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Nintendo Labo: Eine Stunde Basteln, fünf Minuten Spielen

Es schaffen wohl nur wenige Unternehmen, mit einem Stück Karton Begeisterung auszulösen. Nintendo ist aber ebendieses Kunststück im Januar gelungen. Mit Nintendo Labo kündigte man ein ungewöhnliches Bastelset an, das die hauseigene Spielkonsole Switch mithilfe von Kartonbauteilen in einen Roboteranzug, ein Klavier oder beliebige andere Geräte verwandelt werden kann. Eine simple Idee, die für Ekstase auf den sozialen Netzwerken und der Börse sorgte - Nintendo legte binnen kurzer Zeit 1,4 Milliarden US-Dollar an Marktwert zu.

Der japanische Konzern ist dafür bekannt, gegen den Strom zu schwimmen. Zuletzt machte sich das mit der Nintendo Switch bezahlt, doch die riskanten Ideen münden trotz kurzer Hype-Phasen zu Beginn nicht immer in einem Erfolg. Auch das Schicksal von Nintendo Labo ist ungewiss: Lego-Killer oder Papierverschwendung? Wir haben das ungewöhnliche Karton-Zubehör selbst ausprobiert.

Dass Nintendo Labo anders ist, wird bereits vor dem Ausprobieren deutlich. Üblicherweise finden Presse-Events hinter verschlossenen Türen statt, doch Nintendo hat bei den Labo-Workshops auch Kinder mitsamt ihrer Eltern eingeladen. Eine willkommene Abwechslung, denn schließlich richtet sich Labo ja eigentlich an die Kleinen und nicht an die schon lange ausgewachsenen Fachjournalisten.

Wenn Erwachsene zu Kindern werden

Den Anfang machte das Einsteiger-Modell „ RC Car“: Ein spinnenähnlicher Körper, an dessen linke und rechte Seite die Joy-Cons der Switch gesteckt werden. Durch die Vibrationsmoteren der Joy-Cons rüttelt das „RC Car“ vorwärts und lässt sich lenken. Mit dem Herauslösen und Zusammenstecken der Kartonelemente ist man knapp zehn Minuten lang beschäftigt. Die Bauanleitung wird auf dem Bildschirm der Switch angezeigt und geht für meinen Geschmack fast zu stark ins Detail - aber schließlich richten sich die Bastelprojekte auch vorwiegend an Kinder.

Bereits nach kurzer Zeit ist kein Unterschied mehr zwischen Kindern und Erwachsenen erkennbar - alle sind ins Spielen und Verzieren ihrer Kreationen vertieft. Die Steuerung der Karton-Fahreuge ist simpel und rasch gibt es die ersten Sumo-Duelle, bei denen versucht wird, den gegnerischen Roboter umzustoßen. Für Fortgeschrittene gibt es auch einen Experten-Modus, bei dem die Frequenz der Vibrationsmotoren eingestellt und die Infrarot-Kamera im Joy-Con aktiviert werden kann. Diese zeigt grobe Umrisse und unterstützt einen Verfolger-Modus, der reflektierende Objekte jagt.

Gut für gemeinsames Basteln

So unterhaltsam das „RC Car“ sein mag, es ist nur ein kleiner Vorgeschmack dessen, was die beiden Labo-Kits zu bieten haben. Während mit dem „Variety Kit“ fünf verschiedene Geräte - das „RC Car“, ein Klavier, ein interaktives Haus sowie ein Motorrad- und ein Angel-Spiel - gebaut werden können, beinhaltet das „Robot Kit“ nur einen Bausatz. Mit diesem kann ein Rucksack-ähnlicher Anzug gebastelt werden, der den Spieler in die Rolle eines riesigen Kampfroboters schlüpfen lässt.

Während das „RC Car“ mit wenigen Handgriffen gebaut werden kann, sind die anderen Bausätze deutlich umfangreicher und erfordern rund eine Stunde Zeit. Die Bauanleitungen sind detailliert und eignen sich ideal für gemeinsame Familien-Bastelstunden. Lobenswert ist vor allem, dass die Bauanleitungen auch erklären, wie das Gerät funktioniert und den Kindern so elektronische Komponenten wie Infrarot- und Neigungssensoren näherbringt.

Suche nach Mehr im Haus

Leider machen einige Bausätze mehr Spaß beim Basteln als beim Spielen. Das wohl offensichtlichste Beispiel: Das Haus. In diesem lebt eine virtuelle Alien-ähnliche Figur. Durch Hineinstecken drei verschiedener Elemente an der Seite - ein Schalter, eine Kurbel und ein Ventil - lassen sich verschiedene Funktionen auslösen, beispielsweise ein Wasserhahn öffnen, der das Haus mit Wasser anfüllt. Durch Kombinieren der Funktionen lassen sich verschiedene Mini-Spiele freischalten, in denen sich wiederum Gegenstände für das Haus entdecken lassen.

