Netzpolitik

Digitaler Wahlkampf: Von Microtargeting bis zu Dark Posts

„Ich bin eines der Feindbilder von Datenschützern - ich aggregiere Daten auf Facebook“, sagt Tom Thaler, ausgebildeter Informatiker und Unternehmensberater, bei der diesjährigen Privacy Week in Wien. „Wie weit kann man im digitalen Wahlkampf gehen?“ lautete das Thema seines Vortrags, in dem er Einblicke in die Vorgehensweise der Parteien im vergangenen Wahlkampf gab.

Kandidaten statt Inhalte

„Der digitale Wahlkampf rund um die Nationalratswahl war vor allem durch ihre Kandidaten und die Kampagnen geprägt. Inhalte sind die ersten Monate gar nicht so stark vorgekommen“, sagt Thaler. Zudem waren die digitalen Kampagnen dieses Mal so ausgeklügelt wie nie zuvor und die Nutzer so transparent wie nie zuvor. Digitale Fußabdrücke wurden von den Parteien gesammelt und ausgewertet. Thaler hat für eine der drei großen Parteien den digitalen Wahlkampf auf Facebook gesteuert.

Tom Thaler bei der Privacy Week in Wien
Er erzählt im Detail, wie die Parteien in Österreich bei der gerade geschlagenen Nationalratswahl digitale Kampagnen auf Facebook und anderen Social-Media-Plattformen eingesetzt haben, um Wähler außerhalb ihres Kernpotentials zu erreichen. „Es gilt dort diejenigen zu adressieren, die latent den Standpunkten zustimmen, undeklariert sind, oder nur latent den Standpunkten der Mitbewerber zustimmen“, sagt Thaler. „Um diese Stimme kann und muss man kämpfen.“

Microtargeting

Die klassische Kernwählerschaft erreiche man „auf anderem Wege“, so der Experte. Das seien etwa „Wir klopfen an Türen“-Aktionen sowie die Adressierung via E-Mail-Direkt-Ansprache. Von den Kernwählern habe man Daten aus der Vergangenheit. Die ÖVP verfüge laut Information ihres Kampagnenleiters hier über eine eigene Datenbank von rund 250.000 Menschen.

Um potenzielle Wähler außerhalb des eigenen Kernsegments zu erreichen, haben die Parteien bei der Nationalratswahl oft auf sogenanntes „Microtargeting“ gesetzt. Dabei ist keines der Bilder, Videos oder Texte Zufall, die Menschen auf Plattformen wie Facebook zielgerichtet zu sehen bekommen. Unter „Microtargeting“ fällt etwa die Aktion der Grünen, die Menschen, die sich „für Yoga interessieren“, Werbung angezeigt bekommen haben. Bei der Liste Pilz gab es etwa ein Inserat zum Tierschutz, das „Menschen, die sich für Haustiere interessieren“ angezeigt wurde.

Dark Posts und Transparenz

Zum Einsatz kamen bei den meisten Parteien auch sogenannte „Dark Posts“. Darunter versteht man Facebook-Werbung, die nicht öffentlich auf der Seite der jeweiligen Kandidaten aufscheint, sondern die nur einer bestimmten Zielgruppe angezeigt wird. Die SPÖ spielte zum Wahlkampfauftakt etwa ein Posting auf Arabisch aus, das nur arabisch sprechenden Personen angezeigt wurde, aber nicht auf der Seite von Christian Kern veröffentlicht wurde. Die ÖVP nutzte „Dark Posts“ etwa, um den Bewohnern eines Bundeslands eine lokale Veranstaltung anzukündigen.

Doch ist es unfair, wenn nicht arabisch sprachige Menschen oder Menschen aus anderen Bundesländern gewisse Veranstaltungen nicht besuchen können, weil sie ihnen nicht angezeigt werden? Auf jeden Fall ist dieses Vorgehen intransparent. „Microtargeting ist nicht verboten. Wir machen das, um die Masse möglichst kostengünstig zu erreichen“, sagt Thaler. „Mit guten Postings erreichen Parteien die Hälfte aller Wahlberechtigten über Facebook - theoretisch zwar deutlich mehr, wir reden aber von faktischen Zahlen.“ Solche Beiträge hätten zudem, wie alle anderen Beiträge auf Facebook, eine eindeutige ID. „Technisch ist es ein normaler Beitrag, die korrekte Bezeichnung lautet Unpublished Page Post. Man kann ihn bewerben, teilen, im Newsletter verschicken. Der Aufbau der URL schaut für jedes Posting gleich aus: www.facebook.com/PageID/posts/postID“

