EU-Kommission führt das Zwei-Klassen-Internet ein
Am Mittwochabend wurde der lange erwartete Vorschlag der EU-Kommission zur Erschaffung des einheitlichen europäischen Telekommunikationsmarktes veröffentlicht. Darin sollte es Regelungen zur Festschreibung der Netzneutralität geben, zumindest hatte EU-Kommissarin Neelie Kroes dies in der Vergangenheit mehrfach versprochen.
Doch der Vorschlag der EU-Kommission, der am Donnerstag in Brüssel offiziell präsentiert wird, geht in eine ganz andere Richtung. EU-Politiker und Netzaktivisten sind gleichermaßen entsetzt. Der SPÖ-EU-Abgeordnete Josef Weidenholzer bezeichnete den Vorschlag als „schlechten Witz“, die Grüne-EU-Abgeordnete Eva Lichtenberger als „Mogelpackung“, der fraktionsfreie EU-Abgeordnete Martin Ehrenhauser sagt: „Die vorgeschlagenen Regeln führen unweigerlich zu einem Zwei-Klassen-Internet.“
Markus Beckedahl von der Bürgerrechtsorganisation Digitale Gesellschaft e.V. schreibt dazu etwa: „Da steht zwar Netzneutralität drauf, aber im Text wird genau das Gegenteil geregelt: Größtmögliche Freiheit für die Telekommunikationsunternehmen, das Zweiklassen-Netz zu schaffen und die Netzneutralität abzubauen.“
Premium-Dienste sind möglich
Der EU-Vorschlag erlaubt beispielsweise, dass die Internet-Provider mit den Inhalte-Anbietern Premium-Dienste aushandeln können, die dann für zahlungswillige Kunden schneller zur Verfügung stehen. Konkret heißt es in der Erwägung 50: „Anbieter öffentlicher elektronischer Kommunikation sollten deshalb die Freiheit haben, Spezialdienst-Vereinbarungen über konkrete Dienstqualitätsniveaus zu schließen, sofern solche Vereinbarungen die allgemeine Qualität der Internetzugangsdienste nicht nennenswert beeinträchtigen.“ Was eine „nennenswerte Beeinträchtigung“ ist, wird jedoch nicht näher definiert.
„Damit droht die Innovationskraft des Netzes verloren zu gehen, denn Start-ups können sich nicht gegen die finanzstarken Inhalte-Anbieter durchsetzen und werden keine gleich schnelle Datenübertragung anbieten können“, erklärt Ehrenhauser, der über den Vorschlag entsetzt ist. Weidenholzer von der SPÖ sieht dies ähnlich: „IT-Giganten zu erlauben, für Expressdaten extra Geld zu verlangen, ist kundenfeindlich, hemmt die Innovation und stellt einen schweren Anschlag auf das Internet dar. Diese sogenannte Überholspur im Internet ist eine Einbahnstraße, von der lediglich Telekommunikationsgiganten profitieren werden.“
Sogar einige der Kommissionsmitglieder befürchten, dass durch ein neues Zwei-Klassen-Prinzip große Telekom-Konzerne gegenüber kleinen Rivalen bevorzugt würden. Kroes habe sich aber mit ihrem Vorschlag aber durchsetzen können und die Mehrheit der Kommissare auf ihre Seite gezogen, sagte ein mit der Sache vertrautes hochrangiges Mitglied der EU-Kommission.
Netzsperren durch die Hintertür
Internetanbieter dürfen also laut dem EU-Kommissionsvorschlag zwischen Inhalten unterscheiden und müssen nicht alle Datenpakete zu gleichen Bedingungen transportieren. Es geht aber noch viel weiter: Internetanbieter sollen auch in bestimmten Ausnahmefällen Inhalte verlangsamen oder gar blockieren dürfen. Als Beispiele hierfür nennt die EU-Kommission hier den "Kampf gegen Kinderpornografie“ oder eine „drohende Überlastung des Internets“. Konkret heißt es im Vorschlag: „um schwere Verbrechen abzuwehren oder zu verhindern“. Ehrenhauser hierzu: „Es ist ein weiterer trauriger Höhepunkt, dass die EU-Kommission durch die Hintertüre Netzsperren einführen möchte. Der Interpretationsspielraum für schwere Verbrechen ist enorm und könnte auch bis auf Urheberrechtsverletzungen ausgedehnt werden.“
Damit die Pläne der Kommission tatsächlich umgesetzt werden, müssen allerdings auch die EU-Staaten und das EU-Parlament zustimmen. Die EU-Parlamentarier sind zuversichtlich, dass man „diesen Scherbenhaufen noch aufkehren kann“, wie es Ehrenhauser ausdrückt. „Das EU-Parlament hat sich bisher in zwei Resolutionen für Netzneutralität ausgesprochen. Es liegt nun am EU-Parlament in den kommenden Monaten für eine klare Definition von Netzneutralität zu kämpfen und diese umzusetzen.“