Meinung

Die Politik des Wasserrohrbruchs

Das Badezimmer ist überschwemmt. Ein unerbittlicher Wasserstrahl drängt sich zwischen den Wandfliesen ins Freie und ergießt sich über den Fußboden. Außerdem hängt am Waschbecken ein nasses Putztuch, das in regelmäßigen Abständen einen Wassertropfen in die Flut platschen lässt.

Wie lösen wir das Problem? Offenbar haben wir es mit einem Wasserrohrbruch der übelsten Sorte zu tun. Wir sollten den Haupthahn zudrehen und das Rohr reparieren lassen. Wir könnten aber auch mit großem Gezeter das Putztuch entfernen und eine empörte Moralpredigt darüber halten, dass es völlig verantwortungslos ist, ein triefend nasses Putztuch am Waschbecken hängen zu lassen. Ist doch klar, dass dadurch die Feuchtigkeit im Badezimmer erhöht wird! Und jetzt haben wir die Überschwemmung!

Das ist nicht völlig falsch. Das Putztuch macht das Badezimmer tatsächlich feuchter. Trotzdem ist es sinnlos, sich um einen harmlosen Nebeneffekt zu kümmern, wenn die Hauptursache des Problems nicht behoben wird.

Placebo-Taktik

Beim überfluteten Badezimmer versteht das jeder. Aber anderswo begehen wir genau diesen Fehler Tag für Tag: Wir wollen abnehmen und verzieren unser Schokoeis mit Diät-Schlagobers, anstatt über unseren ausufernden Schokoeis-Verbrauch nachzudenken. Wir versuchen Geld zu sparen und steigen auf die billigere Buttersorte um, doch das viel zu große Auto mit den hohen Erhaltungskosten darf bleiben. Wir suchen uns nette kleine Symbole aus, die keine großen Anstrengungen von uns verlangen.

Durch harmlose Placebo-Handlungen erteilen wir uns selbst die Erlaubnis, das eigentliche Problem zu ignorieren. Tragischerweise macht sich diese kindische Placebo-Taktik auch in der Politik breit. Wir heben Sektsteuer ein und halten das für soziale Umverteilung. Wir streiten über Kopftuchregelungen in Grundschulen und ignorieren echte Integrationsprobleme. Wir feiern geschlossene Flüchtlingsrouten und haben noch immer kein europäisches Migrationskonzept.

Lieb gemeint, aber sinnlos

Ganz besonders ausgeprägt ist dieses Problem, wenn es um die Umwelt geht. Wir sperren ein paar Straßen für Dieselfahrzeuge und reden uns ein, das Feinstaubproblem sei unter Kontrolle. Wir verbieten Plastikstrohhalme und glauben, wir hätten etwas gegen das Müllproblem getan. Wir tauschen unsere Glühbirnen aus und behaupten, das sei Klimaschutz. Damit ist das Gewissen beruhigt, die unangenehmen Fragen können weggeschoben werden. Gerade die Umweltpolitik ist in vielen Bereichen zur symbolischen Placebo-Politik geworden.

Natürlich können auch kleine Schritte nützlich sein. Aber wenn sie dazu führen, dass wir auf die nötigen großen Sprünge verzichten, dann sind sie nicht hilfreich sondern schädlich. Wir müssen mit klarem Blick darauf achten, welche Maßnahmen wirklich entscheidend sind. Das gelingt nur mit Hilfe verlässlicher wissenschaftlicher Fakten. An denen müssen wir unsere Handlungen ausrichten. Das Ziel ist nicht die Beruhigung unseres Gewissens, sondern die Verbesserung der Welt.

Alles andere ist sinnloses Beiwerk, wie die Moralpredigt über das nasse Putztuch im Badezimmer, während der Wasserstrahl aus dem Rohr weiterhin den Boden überschwemmt.

Florian Aigner ist Physiker und Wissenschaftserklärer. Er beschäftigt sich nicht nur mit spannenden Themen der Naturwissenschaft, sondern oft auch mit Esoterik und Aberglauben, die sich so gerne als Wissenschaft tarnen. Über Wissenschaft, Blödsinn und den Unterschied zwischen diesen beiden Bereichen schreibt er jeden zweiten Montag in der futurezone.

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Florian Aigner

Florian Aigner ist Physiker und Wissenschaftserklärer. Er beschäftigt sich nicht nur mit spannenden Themen der Naturwissenschaft, sondern oft auch mit Esoterik und Aberglauben, die sich so gerne als Wissenschaft tarnen. Über Wissenschaft, Blödsinn und den Unterschied zwischen diesen beiden Bereichen, schreibt er regelmäßig auf futurezone.at und in der Tageszeitung KURIER.

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