Fast intakte ukrainische Neptun-Rakete in Russland angespült
Die R-360 Neptun ist keine Unbekannte. Die in der Ukraine gebaute Antischiffsrakete wurde 2022 genutzt, um die Moskwa zu versenken, das Flaggschiff der russischen Schwarzmeerflotte.
Jetzt ist eine Neptun in der Nähe der russischen Hafenstadt Taganrog an Land gespült worden. Soweit bekannt, dürfte es das erste Exemplar der Rakete sein, das Russland erbeutet hat, nachdem die Rakete abgefeuert wurde.
Laut russischen Milbloggern wurde der Marschflugkörper von der russischen Luftabwehr abgefangen. Ob das wirklich passiert ist, oder die Rakete aufgrund einer Fehlfunktion im Meer gelandet ist, ist nicht bekannt.
Die R-360 basiert auf der russischen Kh-35. Äußerlich sehen sie sich sehr ähnlich. Bei den Hauptflügeln des Leitwerks hat die R-360 aber einen charakteristischen Knick, den die Kh-35 nicht hat. Dieser ist gut im Video zu sehen. Auch das Heck der Rakete mit dem Triebwerk entspricht der R-360.
Nicht klar ist, ob es sich um die reguläre Antischiff-Neptun, oder um die modifizierte Variante zum Angriff auf Landziele handelt. Während die normale Neptun eine Reichweite von bis zu 300 Kilometer haben soll, sind es bei der Variante gegen Landziele bis zu 360 Kilometer.
Aufschluss über die angespülte Rakete könnte der Suchkopf liefern – aber der fehlt. Die Antischiff-Neptun nutzt ein Trägheitsnavigationssystem (INS), um in die Nähe des Ziels zu finden. Dabei werden die Koordinaten vor dem Start einprogrammiert. Durch Beschleunigungs- und Lagesensoren wird die geografische Position bestimmt. Das ist zwar ungenauer als GPS, aber benötigt kein Satellitensignal und ist damit resistent gegen Jamming. Im finalen Zielanflug schaltet die R-360 auf aktives Radar um, um das Schiff zu finden.
Bei der Landversion soll eine Kombination auf GPS, INS und Infrarot zum Einsatz kommen. Damit würde die Landziel-Neptun das Gegenstück zur britischen Storm Shadow werden, die die Ukraine erfolgreich gegen russische Ziele einsetzt. Allerdings wird die Storm Shadow von Flugzeugen aus gestartet, während die R-360 Neptun von einem Lkw aus abgefeuert wird.
Die Ukraine hat bereits früher Landziele in Taganrog mit Raketen angegriffen, wie etwa einen Luftwaffenstützpunkt. Das würde für die Theorie sprechen, dass der angespülte Marschflugkörper die Landziel-Version der Neptun ist. Von der Distanz her würde es sich jedenfalls ausgehen, dass sie von einem Lkw-Starter aus in der Ukraine abgefeuert wird, um ein Ziel in Taganrog zu erreichen.
Russland wird die R-360 analysieren
Im August 2023 wurde mit einer Landziel-Neptun ein russisches S-400 Flugabwehrsystem zerstört. Dieses befand sich auf der Krim und war ähnlich weit von den Frontlinien entfernt, wie Taganrog.
In dem vom ukrainischen Militär veröffentlichten Video des Angriffs, wurde bewusst der Anflug weggelassen. Es ist nur die Explosion nach dem Einschlag zu sehen. So sollte verhindern werden, dass Russland hilfreiche Informationen zur R-360 erhält.
Die dürften sie jetzt aber durch die angespülte Rakete bekommen. Hier könnte es Glück für die Ukraine sein, dass der Suchkopf der Rakete fehlt. Denn sollte es sich um die Landziel-Version handeln, könnte Russland dessen Fähigkeiten analysieren und so etwa GPS-Jammer optimieren oder Schutzmaßnahmen gegen den Infrarot-Sensor anpassen.
Angemalte Schiffe und Reifen auf Flugzeugen
Russland hat mehrfach versucht, mit improvisierten Maßnahmen die Suchköpfe von Raketen zu verwirren. So wurden etwa Kriegsschiffe vorne und hinten schwarz angemalt, um optische Sensoren, die das anvisierte Ziel mit einem eingespeicherten Bild vergleichen, zu täuschen.
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Um Infrarot-Suchköpfe zu verwirren, wurden bei Luftwaffenstützpunkten Reifen auf Flugzeuge gelegt.
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Mögliche Munitionsknappheit der Ukraine
Rüstungsexpert*innen verweisen darauf, dass die Verwendung der R-360 auf ein Problem hindeuten könnte. Üblicherweise würden für Landziele, bei denen bekannt ist, dass sie von Luftabwehr geschützt ist, Storm Shadows oder die baugleiche französische SCALP-EG zum Einsatz kommen. Diese haben nämlich Stealth-ähnliche Eigenschaften, die die R-360 nicht aufweist, und damit eine höhere Chance, die Luftabwehr zu umgehen.
Wenn trotzdem die R-360 genutzt wird, könnte das darauf hindeuten, dass die Munitionsvorräte der Ukraine zur Neige gehen. Als weiterer Hinweis dafür wird gesehen, dass sich die Ukraine seit einer Weile um Taurus-Raketen bemüht, das deutsche Gegenstück zur Storm Shadow. Bisher ist Deutschland diesem Wunsch nicht nachgekommen.
Es ist nicht auszuschließen, dass in diesem Fall absichtlich eine Neptun gestartet wurde, etwa um die Fähigkeiten der Luftabwehr auf einer bestimmten Flugroute zu testen. Möglich ist auch, dass sie als Decoy genutzt wurde – also als Ablenkung, damit eine Storm Shadow von einer anderen Flugrichtung aus das Ziel treffen kann.