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Interview:

Urheberrecht: "Die Politik ist verunsichert"

futurezone: Das Urheberrecht ist im Gefolge von ACTA wieder stark in die Diskussion geraten.  Ist es noch zeitgemäß?
Paul Stepan: Das Urheberrecht, so wie wir es kennen, ist zu einem guten Teil schon im 20. Jahrhundert nicht mehr angekommen. Schon in der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts werden viele Fragen aufgeworfen. Etwa von der Pop Art. Würde Andy Warhol heute Brillo-Boxen für Kunstwerke verwenden, hätte der Chefdesigner von Brillo schon angerufen. Oder nehmen Sie Claes Oldenburg, dessen Werke derzeit im Wiener mumok zu sehen sind. Damals galt seine Kunst als Auseinandersetzung mit Alltagsgegenständen und Populärkultur. Heute wundert man sich, dass er  sich getraut hat, Mickey Mouse zu bearbeiten.

Dasselbe gilt für die digitalen Nutzungspraktiken im Internet. Das Urheberrecht war ursprünglich ein Recht, dass die Verhältnissen zwischen Kreativen und Akteurinnen aus der Wirtschaft geregelt hat. Als Nutzer war es eigentlich nicht möglich, das Urheberrecht zu verletzen. Von industrieller Piraterie abgesehen sind Urheberrechtsvergehen auch noch mit dem Aufkommen der CD immer auf Schulhof-Niveau geblieben. Es wurde kopiert und getauscht. Das ist heute anders, denn alle die über einen Internet-Zugang verfügen, haben vermutlich in irgendeiner Form das Urheberrecht verstoßen, oft auch ohne es zu wissen. Das Urheberrecht ist in seiner Komplexität einfach auch nicht massentauglich.

Die Nutzer wollen heute beim Urheberrecht mitreden?
Das haben auch die Proteste gegen ACTA gezeigt. Sie sind großteils nicht aus der Politik, sondern aus der Zivilgesellschaft gekommen. Bislang war das Urheberrecht in der Poltik eine beliebte Materie, denn die Politiker konnten jeder Verschärfung zustimmen und damit zeigen, dass sie sich für die Kunst einsetzen. Für die Politik waren das sehr billige Maßnahmen, denn sie belasteten in der Regel nicht die öffentlichen Budgets. Natürlich waren solche Verschärfungen nie kostenneutral, aber die Kosten wurden eben dezentral von den Konsumenten getragen. Nun gibt es zum ersten Mal massiven Widerstand. Die Politik in Europa hat damit nicht gerechnet und schaut erstmal fassungslos zu.

Die Diskussion wird auch von seiten der Künstler zunehmend heftig geführt. Warum ist das Thema plötzlich so emotional aufgeladen?
Weil es zum Teil auch ein emotionales Thema ist. Im Zuge der Debatte werden aber viele Bereiche angesprochen, die nur bedingt mit dem Urheberrecht zu tun haben. Etwa die Frage des Einkommens für Kreative. Die Lebens- und Arbeitsbedingungen für Kreative sind oft nicht besonders gut und das wird mit einer zunehmenden Neoliberalisierung des Diskurses auf ein Versagen auf dem Markt des einzelnen Kreativen geschoben anstatt auf strukturelles Marktversagen.

Das Problem der durchschnittlich sehr geringen Einkommen wurde auch in der Vergangenheit nicht durch das Urheberrecht gelöst. Der Großteil der Kreativen kann von den Einnahmen aus ihren Werken nicht leben und ist auf andere Verdienstmöglichkeiten angewiesen. Dennoch manifestiert sich im Urheberrecht die Illusion eines funktionierenden Marktes, der auch über Erfolg oder Misserfolg entscheidet und einen gerechten Output hervorbringt.  Daneben geht es auch um den Überlebenskampf einer absterbenden Industrie, deren Aufgaben über weite Teile heute wesentlich effizienter übernommen werden können.

In welchen Bereichen hat sich die Industrie überlebt?
Die Industrie hat sich vor allem in den Bereichen der physischen Produktion von Trägermedien und dem Vertrieb überlebt. Wenn wir einen durchschnittlichen Preis einer CD von 15 Euro annehmen, gehen in der Regel zehn Prozent an Verwertunggesellschaften. Das ist der Kuchen, den sich alle Kreative untereinander aufteilen. Die restlichen 90 Prozent setzen sich unter anderem aus Logistik, physischer Produktion, Transport, Regalmieten, Marketingstrategien etc. zusammen. Etwa zwei Drittel dieser Kostenfaktoren lassen sich im digitalen Umfeld einsparen. Das sind die Umsatz- und Gewinneinbußen der Industrie. Gegen die sie sich verständlicherweise wehrt. Ein altes System ist gestorben, ein neues System ist noch nicht geboren. Diese Situation ist für alle Seiten unbefriedigend.

Es besteht Reformbedarf. Wo sollte angesetzt werden?
Das Urheberrecht schützt Realisationen von Ideen, es schützt Werke. Wenn diese Werke digital beschrieben werden können, dann gibt es keinen Schutz oder keine Kontrolle mehr, die effektiv ausgeübt werden kann. Auch nicht zu besonders hohen sozialen und finanziellen Kosten. Das wurde immer wieder versucht, es ist aber nicht durchführbar. Die Diskussion müsste viel stärker in die Richtung gehen, dass nicht mehr das Werk geschützt wird, sondern alle die an dem Zusatandekommen einer Masterkopie beteiligt sind kompensiert werden. Dazu gehören auch die Produktionsfirmen. Die Produktion muss wieder im Mittelpunkt stehen und nicht wie in der Vergangenheit die Kontrolle über den Vertrieb.

