Meinung

Das Ende einer Ära

Sieht ganz so aus, als würde Watson letztlich recht behalten: Von Thomas J. Watson, bis 1956 Vorstandsvorsitzender der Firma IBM, stammt das legendäre Zitat „Ich glaube, dass es auf der Welt einen Bedarf von vielleicht fünf Computern geben wird." Lange wurde diese Prognose belächelt. Aber was den Personal Computer angeht, wird sie nun wohl in absehbarer Zeit Realität.

Es mehren sich die Hinweise, dass die Zeit des PC zu Ende geht. Neue kleine, leistungsmächtige Maschinen, neue Freiheiten, die sich die User nehmen wollen, neue Dienste, die das Computing allgegenwärtig machen wie Sauerstoff – die digitale Welt verwandelt sich gerade in etwas, das Kommunikation, Netzzugang und Datenzugriff überall und jederzeit bereithält. Der klassische PC, der lüftersäuselnd auf dem Schreibtisch hockt, ist zu plump für diese neue Welt. Zu stationär, zu unbeweglich. Die PC-Revolution ist vorbei, das Konzept hat sich überlebt. Nun kommen mobile, multitalentierte Maschinen, die sich besser verteilen (bis in unsere Jackentaschen) und eine neue Art von Netz formen – Audioplayer, Smartphones, hauchdünne Medientablets und Rechner, die passenderweise „Air“ heißen. Dazu Computerleistung im Hintergrund, unscheinbar abrufbar, wie Leitungswasser.

Mobiler, handlicher, brillianter
Angesichts von 87,4 Millionen weltweit verkauften PCs im zweiten Quartal 2012 wird manchem die Auffassung, dass es mit dem PC vorbei ist, etwas weit hergeholt scheinen. Aber die Umsätze stagnieren oder sind rückläufig. Seit das neue Jahrtausend begonnen hat, sehen Marktforschungsinstitute wie Gartner und IDC, die den weltweiten PC-Markt aufmerksam beobachten, eine zunehmend schwächelnde Nachfrage, einzig Notebooks und Netbooks verkaufen sich gut.

Mobiler, handlicher, brillianter – und durch Apps wandlungsfähig wie ein Chamäleon: so sieht die Hauptströmung der Wünsche aus, die Nutzer heute an ein Gerät haben, das sie mit dem Netz verbindet und jederzeit und an jedem Ort Spaß haben, suchen und arbeiten läßt. Der Trend ist unübersehbar, auch wenn durch die Finanzkrise vor allem bei Firmenkunden die kostengünstige Nachfrage nach den herkömmlichen Maschinen eine Zeitlang neu belebt wurde: Der PC ist tot. Er will es nur noch nicht richtig wahrhaben.

Wie alles anfing
Der Begriff „Personal Computer” tauchte zum ersten Mal im Oktober 1968 in dem Wissenschaftsmagazin „Science" auf – in einer Anzeige für eine programmierbare Rechenmaschine von Hewlett-Packard, die HP 9100A. Das 20 Kilo schwere, 4.900 Dollar teure Gerät hatte mit dem, was ein paar Jahre später als Persönlicher Computer angesehen wurde, kaum etwas gemein. Bald wurde klar, dass die PC-Revolution nicht von der Hardware ausging. Als die Rechner von Apple auf den Markt kamen, hielten Geschäftsleute sie erst für Spielzeug, bis 1979 mit „VisiCalc” die Mutter aller Tabellenkalkulationsprogramme auf dem Apple II erschien und die Geschäftswelt veränderte. Ein Betriebssystem für den PC - erst DOS, dann Windows - machte, in Kombination mit einem Softwarepaket für`s Büro, Bill Gates zum reichsten Mann der Welt.

Jeder konnte nun eine Maschine haben, die sich mit Hilfe von Software in eine erstaunliche Vielfalt von Maschinen verwandeln ließ. Als Anfang der neunziger Jahre das Internet seinen großen Auftritt in der Öffentlichkeit hatte, kam die Vernetzung der wie Dateninseln auf den Schreibtischen stehenden PCs voll in Fahrt. Das Web – eine weltweite Wohngemeinschaft für Personal Computer.

Das Netz ist der Computer
Zur selben Zeit wurde die Mobiltelefonie massentauglich. Gab es 1990 in Deutschland erst 300.000 Mobilfunkteilnehmer, so waren es im Jahr 2000 bereits 48 Millionen. Nebeneinander verlaufende Technologiestränge begannen sich zu sozusagen mehrgerätehaften Geräten wie den Smartphones zu verbinden. Nun möchten wir nicht mehr immer wieder, wie vor einen Hausaltar, vor den Desktop-PC einkehren müssen. Wir wollen überall digital sein können.

Noch bis vor ein paar Jahren war, trotz aller Veränderungen, der PC der Fels in der Brandung.  Scott McNealy, der Chef von Sun Microsystems, erklärte den klassischen PC als erster für tot und proklamierte: „Das Netz ist der Computer". Was für die Neunzigerjahre noch zu früh war, vollzieht sich heute tatsächlich:  die Abwanderung in die Wolke. Der PC verliert sein P – aus Abertausenden vernetzter, unpersönlicher Standardrechner-Steckkarten bestehen die großen Data Center, die nun als Datenkraftwerke zunehmend für die Speicherplatz- und Leistungsversorgung der Online-Menschheit verfügbar sind.

Die Magie von morgen
Die Hardware wird zunehmend verschwinden und nur noch die Funktionen bleiben. Ein Immer-und-Überall-Netz wird dafür sorgen, dass wir stets online sein können, schreiben, lesen, telefonieren, fernsehen, musikhören, suchen, bloggen, ohne sperrige Gerätschaft mit und herumschleppen zu müssen. Die Technik wird unscheinbar in den Hintergrund treten und, so wie heute  WLANs, Teil einer öffentlichen Infrastruktur werden. Statt auch nur ein Tablet mit sich tragen zu müssen, wird es dann die Möglichkeit geben, überall in virtueller Form das zu benutzen, was Bildschirm und Tastatur uns bisher in Hardwareform eher umständlich geboten haben. Schon jetzt gibt es Systeme, die Bildschirminhalte auf eine beliebige Fläche projizieren, dazu eine Kamera, die erkennt, wohin man zeigt und welche Gesten man ausführt.

Für das, was eigentlich zu tun ist, genügt ein smarter Hauch von Licht. Das wäre der nächste Schritt, nach der Post-PC-Technologie: Ein Zustand, der sich ein bißchen anfühlt wie Zauberei: ein Wink, und was ich brauche, ist da.

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Peter Glaser, 1957 als Bleistift in Graz geboren, wo die hochwertigen Schriftsteller für den Export hergestellt werden. Lebt als Schreibprogramm in Berlin und begleitet seit 30 Jahren die Entwicklung der digitalen Welt. Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs, Träger des Ingeborg Bachmann-Preises und Blogger. Für die futurezone schreibt er jeden Samstag eine Kolumne.

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