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Netzpolitik

Deutscher Wirt klagt Google wegen Wartezeit-Prognosen

Eine halbe Stunde Wartezeit, obwohl Tische frei sind? Komisch. Verwunderte Gäste machen den Wirt des Bräustüberls Tegernsee 2017 auf diese Google-Angaben aufmerksam - womöglich die Tücken eines Algorithmus. Der Fall schlägt immer höhere Wellen.

Das Herzogliche Bräustüberl Tegernsee an Oberbayerns Promi- und Touristenhotspot ist meist gut besucht. Doch so groß, wie man nach dem Stoßzeiten-Chart bei Google hätte vermuten können, ist der Andrang in der Regel nicht. Dort war die Rede von Wartezeiten: Mal 15 Minuten, an Wochenenden auch mal 90 Minuten. Dabei loben Gäste bei den Bewertungen gleich unter der Grafik zu den angeblichen Stoßzeiten eine „schnelle Bedienung“.

Wirt Peter Hubert wehrt sich nun gerichtlich gegen die Angaben des Internetriesen. „Gäste, die sich vorab im Internet informieren, schreckt das ab.“ Er habe es zwei Jahre gütlich probiert. „Wir sind keine Streithanseln.“ Aber: „Jetzt klagen wir, dass das unterlassen und richtig gestellt wird.“ Das Landgericht München will im August verhandeln.

Chart verschwunden

Mehrere Medien hatten darüber berichtet. Am Freitag war der umstrittene Chart plötzlich verschwunden. Hubert sagte, er wolle den Gerichtsweg aber weiter beschreiten. Es gebe keine Garantie, dass die Angabe dauerhaft nicht mehr auftauche. „Das kann ja übermorgen wieder drin sein.“ Am Abend meldete sich Google zu Wort. „Die geschätzten Wartezeiten basieren auf anonymen Daten von Personen, die in der Vergangenheit das betreffende Restaurant besucht haben, ähnlich wie bei den Funktionen “Stoßzeiten„ und “Besuchsdauer„.“ Unternehmen könnten aber über einen Link Feedback geben. Und: „Wir werden den Fall außerdem untersuchen, um Google Maps weiter zu verbessern.“

Noch einen Tag zuvor, mittags gegen 12.00 Uhr: Gäste sitzen draußen. Von 1500 Plätzen drinnen und draußen sind laut Hubert rund 700 besetzt. Trotzdem meldet Google bis zu eine Viertelstunde Wartezeit. Eine Stunde später sollen Gäste sogar bis zu 30 Minuten warten müssen - das könne nicht stimmen, findet Hubert. Um zu dokumentieren, dass die Angaben falsch sind, machte er Screenshots der Google-Angaben und parallel Fotos mit freien Tischen.

Kein Einzelfall

Das Bräustüberl sei kein Einzelfall, sagt Frank-Ulrich John vom Bayerischen Hotel- und Gaststättenverband Dehoga. „Beim Wirt haben sich auf die Berichterstattung rund 20 bis 30 weitere Unternehmer quer durch alle Branchen gemeldet, denen es ähnlich ergeht.“ Vermutlich sei die Zahl der Betroffenen noch viel höher. „Mein Wunsch wäre, sich auf seinen gesunden Menschenverstand zu verlassen und einfach ins Wirtshaus zu gehen, unabhängig davon, was Google meint.“ Auch der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband reagierte: „Der Dehoga Bundesverband wird sich im Interesse seiner Mitglieder der Sache annehmen und das Zustandekommen und die Quellen der Informationen, die Google veröffentlicht, hinterfragen.“

Für Museen und Einkaufszentren bietet Google ähnliche Angaben für Stoßzeiten. Bisher gab es damit aber offenbar keine Probleme. „Uns ist kein derartiger Fall aus dem Handel bekannt“, sagt ein Sprecher des Handelsverbands Deutschland (HDE).

Hubert bekam indes viel Zuspruch: „Endlich jemand, der sich wehrt und den Mund aufmacht“, schrieb eine Wirtefamilie aus dem Allgäu, und ein Juwelier aus der Oberpfalz mailte: „Ich freu mich, dass jemand den Mut hat, gegen Google zu klagen.“ Hubert ärgert am meisten, „dass man hilflos ausgeliefert ist“. Gäste hätten ihn 2017 auf den Chart aufmerksam gemacht. Ein Google-Mitarbeiter habe auf einen Algorithmus verwiesen, der weltweit gleich sei. Hubert: „Sie erfahren nicht, dass das aufgeschaltet wurde, Sie bekommen nicht gesagt, warum das aufgeschaltet wurde. Sie können nicht sagen, dass Sie das nicht möchten - und wenn es falsch ist, können Sie es nicht korrigieren.“

"Klage nicht zugestellt"

Auch die Zustellung der Klageschrift an Google Germany in Hamburg brachte Probleme. „Google sagt, ihnen sei die Klage nicht zugestellt worden“, sagt Huberts Anwalt Thomas Glückstein. Für ihn geht es um einen Präzedenzfall. Google verweise auf seinen Sitz in den USA; die Klage hätte dorthin zugestellt werden müssen. Das bestreitet Glückstein. „Google unterhält große Büros in Deutschland, hat eine Rechtsabteilung in Deutschland und beschäftigt in Deutschland Entwickler, die an den weltweiten Google-Diensten arbeiten. Dass die Büros in Deutschland nichts mit den Google-Diensten zu tun hätten, halte ich für eine Schutzbehauptung von Google.“

Auslandszustellungen seien aufwendig und teuer. „Otto Normalverbraucher, der gegen Google vorgehen will, wird sich in den wenigsten Fällen so eine Klage leisten können“, sagt Glückstein. Es sei „wie eine Firewall, mit der Google sich gegen Klagen abschottet“.

Schon einmal verhandelten Gerichte in München einen in Teilen ähnlich gelagerten Fall. Die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg stritt gegen Microsoft, auch hier es ging um die Zustellung der Klage an Microsoft Deutschland anstatt an die US-Konzernzentrale - die das Oberlandesgericht München in zweiter Instanz als rechtmäßig bewertete. Glückstein sieht auch jetzt gute Chancen. Es gehe um die Verantwortlichkeit für Algorithmen und die rechtliche Greifbarkeit großer Konzerne. Es müsse eine grundsätzliche Klärung her. Notfalls sei der Gesetzgeber gefragt.

Erste Schritte gibt es. Seit 2017 gilt das Netzdurchsetzungsgesetz, das Anbieter sozialer Netzwerke bei Hasskriminalität und anderen strafbaren Inhalten verpflichtet, für Klagen auf die Entfernung einen Zustellungsbevollmächtigten im Inland zu benennen.

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