die Werkstofftechnikerin, die seit 2007 als Vizerektorin für den Forschungsbereich der Hochschule verantwortlich war, die Nachfolge des langjährigen Rektors Peter Skalicky antreten.

Link:
TU Wien

TU Wien kooperiert mit futurezone.at
Die TU Wien und futurezone.at haben diese Woche eine Kooperationsvereinbarung getroffen, damit universitäre Innovationen mehr Publikum finden. Auf futurezone.at gibt es ab sofort einen eigenen Top-Thema-Bereich "

Hier forscht Österreich"
. In dieser Rubrik werden regelmäßig die Innovationen der TU Wien vorgestellt.

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