Trump hat gewonnen
Die Einwanderer aus Haiti essen die Hunde und Katzen ihrer Nachbarn. Die demokratische Partei will Hinrichtungen von Babys nach der Geburt erlauben. Die Regierung kann außerdem das Wetter steuern, der Hurricane Milton zeigt das ganz klar.
Alle diese Aussagen sind völliger Unsinn. Nichts an ihnen ist wahr. Sie sind auch nicht teilweise wahr, sie sind keine verzeihbare Übertreibung korrekter Fakten, sie sind einfach Humbug. Trotzdem spielten all diese Aussagen im US-Wahlkampf eine wichtige Rolle. Die Behauptungen über katzenessende Haitianer und Baby-Morde kamen von Donald Trump selbst, die Wetter-Manipulation (ein Thema, das in radikalen Verschwörungstheoretiker-Kreisen immer wieder angesprochen wird), wurde von seiner flammenden Unterstützerin Marjorie Taylor Greene ins Spiel gebracht.
Dass in Wahlkampfzeiten Falschaussagen verbreitet werden, ist nicht neu. Vermutlich findet man in jeder größeren Wahlkampfrede irgendwelche fragwürdigen Aussagen, wenn man sie sorgfältig wissenschaftlich durchanalysiert. Das ist aber auch nicht das Problem. Das eigentliche Problem ist: Man versucht nicht einmal mehr, Unsinn als Fakten zu tarnen. Man hält es nicht mehr für notwendig, denn Fakten sind einfach nichts mehr wert.
Fake News und nicht-mal-Fake-News
Erinnern wir uns an die COVID-Pandemie zurück: Da kursierte beispielsweise eine Zeit lang das Gerücht, die COVID-Impfung würde Frauen unfruchtbar machen. Das Spike-Protein des Impfstoffs würde die Plazenta angreifen, hieß es. Das war falsch, es wurde rasch widerlegt, nie bestand ein Grund zur Sorge. Es ist ein typisches Beispiel für Fake News: Eine Argumentation wird präsentiert, die durchaus wissenschaftlich und logisch klingt – bis sie jemand, der sich mit dem Thema wirklich auskennt, genauer unter die Lupe nimmt und widerlegt. Es ist aber verständlich, wenn Leute, die nicht vom Fach sind, solche Geschichten glauben und weiterverbreiten.
Geschichten von katzenfressenden Ausländern oder regierungsgesteuerten Wirbelstürmen fallen allerdings nicht in diese Kategorie. Man versucht gar nicht mehr, eine logische Argumentation zu liefern. Fakten, die solche Thesen stützen sollen, werden nicht einmal zum Schein präsentiert. Jeder, der kurz nachdenkt, muss sofort zu dem Schluss kommen: Das kann jetzt nicht stimmen. Aber weiterverbreitet wird es trotzdem.
Früher hat man versucht, Lügen als Wahrheit zu tarnen. Wie einen Wolf, den man in einem Schafspelz versteckt, hat man versucht, Lügen als Fakten auszugeben. Heute ist das nicht mehr nötig. Heute hetzt man den Wolf einfach unverkleidet ins Kampfgetümmel und hofft, dass er ordentlich zubeißt.
Lügen haben aufgehört, etwas Unanständiges zu sein. Trumps Vizepräsidentschaftskandidat sprach das ganz offen aus: Wenn er „Geschichten kreieren“ müsse, um die Aufmerksamkeit der Medien zu bekommen, dann werde er das tun, sagte JD Vance.
Ein gefährlicher Kulturbruch
Darin besteht der atemberaubende Kulturbruch, der in den vergangenen Jahren über uns geschwappt ist: Nicht im Lügen selbst, sondern im Zerstören eines ungeschriebenen Gesetzes, das eigentlich nie jemand hinterfragt hat: Nämlich, dass Lügen falsch ist. Dass es schlecht ist, einer Lüge überführt zu werden. Dass wir prinzipiell ehrliche Leute gegenüber notorischen Lügnern bevorzugen sollten.
Wenn dieser gesellschaftliche Grundkonsens zerbricht, dann gerät vieles ins Wanken: Wie soll dann eine demokratische Entscheidungsfindung noch möglich sein? Wie können wir dann unbequeme wissenschaftliche Fakten in politische Diskussionen einbringen? Wie soll sich dann je wieder rationales Denken gegen polternde Parolen behaupten können?
Der Schaden ist angerichtet
Und in diesem Sinn spielt es vielleicht gar keine so große Rolle, ob Donald Trump die US-Präsidentschaftswahl für sich entscheidet oder nicht: Er hat schon gewonnen. Er hat einen Kulturwandel durchgesetzt, den wohl kaum jemand für möglich gehalten hätte.
Man kann heute im Fernsehen mit irrwitzigen Dummheiten demonstrieren, den Klimawandel nicht mal ansatzweise verstanden zu haben – aber das ist kein Problem. Man muss sich dafür nicht mehr schämen, denn Fakten sind egal. Man kann wilde Behauptungen über Wahlfälschungen herumposaunen, oder über die angebliche Anzahl der Fans auf Veranstaltungen, ohne irgendwelche Belege oder Indizien vorweisen zu müssen. Und wenn wissenschaftliche Fact-Checker dann nach sorgfältigen Analysen zum Schluss kommen, dass das alles Unsinn war? Dann ignoriert man das und macht einfach weiter.
Wie sehr dieser Kulturwandel unsere Zukunft prägt – nicht nur in den USA, sondern weltweit – ist heute wahrscheinlich noch gar nicht abschätzbar. Auch Präsidentinnen und Präsidenten, die nicht Trump heißen, müssen mit diesem Kulturwandel nun leben. So wie wir alle.
Kommentare