© EPA/BORIS ROESSLER/Wikipedia (Montage)

ONLINE-LEXIKON

"Wikipedia angesehener als jedes Lexikon"

Die Welt der Erotik im Web war sein erster Kontakt mit dem Internet-Business. 1996 gründete Jimmy Wales Bomis.com, eine Plattform für Foren, darunter auch jene, die sich dem Thema Sex widmeten und über die Erotikbilder verkauft wurden. "Keine Pornografie", wie er immer wieder betont, denn das wird dem 44-Jährigen mitunter vorgeworfen. 2006 legte Wales seine Beteiligung zurück, die Seite ist mittlerweile nicht mehr online.

Der große Wurf, mit dem er weit weniger Geld verdient als im Erotik-Bereich, gelang ihm am 15. Jänner 2001: Er gründete Wikipedia, das populärste Lexikon der Gegenwart, das Brockhaus und Enzyclopedia Britannica obsolet gemacht hat. Dass man mit einem Online-Lexikon erfolgreich sein kann, konnte sich Wales einst nicht wirklich vorstellen. "Einen Platz unter den Top- 100- oder Top-50-Webseiten hielt ich damals für möglich", sagt Wales, "dass wir heute zu den fünf begehrtesten Webseiten der Welt zählen, ist etwas Besonderes."

16 Millionen an Spendengeldern

"Ich gehe wegen dieser 10-Jahres-Sache derzeit in Anfragen aus der ganzen Welt unter", so Wales zur FUTUREZONE. Erst vor wenigen Wochen ist es ihm gelungen, die 16 Millionen Dollar Spenden aufzutreiben, die den Weiterbestand von Wikipedia garantierten - übrigens schneller als in den Jahren zuvor, dabei hatte er im Vorjahr "nur" acht Millionen Dollar benötigt.

Wikipedia ist auf Spenden und die Arbeit Freiwilliger angewiesen, um seine Server zu finanzieren. Würde Wales sich ein Vorbild an Google nehmen und Online-Werbung in Wikipedia zulassen, könnte er Milliarden verdienen, aber "Wikipedia bleibt werbefrei. Wir werden von Spendern unterstützt, und so bleibt es auch. Das ist gut für uns und gut für die Welt."

Internet-Boom in Schwellenländern

Wales wird künftig viel Geld benötigen, denn er hat große Pläne. "Ich bin überzeugt, dass das Internet in den kommenden zehn Jahren sein globales Potenzial erreichen wird", so Wales. "Bis 2020 wird die nächste Milliarde Menschen online sein. Aber die werden nicht aus Europa oder Nordamerika kommen, sondern aus China, Südamerika und Afrika. Das wird viele kulturelle Möglichkeiten eröffnen."

Auf diese Regionen wird sich die Wikimedia Foundation, die hinter Wikipedia steht, konzentrieren und die Artikelmenge in den Regionalsprachen vergrößern - insgesamt gibt es Wikipedia in 260 Sprachen. 2011 wird das erste Büro außerhalb der USA, in Indien, eröffnet. Mit dem Internet-Boom in Schwellenländern wird auch Wikipedia wachsen. Bis 2015 will Wales die User-Zahlen von derzeit 400 Millionen auf eine Milliarde anheben.

Reputation als wissenschaftliche Quelle

Eines der Ziele von Wales ist, Wikipedia als wissenschaftliche Quelle zu etablieren. Derzeit darf an Universitäten und vielen Schulen Wikipedia nicht zitiert werden. "Aber Wikipedia ist meiner Meinung nach schon angesehener als jedes andere Lexikon."

Wikipedia soll zudem auch jünger werden. Die "Weisheit der Vielen", wie es der US-Autor James Surowicky nannte, ist die Basis des Online-Lexikons. Aber die Systematik, also das Erstellen von Artikeln, sei zu kompliziert. Einfach für die Ur-Wikipedianer, aber abschreckend für potenzielle neue Autoren. Daher soll die Bedienung vereinfacht werden, damit neue Schreiber das Online-Lexikon mit ihrem Wissen befüllen. Und er wünscht sich mehr Autorinnen, denn Wikipedia sei - wie die gesamte IT-Branche - zu männlich.