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Das Karton-Modell und die Animationen sind gut gelungen, doch bereits beim kurzen Anspielen ließ sich ein Großteil aller Inhalte freischalten.

Fazit: Selbst Kleinkinder dürften sich hier rasch langweilen.

Lustiger Einstieg in die Musik

Während man beim Haus erst herausfinden muss, wozu es eigentlich gut ist, ist das Klavier relativ selbsterklärend. Man betätigt eine der insgesamt elf Tasten - acht „weiße“ Tasten und drei „schwarze“ Tasten - und es ertönt ein Klang. Auch hier gibt es drei verschiedene Elemente, die eingesetzt werden können. Je nach Modul wird ein anderes Set an Ton-Effekten geladen. So ertönen plötzlich statt dem bekannten Klavier ein Chor an Katzen oder Tenören.

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Auf Knopfdruck können die eigenen Kreationen auch aufgenommen und geübt werden. In einem Profi-Modus können die Aufnahmen näher analysiert werden.

Fazit: Einfacher (und günstiger) kann man einem Kind wohl kaum Musik schmackhaft machen - selbst ich habe nach dem Spielen noch einmal überlegt, es wieder mit dem Klavier zu versuchen. Einziger Kritikpunkt sind die etwas wackeligen Tasten, die zur Seite leicht nachgeben.

Motorradfahren mit dem Bauch

Etwas mehr Körpereinsatz verlangt das Motorrad. Das ungewöhnliche Gerät, das aus einer Lenkstange und einem Teil des Motorrad-Rahmens besteht, wird an den Bauch gehalten. Wie bei einem echten Motorrad sollte man sich hinsetzen und bei Kurven mit dem Körper arbeiten. Nur die Lenkstange zur Seite neigen reicht vor allem bei scharfen Kurven in der Profi-Liga nicht.

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Auch das Starten und Beschleunigen sind realitätsgetreu: Ein Schalter an der Lenkstange startet den Motor, der rechte Griff kann zum Beschleunigen gedreht werden. Mit einem Hebel betätigt man zudem die Bremse. Diese habe ich allerdings in den Rennen kaum gebraucht, meist war man stets mit Vollgas unterwegs. 

Fazit: Das Motorradfahren macht Spaß, nach einer Weile wird das Halten des Labo-Bausatzes jedoch unangenehm - mehr als zwei Rennen hintereinander wird man wohl nur selten fahren wollen. Dennoch zeigt es eindrucksvoll, wie man mit ein bisschen Karton einen fast perfekten Motorrad-Controller bauen kann.

Angeln für Geduldige

Der wohl mit Abstand beste Bausatz ist jedoch das Angel-Spiel. Der Spieler hält eine Angel, in die beide Joy-Cons eingelegt wurden. Die Schnur der Angel führt in die Halterung für die Switch hinein, auf der ein virtuelles Meer und der Angelhaken zu sehen ist. Wackelt man mit der Angel, wackelt auch die virtuelle Schnur dazu passend. Selbst die Rolle macht beim Drehen die bekannten Klickgeräusche einer echten Angel.

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Das ist umso beeindruckender, wenn man einen Blick in das Innere wirft: Lediglich die Neigungs- und Bewegungssensoren der Joy-Cons werden zur digitalen Erfassung genutzt, die Schnurbewegungen werden simuliert. Die restliche Haptik, beispielsweise das Klicken der Rolle und der Widerstand beim Rausziehen der Fische, werden durch einfache mechanische Elemente hergestellt.

Auch das Angel-Spiel ist sehr gut gelungen und kann, Geduld vorausgesetzt, lange unterhalten. Je nach Meeresbewohner muss man verschiedene Taktiken anwenden, beispielsweise mit dem Haken auf und ab zappeln oder besonders ruhig bleiben. Je seltener und größer der Fisch, desto tiefer muss man mit der Leine hinabtauchen. Das verlängert aber auch den Weg, den man den Fisch hinaufziehen muss. Gibt man diesem zu wenig Raum, droht die Leine zu reißen.

Fazit: Angeln ist simpel, aber es macht süchtig. Stets auf der Jagd nach einem noch größeren Fisch, wie dem nur selten sichtbaren Hai, vergeht die Zeit rasch. Auch die Konstruktion ist clever und die mit Abstand hochwertigste aus dem „Variety Kit“. Wem die Auswahl an Meeresbewohnern zu langweilig ist, kann mit einem Stück Papier auch den Umriss eines selbst entworfenen Fischs per Infrarotkamera einscannen lassen.