Welche Lösungsansätze sehen Sie?
Ein Ausweg wären gesetzliche Lizenzen für Inhalte. Alle sollen alles kommerziell anbieten dürfen, aber dann auch zur Kompensation der Kreativen verpflichtet sein. Das würde ähnlich funktionieren wie beim Radio. Eine Radiostation kann jedes Lied spielen, sie muss aber Abgaben an Verwertungsgesellschaften zahlen. Heute ist es so, dass Unternehmen, die über umfangreiche Kataloge verfügen - etwa die großen Labels im Musikbereich - ihre Inhalte zurückhalten, weil sie sich nicht auf neues Terrain trauen. Bei neuen Geschäftsmodellen fallen sehr viele Einnahmen für die Verwertende Industrie weg, für Kreative ändert sich dadurch jedoch nichts. Die zögerliche Haltung der Major Labels schadet den Kreativen, denn deren Zielfunktionen unterscheiden sich zunehmend voneinander. Eine gesetzliche Lizenz würde dazu führen, dass diese Inhalte nicht mehr zurückgehalten werden können. Das würden den Markt dynamisieren und würde auch sehr schnell zu neuen Geschäftsmodellen führen.

Kulturministerin Claudia Schmied hat vergangene Woche eine Festplattenabgabe

angekündigt
. Wie sinnvoll ist so ein Lösung?
Die Einführund der Festplattenabgabe ist der falsche Schritt in die richtige Richtung. Der falsche Schritt, weil sie nur kurze Zeit halten wird, da Festplatten zunehmend durch Cloud-Services ersetzt werden und Streaming an Bedeutung gewinnt. Jedoch geht die Idee einer Pauschalabgabe in die richtige Richtung, denn dadurch kommen wir endlich weg von den Preis-pro-Einheit Geschäftsmodellen, denn diese basieren auf Ausschluss und Knappheit. Beides ist im Internet nicht mehr gegeben. Was jedoch bei der Einführung eines solchen Gesetzes wichtig ist, ist klar festzuhalten was mit der Abgabe abgegolten wird. Welche Rechte stehen der Zahlungsverpflichtung der Konsumenten gegenüber?

Wie beurteilen Sie eigentlich die Idee einer Kultur-Flatrate, bei der die nicht kommerzielle Nutzung von Inhalten durch eine monatliche Pauschalabgabe von Internet-Nutzern abgegolten wird?
Die Grundidee, dass der Zugang zu Information vergütet wird und nicht das einzelne Werk, entspricht der Logik des Internets. Prinzipiell ist die Kultur-Flatrate eine interessante Idee. Es gibt aber viele Detailfragen, die geklärt werden müssen: Wie soll das Geld verteilt werden? Durch wen soll das Geld verteilt werden? Nur an professionelle (registrierte?) Künstler_innen oder auch an im besten Sinne des Wortes ` Dilettanten`? Wie sieht es mit der Porno-Industrie aus? Hätte die auch Zugang zu den Geldern? Was ist kommerziell und was nicht-kommerziell?

Das Urheberrecht ist in den vergangenen 15 Jahren zunehmend restriktiver geworden. Wird sich diese Tendenz fortsetzen?
In der Politik gibt es nach den Protesten gegen ACTA starke Verunsicherung. Klar ist, dass das bisherige Durchwinken von Urheberrechtsverschärfungen nicht mehr goutiert wird. Privatpersonen sehen sich in ihrer Meinungsfreiheit und ihren nicht-kommerziellen Gestaltungsmöglichkeiten im Internet eingeschränkt. Der Umgang mit geschützen Werken in sozialen Netzwerken ist bislang noch kaum berücksichtigt worden. Private Nutzer sind nun neben den Kreativen und der Industrie eine dritte Partei, die sich auch aktiv in die Verhandlungen hineinreklamiert und berücksichtigt werden will.

Dabei geht es auch um den freien Zugang zu Information und Kultur. Das ist seit Jahrhunderten eine politische Forderung. Jetzt gäbe es die Möglichkeit für alle, die einen Zugang zu einem Computer haben, auf Informationen frei zuzugreifen. Der freie Zugang zu Information als politisches Ziel ist etwas, das von der Politik ein wenig in Vergessenheit geraten ist und dessen Potenzial zu wenig erkannt wird. Es hat aber sicherlich politische Sprengkraft, wie man etwa an den Piraten in Schweden und Deutschland sieht.

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In der Serie "Urheberrecht im Wandel" befragt die futurezone in loser Folge Experten zum Urheberrecht im digitalen Zeitalter.

Welttag des Buches und des Urheberrechts
Der Welttag des Buches und des Urheberrechts am 23. April wurde 1995 von der Unesco als Feiertag für  Bücher und die Rechte der Autoren eingerichtet.

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Patrick Dax

pdax

Kommt aus dem Team der “alten” ORF-Futurezone. Beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Innovationen, Start-ups, Urheberrecht, Netzpolitik und Medien. Kinder und Tiere behandelt er gut.

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