Kritik an WikiLeaks

Nicht glücklich ist Wales über die Enthüllungsplattform WikiLeaks. "Mit einem eigentlichen Wiki hat das relativ wenig zu tun", so Wales. Wiki ist die hawaiianische Bezeichnung für "schnell" und bedeutet im Mitmach-Internt, dass Texte von Usern auf einer gemeinschaftlichen Webseite erfasst und geändert werden können. WikiLeaks stellt aber nur Dokumente auf einen Server und verstreut sie. Zudem: 2006 hatte WikiLeaks behauptet, ein "Wikipedia geheimer Informationen" zu sein. Und das war eine Urheberrechtsverletzung.

Mehr zum Thema:

"Wissen vermitteln, verbreiten und verbessern"

(Gerald Reischl)

Über Jimmy Wales

Geboren am 7. August 1966 als Jimmy Donal Wales in der US-Kleinstadt Huntsville, wurde Jimbos - so sein Spitzname - Wissbegierde schon in jungen Jahren geweckt. Seine Mutter Doris, eine Schuldirektorin, brachte ihn und seine drei Geschwister mit Literaturfrüh in Kontakt. So zählte etwa die "World Book Encyclopedia" zur Lieblingslektüre des Heranwachsenden, der in einer Privatschule frühzeitig Kontakt mit Computern hatte.

1989 schloss Wales das Finanzstudium ab, arbeitete ab Mitte der 90er-Jahre an der Chicagoer Börse und verdiente dort sein Vermögen. 1996 gründete Wales die Internetfirma Bomis und entwickelte dort sein erstes Lexion-Projekt. 2001 entstand daraus mithilfe seines Partners Larry Sanger Wikipedia. 2002 zerstritt sich Wales mit Sanger, der aus dem Projekt ausschied. Seitdem steht Jimbo im Rampenlicht und wurde vom Times Magazine zu den 100 einflussreichsten Menschen gewählt. "Mister Lexikon" tritt damit das digitale Erbe von einstigen Größen wie Joseph Meyer, Gründer von Meyers Konversations-Lexikon, oder auch Friedrich Arnold Brockhaus an.

Im März 1997 heiratete Jimmy Wales seine zweite Frau Christine Rohan. Das heute getrennt lebende Paar hat eine Tochter. Der Wikipedia-Gründer wohnt in Florida, wobei er fast zwei Drittel des Jahres für Wikipedia um die Welt reist. Er ist Facebook-Mitglied und vermisst die Ruhe jener Zeiten, als eMails noch nicht aufs Handy kamen. Einer seiner bewegendsten Momente: Dominikanische Slum-Kinder nutzen Wikipedia am PC, um ihre Hausaufgaben zu meistern.

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Wikipedia-Geschichte

Jimmy Wales gilt zwar als Pionier des Wissens-Web, die Idee dazu gab es aber schon früher. Bereits 1993, bevor es WWW-Adressen gab, hatte der US-Student Rick Gates die Idee für ein gemeinschaftliches Online-Lexikon. Das "Interpedia" getaufte Projekt kam jedoch nicht über die Planungsphase hinweg. Erst im März 2000 startete Jimmy Wales "Nupedia", ein im Internet frei zugängliches Lexikon. Die Nutzer waren anfangs noch ausgeschlossen: Ein kleiner Kreis von Fachautoren lieferte Artikel.

Ende 2000 wurde Wales auf das Wiki-System aufmerksam, das erlaubte, Änderungen direkt über den Browser vorzunehmen. Das System wurde in Nupedia eingebaut und war ab 15. Jänner 2001 unter Wikipedia.com abrufbar. Die Wortkreation entstand aus "Wiki" (hawaiisch für schnell) und "Encyclopedia". 2007 wurde aufgedeckt, dass Organisationen wie der Öl-Konzern Exxon und die CIA eigene Beiträge schönten. Als Reaktion wurden geschützte Beiträge eingeführt, die nicht von allen bearbeitet werden können. Heute enthält Wikipedia 16 Millionen Artikel in 260 Sprachen - 3,5 Millionen in Englisch, 1,2 Millionen in Deutsch.

Links:

Wikipedia.de
Wikipedia.org

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