Wissenschaft & Blödsinn

Wozu Wissenschaft?

Wie die Zeit vergeht! Seit einem Jahr schreibe ich nun die Kolumne „Wissenschaft und Blödsinn“. Ich habe über Quantenphysik erzählt und über schwarze Löcher, über Wunderheilungen und über den menschlichen Geist, über den Weltuntergang und bösartige Außerirdische. Jetzt, zum ersten Geburtstag dieser Kolumne, möchte ich mal ein paar Schritte zurückgehen und fragen: Wozu das Ganze? Wozu brauchen wir eigentlich Wissenschaft?

Klar: Wissenschaft sorgt dafür, dass wir schnelle Autos, bunte Smartphones und dreidimensionale Kinofilme haben. Aber ist das wirklich so wichtig? Aristoteles war sicher nicht traurig, weil er das E-Book vermisste. Viel von unserem technischen Firlefanz ist nur eine Antwort auf Fragen, die wir nie gestellt haben, nur eine Lösung für ein eben erst erfundenes Problem.

Es gibt aber auch Technik, die zweifellos nützlich ist, ganz unabhängig von Modetrends und Konsumbegeisterung: Wetterfeste Häuser, in denen sauberes Wasser aus der Leitung kommt, vitaminreiche Nahrung mitten im Winter, Transportmittel, die uns die ganze Welt erkunden lassen – das ist echter Luxus, von dem von tausend Jahren noch nicht einmal Könige zu träumen wagten. Und durch moderne Wissenschaft kann die Medizin heute Krankheiten heilen, die früher den sicheren Tod bedeuteten. Wir leben besser, gesünder und länger als je eine Generation vor uns.

Wissenschaft macht uns zu freieren Menschen

Trotzdem wäre es ganz falsch, den Wert von Wissenschaft bloß über nützliche Erfindungen zu beurteilen. „Wissenschaft ist wie Sex“, sagte Richard Feynman. „Manchmal kommt etwas Nützliches dabei heraus, aber das ist nicht der Grund, warum wir es machen.“ Die Wissenschaft und das wissenschaftliche Denken selbst ist bereits der größte Nutzen. Wissen ist immer besser als Unwissenheit. Erst wenn wir die Welt verstehen und durch dieses Verständnis Entscheidungen treffen können, sind wir frei. Eine Entscheidung, die wir unwissend und ohne Grund treffen, ist nicht Freiheit, sondern zufälliges Raten.

Wissenschaft nimmt uns Angst. Weil wir die Welt um uns verstehen, sind wir kein hilfloser Spielball der Natur. Nur durch die Wissenschaft haben wir gelernt, nach Ursachen zu fragen. Wir können ein Erdbeben zwar nicht verhindern, aber wir müssen uns nicht mit der Sorge quälen, dass es vielleicht die Rache des großen Cthulhu war, der Opfergaben von uns verlangt. Wir sehen Krankheiten nicht mehr als Strafe des Schicksals, wir überlegen, wie man sie heilen kann. Und wenn uns jemand erzählt, wir müssen ihm gehorchen, weil sonst morgen die Sonne nicht mehr aufgeht, dann können wir ihn getrost auslachen.

Wissenschaft ist schön

Ein Streichquartett beendet nicht den Hunger in der Welt, ein Gemälde heilt keine Kranken, ein Gedicht schützt niemanden vor dem Erfrieren. Trotzdem kämen nur Idioten auf die Idee, Kunst für nutzlos zu halten. Wissenschaft ist auf ganz ähnliche Weise schön. Eine neue Theorie mit aufregenden Formeln kann uns genauso ergreifen und begeistern wie ein berührendes Musikstück.

Auch die Natur selbst wird immer schöner, aufregender und faszinierender, je besser wir sie verstehen. In den Sternenhimmel zu blicken und dabei an Pulsare, schwarze Löcher und Exoplaneten nachzudenken erzeugt mir ein viel ehrfurchtsvolleres Kribbeln im Bauch als das bloße Abzählen von Leuchtpunkten. Wissenschaft ist ein wesentlicher Teil unserer Kulturgeschichte und hat bereits aus ihrer eigenen Schönheit heraus einen Wert.

Wir alle sind Wissenschaftler

Mein Lieblingsargument für das Forschen ist allerdings: Wir können gar nicht anders. Wenn wir Menschen uns fragen, ob wir Wissenschaft betreiben sollen, dann ist das so, als würden Fische diskutieren, ob Schwimmen eine gute Idee ist, als würden Giraffen grübeln, ob man die Blätter ganz oben am Baum tatsächlich fressen soll, als würden Bienen nachdenken, ob sich diese mühsame Fliegerei zu den Blüten wirklich lohnt.

Wir Menschen haben uns evolutionär zum geistigen Problemlösen entwickelt. Natürlich gelingt das nicht allen von uns gleich gut, und mancher verirrt sich unterwegs auf der Suche nach Wissen, wie eine Biene, die versehentlich in zäher Zuckermasse kleben bleibt. Aber im Grunde haben wir das Fragen, das Problemlösen, das Forschen alle im Blut. Schon kleine Kinder wollen herausfinden, wie sich Papas Lieblingsblume von ganz innen anfühlt (klebrig), ob Karottenbrei eine geeignete Landebahn für Spielzeugflugzeuge ist (jawohl) und warum sich die Katze so ungern Hüte aufsetzen lässt (nach wie vor ungeklärt). Unsere Forschungsarbeiten sind vielleicht nicht immer sinnvoll, aber sie sind unausweichlich.

Wir sind nicht nur von der Evolution zu Forschern gemacht worden, wir haben uns dadurch eine eigene Evolution entwickelt – eine Evolution der Ideen, Erfindungen und Technologien. Sie ist kein Gegenentwurf zur biologischen Evolution, sondern ihre logische Fortsetzung. Machen wir weiter so!

Florian Aigner ist Physiker und Wissenschaftserklärer. Er beschäftigt sich nicht nur mit spannenden Themen der Naturwissenschaft, sondern oft auch mit Esoterik und Aberglauben, die sich so gerne als Wissenschaft tarnen. Über Wissenschaft, Blödsinn und den Unterschied zwischen diesen beiden Bereichen schreibt er jeden zweiten Dienstag in der futurezone.

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Florian Aigner

Florian Aigner ist Physiker und Wissenschaftserklärer. Er beschäftigt sich nicht nur mit spannenden Themen der Naturwissenschaft, sondern oft auch mit Esoterik und Aberglauben, die sich so gerne als Wissenschaft tarnen. Über Wissenschaft, Blödsinn und den Unterschied zwischen diesen beiden Bereichen, schreibt er regelmäßig auf futurezone.at und in der Tageszeitung KURIER.

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