Müder Karton-Roboter

Während das „Variety Kit“ fünf verschiedene Bausätze beinhaltet, bringt das „Robot Kit“ lediglich ein Gerät mit: Ein Rucksack, mit dem ein virtueller Roboter gesteuert werden kann. Das mag beeindruckend klingen, doch tatsächlich enttäuschte das teuerste Labo-Kit (rund 80 Euro) etwas. Bereits das Anlegen dauerte länger als das Spiel selbst. Der wuchtige, aber überraschend leichte Rucksack verfügt über mit Schnüren verbundene Halterungen für Füße und Hände, deren Länge an den Träger angepasst werden muss - allein ist das schwer möglich. 

Zudem kann man einen Karton-Helm mitsamt Visier aufsetzen. Wird dieses heruntergeklappt, schlüpft man in die Ego-Perspektive. Hochgeklappt blickt man dem Roboter über die Schulter. Das einzige Ziel des Spiels: So schnell und eindrucksvoll wie möglich eine Stadt zerstören. Wie einst Godzilla stampft man als gefühlt 30 Meter hoher Roboter an Hochhäusern vorbei und schlägt diese nieder. Um sich vorwärts zu bewegen, muss man am Stand gehen und den Kopf in die gewünschte Richtung neigen.

Geht man in die Hocke, verwandelt sich der Roboter - wie ein Transformer - in ein Auto mit Laser-Kanonen. Durch gleichzeitiges Strecken beider Arme erhebt sich der Roboter mit Jetpack in die Luft. All das wird zuverlässig erkannt - ist aber nach spätestens zwei Minuten bereits furchtbar langweilig. Das zeigte sich auch bei den anwesenden Kindern, die nur selten ein zweites Mal in die Rolle des Roboters schlüpfen wollten. 

Fazit: Das Roboter-Modell ist aufwändig konstruiert, macht aber nur sehr kurze Zeit Spaß. Das 80 teure Set dürfte sich wohl vorrangig an jene Nutzer richten, die ihre Labo-Sammlung um ein sechstes Modell ergänzen wollen.

Nintendo verschenkt große Chance

Wer seiner Kreativität freien Lauf lassen will, kann auch selbst eigene Programme mit der Labo-Werkstatt entwickeln. Wie Lego Mindstorms setzt man auf eine visuelle Programmiersprache, bei der verschiedene Eingabe- und Ausgabe-Funktionen sowie Operatoren als Blöcke miteinander kombiniert werden können. Der Nutzer hat dabei tatsächlich Zugriff auf alle Switch-Sensoren, beispielsweise die Infrarot-Kamera oder die Neigungssensoren und kann die Erkennung mit verschiedenen Parametern an die eigenen Bedürfnisse anpassen. Es gibt sogar Kommentar-Blöcke, mit der Teile eines Programmes für Dritte erklärt werden können.

Doch Nintendo begeht einen essenziellen Fehler: Die Programme können nicht exportiert werden. Auf dem Gerät können lediglich acht Programme gespeichert werden, deren Umfang ist jedoch - zumindest theoretisch - nicht beschränkt. Eine Online-Plattform, auf der Labo-Nutzer ihre Kreationen und die dazugehörigen Bauanleitungen und Programme teilen können, ist vorerst nicht vorgesehen. Hier verschenkt Nintendo das wohl größte Potenzial seines Bastler-Spielzeugs, denn die Kreativität der Nintendo-Fans hätte dem Unternehmen wohl hunderte bis tausende neue Ideen für Labo-Sets geliefert.

Hoffentlich kommt mehr

Als leidenschaftlicher Bastler und Gamer hat mich der Hype um Labo ebenso erfasst wie viele andere Switch-Besitzer. Doch nach dem ersten kurzen Anspielen bin ich etwas besorgt: Nintendo unterschätzt das Potenzial seiner Community. So unterhaltsam die sechs gezeigten Bausätze sind, irgendwann ist man damit fertig. Hier wäre eine Online-Community, die den Austausch ermöglicht und neue Inspiration liefert, hilfreich.

Hoffentlich liefert hier Nintendo noch eine Lösung nach oder sorgt für regelmäßigen Nachschub an neuen Bausätzen. Die beiden Nintendo-Labo-Sets sind ab dem 27. April im Handel erhältlich. Das „Variety Kit“ wird rund 70 Euro kosten, das „Robot Kit“ schlägt mit 80 Euro zu Buche.

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Michael Leitner

derfleck

Liebt Technik, die Möglichkeiten für mehr bietet - von Android bis zur Z-Achse des 3D-Druckers. Begeistert sich aber auch für Windows Phone, iOS, BlackBerry und Co. Immer auf der Suche nach "the next big thing". Lieblingsthemen: 3D-Druck, Programmieren, Smartphones, Tablets, Open Hardware, Videospiele

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