Videos lassen sich mitverfolgen

„Dark Posts“ sind laut Thaler auch noch aus einem anderen Grund unter Verruf: Sie lassen sich im Nachhinein editieren. Unterschiedlichen Gruppen können zum selben Thema verschiedene Nachrichten angezeigt werden. „Es lassen sich unterschiedliche Botschaften an unterschiedliche Zielgruppen ausspielen und diese im Nachhinein verändern“, sagt Thaler. Dass dies im Wahlkampf zur Nationalratswahl auch gemacht wurde, wollte der Experte nicht bestätigten.

Videos seien auf Facebook etwa besonders gern eingesetzt worden, weil man hier genau mitverfolgen konnte, wer sich die Clips auch angesehen hat, heißt es.

Facebook Pixel zum Tracking

Laut Thaler wurden die Personen, die in die Zielgruppe „noch zu überzeugen“ fallen, aber nicht nur auf Facebook angesprochen, obwohl Facebook rund 90 Prozent des digitalen Wahlkampfes und täglich ein hohes, „bis zu fünfstelliges Budget“ ausgemacht habe.

„Ich selektiere eine Zielgruppe und die verfolge ich auf jeder Plattform. Egal wo. Wenn jemand gerade auf Tinder ist, dann halt dort. Sich auf nur eine Plattform zu konzentrieren, ist 90er-Jahre-Style. Ich mache eine Kampagne und erreiche eine Person dort, wo sie sich gerade aufhält“, meint Thaler. Dazu wird ein Marketing-Tool namens „Facebook Pixel“ eingesetzt.

„Der Pixel ist eigentlich ein JavaScript Code und wird auf den Websites der Parteien eingebaut. Dadurch wissen wir nicht nur die IP-Adresse eines Besuchers der Website, sondern Facebook kann ihn auch seinem Profil zuordnen. Man muss dazu Facebook gar nicht offen haben – es reicht, die App am Smartphone installiert und konfiguriert zu haben“, beschreibt Thaler das Feature. „So können wir zB eine Werbung nur an die weiblichen Besucher eines bestimmten Teils unserer Website ausspielen, die zwischen 20 und 30 Jahre alt sind sowie ein Baby haben, das jünger als ein Jahr ist.“

Transparenz und Datenschutz

Nach der neuen EU-Datenschutzgrundverordnung, die im Mai 2018 in Kraft tritt, ist ein derartiges Vorgehen des User-Trackings nicht legal. „Das wird für Agenturen eine Herausforderung“, erklärt Thaler. Doch auch die neuen Transparenzregeln, die neben Twitter jetzt auch Facebook angekündigt hat, werden vielen Methoden, die dieses Jahr im digitalen Wahlkampf eingesetzt worden sind, einen Riegel vorschieben. Facebook hat ein Transparenz-Update für geschaltete politische Werbung angekündigt.

Künftig soll klar ersichtlich sein, wer hinter der Werbung steckt und welche weiteren Inhalte geschaltet wurden. Über eine Rubrik namens „View Ads“ sollen auf der Profilseite der Werbetreibenden alle Beiträge gesammelt angezeigt werden. Somit könnten Parteien nicht mehr so einfach verschiedenen Zielgruppen unterschiedliche Sujets anzeigen, ohne, dass dies entdeckt wird. Nach einem ersten Beta-Test in Kanada soll das System im Laufe des Monats auf die USA ausgedehnt und danach weltweit ausgespielt werden. „Als User finde ich das gut, beruflich wird es zur Herausforderung“, meint Thaler dazu. Eines konnte der Experte nicht beantworten: Wie groß der Einfluss der digitalen Kampagne auf den Ausgang der Wahl war.

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Barbara Wimmer

shroombab

Preisgekrönte Journalistin, Autorin und Vortragende. Seit November 2010 bei der Kurier-Futurezone. Schreibt und spricht über Netzpolitik, Datenschutz, Algorithmen, Künstliche Intelligenz, Social Media, Digitales und alles, was (vermeintlich) smart ist.

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