Wer mitfliegen darf, entscheiden die Behörden aufgrund von Vorhersagen. Die Bürgerrechtsorganisation ALCU bezeichnet dies als "willkürlich".
Wer mitfliegen darf, entscheiden die Behörden aufgrund von Vorhersagen. Die Bürgerrechtsorganisation ALCU bezeichnet dies als "willkürlich".
© dpa/Daniel Reinhardt

USA-Einreise

"Wer mitfliegen darf und wer nicht, ist willkürlich"

Fast jeder hat schon einmal von jemanden gehört, der in den USA Probleme bei der Einreise hatte. Wer auf einer sogenannten „No-Fly-Liste“ landet, darf gar nicht erst mitfliegen, geschweige denn, US-Territorium auch nur überfliegen. Wer (irrtümlich) auf dieser Liste landet, weiß oft nicht einmal warum. Seit fünf Jahren kämpft in den USA die amerikanische Bürgerrechtsvereinigung American Civil Liberties Union (ALCU) für Passagiere, die ihre Namen von dieser Liste streichen lassen wollen. In einem Gerichtsverfahren wird für die Rechte der Betroffenen gekämpft.

Jetzt gibt es durch dieses Gerichtsverfahren neue, offiziell bestätigte, Erkenntnisse darüber, wie die „No-Fly-Liste“ zustande kommt. Wenn das US-Justizministerium und das FBI verhindert, dass bestimmte Leute in die USA einreisen, oder überhaupt Flugzeuge auf US-Boden betreten dürfen, beruht dies auf einer „vorausschauenden Beurteilung über potenzielle Gefahren“, also auf einer reinen Vorhersage. Das bestätigten Benjamin C. Mizer und Anthony J. Coppolino vom Justizministerium vor Gericht.

"Begründete Bedrohungslage"

Natürlich müsse eine „begründete Bedrohungslage mit Terrorismusverdacht“ vorliegen, wenn Personen auf der „No-Fly“-Liste landen, so die Behördenvertreter. „Was zur Hölle heißt das für die Betroffenen, eine Gefahr für etwas zu sein?“ wird die ALCU-Anwältin Hina Shamsi in einem AP-Bericht zitiert. Wenn man nicht wisse, was Behörden zu bestimmten Entscheidungen bringe, sei das diskriminierend und willkürlich, so die Anwältin.

Die Bügerrechtsvereinigung ALCU hat nun vergangenen Freitag die für den Fall zuständige Richterin dazu aufgefordert, die Fehlerrate der Vorhersagemodells der US-Regierung zu überprüfen. Das FBI will dies jedoch auf jeden Fall verhindern. Die Begründung: Damit würde die nationale Sicherheit aufs Spiel gesetzt, schließlich könnte die Offenlegung des Prozesses, wie jemand exakt auf einer „No-Fly-Liste“ landet und wie das Vorhersagemodell funktioniere, in die Hände von Terrororganisationen fallen, heißt es.

Nicht wissenschaftlich

Der frühere CIA-Anti-Terror-Analyst Marc Sageman, der sich nach wie vor mit Terrorismus-Forschung beschäftigt, hält das Vorhersagemodell der US-Regierung, das bei der „No-Fly-Liste“ zum Einsatz kommt, für unzuverlässig. „Es gibt keine Anzeichen dafür, dass die Regierung, die wissenschaftliche Aussagekraft und Verlässlichkeit ihrer vorhersagenden Urteile überprüft hat. Alleine deswegen kann das Vorhersagemodell nicht als verlässlich eingestuft werden“, so Sagemen. Ohne diesen wissenschaftlich abgesicherten Prozess seien die Tools „nicht mehr als ein Versuch, etwas zu erraten“, so der Anti-Terror-Forscher vor Gericht.

Laut der ALCU-Anwältin würden andere Vorhersagemodelle, die in den USA zum Beispiel zur Verhinderung von Straftaten eingesetzt würden, zumindest auf diesen wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen. Verdächtige müssten etwa bereits eine gewalttätige Straftat begangen haben, um auf einer Beobachtungsliste zu landen. Irrtümliche Terrorverdächtige, die auf einer „No-Fly-Liste“ landen, hätten jedoch weder ein Verbrechen begangen, noch einen terroristischen Background.

Kriterienkatalog

Vor rund einem Jahr wurde durch einen „Leak“ eines sogenannten „Kriterienkatalogs“ bekannt, dass es durchaus schon ausreicht, ein beruflicher Kollege eines mutmaßlichen Terroristen zu sein, um auf der „No-Fly-Liste“ zu landen, oder dass jemand – sei es aus Spaß oder mutmaßlich – etwas über Social Media-Kanäle über einen verbreitet, was den Verdacht nahelegt, man könnte Terrorist sein. Manchmal reichen auch Twitter-Nachrichten, die als Scherz gedacht waren.

Auch die sogenannte „Terrorist Screening Database“, also die US-Liste der erfassten Personen, die unter Verdacht stehen, einer terroristischen Vereinigung anzugehören, wächst rasant. Von 2010 bis 2013 hatte sich die Zahl der Einträge verdoppelt, über eine Million Personen waren erfasst.

Die Bestätigung der US-Behörden, dass die Erstellung der „No-Fly-Liste“ auf reinen Vorhersagen beruht, ist damit sozusagen das I-Tüpfelchen einer undurchsichtigen Entwicklung, wer in den USA aus welchem Grund einreisen darf und wer nicht. Sie zeigt zwei Dinge sehr deutlich auf: Mit Terrorismusverdacht lässt sich heutzutage fast alles begründen und die „nationale Sicherheit“ scheint über allem zu stehen. Gut für den Staat, schlecht für die Bürgerrechte. Umso wichtiger ist dieses Gerichtsverfahren in den USA.

Predictive Analytics

In Österreich gibt es übrigens ebenfalls bereits ein Projekt der Polizei, das mit Vorhersagemodellen bei Einbrüchen arbeitet. Das Projekt unter Federführung von Joanneum Research ist in der Endphase. Die Vorhersage beruht hier sehr wohl auf wissenschaftlichen Berechnungen. Insider, die mit dem Projekt näher vertraut sind, bezeichnen dieses derzeit als "Spielerei für die Computerfreaks bei der Polizei".

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Barbara Wimmer

shroombab

Preisgekrönte Journalistin, Autorin und Vortragende. Seit November 2010 bei der Kurier-Futurezone. Schreibt und spricht über Netzpolitik, Datenschutz, Algorithmen, Künstliche Intelligenz, Social Media, Digitales und alles, was (vermeintlich) smart ist.

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