oe24-Skandal: Preis für Online-Sperren zu hoch
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr!
"Radler stürzt über Klopapierpackung – tot“, „Promis legen ihren Busen frei“ - nur zwei der Schlagzeilen, über die man bei OE24.at stolpert und die von vornherein Aufschluss darüber geben, was dort zu erwarten ist. Wie auch andere Vertreter des Boulevardjournalismus lebt OE24 von Skandalen, Sex und Sehnsüchten. Dass hierbei der Geschmack auf der Strecke bleibt, ist weder neu noch sonderlich empörenswert. Doch der Liveticker zum Begräbnis eines ermordeten Kindes, das von seinem Vater erschossen wurde, stellt tatsächlich einen neuen Höhepunkt auf der Geschmacklosigkeitsskala dar. "Es hat 20 Grad, die Sonne scheint - den Trauergästen ist jedoch nicht besonders fröhlich zumute", wurde dort live vom Begräbnis berichtet und auch wenn sich OE24.at nach der
Der Presserat wird sich des Themas annehmen, so wie es auch bei anderen Fällen geschieht, es wird eine Rüge geben oder eine Verurteilung. Auch wenn die emotionale Ebene dieses Falles viele aufgewühlt hat, so ist der Fall nur einer von vielen, in denen es um Quoten, Klicks und Aufmerksamkeit geht. Diese drei Punkte hängen logischerweise stark zusammen und im Web sind es oft gerade die „Skandale“, das Ekelige, das Amoralische oder Widerwärtige, was Aufmerksamkeit erzeugt. Egal ob Bilder von Frauen, die wechselseitig in den Mund der anderen sich erbrechen, ob Männer, die den Kopf in den eigenen Anus stecken, zerfleischte Tiere oder die vor heuchlerischer Moral nur so triefenden Artikel über die viel zu freizügigen Frauen – all das bringt schlichtweg Quote und im Kampf um die Quote ist seit Jahren alles recht, egal ob es dann noch in irgendeiner Form mit Pietät zu tun hat oder nicht.
Online-Sperren als Lösung?
Doch sollte dies mit Onlinesperren geahndet werden, wie es etwa Gerald Reischl
Aber abgesehen von diesen Fragen rechtlicher Natur: es gibt offensichtlich viele Menschen, die sich einen solchen „Liveticker“ ansehen, die genauso wie bei einer Prinzessinnenhochzeit, bei Naturkatastrophen oder was auch immer begierig darauf warten, minütlich mit Neuigkeiten versorgt zu werden. Diesen Menschen ist es egal, dass da jemand von einem geliebten Menschen Abschied nimmt, sie wollen „dabei sein“, live dabei sein, wollen in ihrer Gier nach Informationen und Emotionen jede Träne, jeden Zusammenbruch, jede Wut sehen und mitfühlen. Gegen sie wird keine Onlinesperre der Welt etwas ausrichten und auch gegen die Methoden des Boulevardjournalismus wird es, solange es genug Konsumenten gibt, wenig Mittel geben, solange es nicht um Privatsphärenverletzungen geht, die vor Gericht landen.
Werbepartner: Skandal in wenigen Wochen vergessen
Microsoft als Werbepartner hat bereits verkündet, sich des Sachverhaltes anzunehmen und will vorübergehend seine Werbung bei OE24.at einstellen. Das ist für die Firma natürlich ehrenvoll, doch es wird genug andere geben, die genau wissen, dass eben diese Form der Berichterstattung für viele interessant ist und der Skandal vor allen Dingen in ein paar Wochen längst vergessen ist. Auch die Frage ob sich die Mutter des toten Kindes nun einen Anwalt nehmen sollte, ist letztendlich eine Frage, die höchstens an den Symptomen herumkratzt. Dass der Boulevardjournalismus sich ändert, wäre nur dann möglich, wenn sich auch bei den Lesern, Hörern, Zusehern etwas ändert – die diversen „Reality TV“-Formate und deren Quoten sprechen diesbezüglich aber eine deutliche Sprache.
Menschen sind nicht immer pietätvoll, sie sind oft amoralisch, ekelhaft und widerwärtig. Das Netz mit all seinen Facetten ist ein Abbild davon. Sollte deshalb eine solche Berichterstattung per se einfach mit einem Achselzucken hingenommen werden? Nein, es lohnt sich, die Gesamtsituation einmal anzusehen und zu überlegen, inwiefern jeder einzelne, der sich nun über die Praktiken von OE24 echauffiert, dazu beitragen kann, dass sich hinsichtlich der Pietät bei der Berichterstattung etwas ändert – das wird letztendlich nur durch eine Veränderung der Menschen funktionieren, dadurch, dass sich ihr Denken ändert und wieder von Empathie statt von Sensationslust gelenkt wird.
Bei Netzsperre wandern Angebote ins Ausland ab
Ja, der Journalismus an sich muss sich verändern und nicht mehr nur auf Quoten und Klicks schielen, auf die Aufmerksamkeitsmechanismen, die angewendet werden können und sollen. Aber kurzfristiges Offlinegehen ist reine Symbolpolitik, die noch dazu führt, dass hier eine Art Geschmackspolizei über das entscheiden soll, was im „heimischen Netz“ vor sich geht. Im Zweifelsfall - würde es eine solche Geschmackspolizei geben - wären die Boulevardjournalisten dann auf einer ausländischen Seite zu finden und würde diese tatsächlich gesperrt werden, so ergäben sich die gleichen Fragen wie bei den vieldiskutierten „Sperren gegen Kinderpornographie im Netz“.
Soll es tatsächlich so weitreichende Eingriffe ins Netz geben, nur weil Journalisten es ausnutzen, dass Menschen darauf warten, jedes Fitzelchen Emotion anderer in sich aufzusaugen, weil sie offensichtlich ihre eigene Empathie schon an der Garderobe abgeben? Mir wäre dieser Preis zu hoch und außerdem würde uns so höchstens eine heile Welt vorgegaukelt, die es da draußen, außerhalb des Netzes, nun einmal nicht gibt.
- oe24: Bestraft sie mit einer Online-Sperre!
- Empörung über Live-Ticker zu Kinderbegräbnis
Kommentare