Meinung

Aber bei Tieren wirkt es doch auch

Egal, wie man zur Alternativmedizin steht, eines muss man zugeben: An Fantasie fehlt es in der wundersamen Welt esoterischer Heilmethoden nicht. Man kann sich die Aura massieren lassen, ohne berührt zu werden. Man kann es mit feinstofflicher Quantenheilung probieren, auch wenn niemand weiß, was das bedeuten soll. Man kann sich homöopathische Präparate kaufen, die kein einziges Molekül irgendeines Wirkstoffs enthalten. Und immer gibt es begeisterte Kunden, die ganz fest davon überzeugt sind, dass diese Methoden wirken. Sie sind geheilt, also hat es geholfen. Ende der Diskussion.

Allerdings spielt bei solchen Behandlungsmethoden der Placeboeffekt die entscheidende Rolle. Wir glauben, dass uns eine Behandlung helfen wird, wir werden ruhiger, nehmen vielleicht unseren Schmerz nicht mehr ganz so tragisch – und schon ist aus einer positiven Erwartungshaltung eine echte Linderung geworden. Die innere Einstellung kann einen echten Unterschied machen, zwischen Körper und Psyche lässt sich nicht immer eine scharfe Trennlinie ziehen.

Placeboeffekt: Auch bei Kindern und Tieren

Doch Alternativmediziner geben sich damit nicht zufrieden. Sie legen höchsten Wert auf die Feststellung, dass ihre Methoden eben nicht bloß durch den Placeboeffekt wirken. Und aus der Trickkiste esoterischer Argumentationskunst wird dann immer wieder dasselbe Argument hervorgeholt: Bei Babys und bei Tieren wirkt es doch auch! Und die wissen doch gar nicht, dass sie ein Medikament bekommen haben – also kann es kein Placeboeffekt sein!

Das klingt gut, stimmt aber nicht. Auch in solchen Fällen kann es einen starken Placeboeffekt geben – man nennt das „Placebo by Proxy“. Nervöse Jungeltern, die Angst haben, mit ihrem kranken Goldschatzkind irgendetwas falsch zu machen, übertragen ihre angespannte Zitterstimmung auch auf das Baby. Wenn sie dem Kind dann wirkungslose Scheinmedikamente geben, haben sie das Gefühl, etwas Nützliches getan zu haben, und die neugewonnene innere Ruhe hat einen positiven Einfluss auf das Kind. Auch Tiere sind extrem sensibel und werden von der Stimmung ihrer Menschen stark beeinflusst. Die Person, die eine Placebo-Behandlung verabreicht, wird über nonverbale Kommunikation zum Vermittler einer tatsächlichen Wirkung.

Genau das ist auch der Grund, warum man in der Wissenschaft Doppelblind-Studien durchführt, um  die Wirksamkeit von Medikamenten zu testen: Eine Gruppe von Patienten bekommt ein echtes Medikament, eine andere Gruppe bekommt ein Placebo. Ein Placebo-Effekt tritt in beiden Fällen ein, aber wenn das Medikament eine echte physiologische Wirkung hat, sollte es darüber hinaus noch stärker helfen. Um das zu testen, darf auch der Arzt nicht wissen, welcher Patient sich in der Placebo-Gruppe befindet und welcher das echte Medikament bekommt. Er würde sonst als „Proxy“ durch nonverbale Signale den Test verfälschen.

Placebo ist kein Schwindel

Der Placeboeffekt bedeutet nicht, dass dem Patienten „eingeredet“ wird, dass er geheilt ist. Es geht nicht um eine bewusst erzählte Lügengeschichte, an die man glauben muss. Beim Placeboeffekt geht es um ein komplexes Zusammenspiel aus Patient und Umgebung, aus Psyche und Körper, aus Erwartung und selbsterfüllender Prophezeiung. Ein Baby oder ein kluges, sensibles Haustier kann davon genauso profitieren wie ein erwachsener Mensch.

Außerdem muss nicht einmal ein Placeboeffekt am Werk gewesen sein, wenn eine Besserung eintritt. Zum Glück sind Lebewesen so gebaut, dass die meisten Gesundheitsprobleme ganz von alleine wieder behoben werden. Niemand weiß, ob dieselbe Besserung nicht auch ohne Behandlung eingetreten wäre. Bei chronischen Beschwerden schwankt die Stärke der Symptome mehr oder weniger zufällig. Eine Behandlung (ob eingebildet oder physiologisch wirksam) beginnt man normalerweise in einer Phase, in der es besonders schlimm ist. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird danach eine bessere Phase kommen – so wie auf eine extrem verregnete Woche mit großer Wahrscheinlichkeit eine Woche folgt, die zumindest ein bisschen weniger extrem verregnet ist.

Vergessen darf man aber nie: Wenn eine Krankheit vorliegt, die einen echten, physiologischen Eingriff verlangt, nützt auch der beste Placeboeffekt nichts. Placebomedizin wird spätestens dort gefährlich, wo sie eine echte Therapie, die eigentlich nötig wäre, verzögert oder gar verhindert. Und solche traurigen Fälle gibt es leider viel zu oft.

Zur Person

Florian Aigner ist Physiker und Wissenschaftserklärer. Er beschäftigt sich nicht nur mit spannenden Themen der Naturwissenschaft, sondern oft auch mit Esoterik und Aberglauben, die sich so gerne als Wissenschaft tarnen.

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Florian Aigner

Florian Aigner ist Physiker und Wissenschaftserklärer. Er beschäftigt sich nicht nur mit spannenden Themen der Naturwissenschaft, sondern oft auch mit Esoterik und Aberglauben, die sich so gerne als Wissenschaft tarnen. Über Wissenschaft, Blödsinn und den Unterschied zwischen diesen beiden Bereichen, schreibt er regelmäßig auf futurezone.at und in der Tageszeitung KURIER.

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