Netzpolitik

Netzneutralität: "Politiker schießen sich in beide Knie"

Sollen alle Daten und Dienste im Internet gleichbehandelt werden, oder sollen bestimmte Angebote eine Überholspur nutzen können? In der EU werden derzeit neue Regeln zur Netzneutralität diskutiert. Die US-Kommunikationsbehörde FCC hat vor kurzem ein entsprechendes Regelwerk verabschiedet. Die futurezone hat Drei-Chef Jan Trionow und den Netzaktivisten Thomas Lohninger von der Initiative für Netzfreiheit zu einem Streitgespräch über die Netzneutralität geladen. Die Auswirkungen der Netzneutralitätsregeln auf die Innovation waren dabei ebenso Thema wie Unterschiede zwischen Europa und den USA, die Defintion von Spezialdiensten, Netzsperren und ein gemeinsamer Tarif von Drei und dem Musik-Streaminganbieter Spotify, der für viel Kritik sorgte.

futurezone: Drei bietet seit etwas mehr als einem Jahr gemeinsam mit Spotify einen Musiktarif an, bei dem der Datenverbrauch nicht vom gebuchten Datenvolumen abgezogen wird. In der Fachsprache nennt man das Zero-Rating. Den geplanten neuen EU-Regeln zur Netzneutralität zufolge wäre das in Ordnung. Herr Lohninger, was stört Sie an solchen Angeboten?

Thomas Lohninger: Es ist eine massive Verletzung der Netzneutralität. Es wird in den Markt eingegriffen, der Internet-Anbieter sucht sich die Gewinner und Verlierer aus. Für die Endkunden sieht es so aus, als bekämen sie etwas geschenkt, aber in Wirklichkeit wird hier einfach die Auswahl für die Kunden reduziert und am Ende entstehen Kosten, die der Dienst an den Internetanabieter abführen muss. Die werden wohl wieder auf die Kunden umgelegt werden.

futurezone: Herr Trionow, warum ist ein solcher Tarif ok?

Jan Trionow: Zero-Rating ist keine neue Erfindung. Das gab es schon immer, etwa beim Fernsehen. Kein Mensch kann sich vorstellen, dass wenn er über Kabel fernsieht, Megabytes gezählt werden. Auch Drei hat eine lange Geschichte von Zero-Rating. Jeder eigene Dienst, den wir jemals gestartet haben, hatte Zero-Rating. Egal was Sie nehmen, ob mobiles TV oder unsere Videothek. Bei unserem Spotify-Angebot gibt es eine Win-Win-Situation. Spotify profitiert davon, dass wir den Dienst mit vermarkten, die Kunden profitieren von einem Angebot, bei dem sie nicht für verbrauchte Megabytes bezahlen, und wir profitieren davon, dass wir unseren Kunden einen Dienst anbieten können, der uns von unseren Mitbewerbern unterscheidet. Das heißt aber nicht, dass wir die Freiheit anderer Dienste im Internet einschränken.

futurezone: Vor allem kleinere Anbieter, die sich so etwas nicht leisten können, fühlen sich benachteiligt.

Trionow: Wir leben in einer Welt, in der Wettbewerb zwischen verschiedenen Angeboten eines der Triebfedern ist. Ob Google auf Android einen Dienst startet, oder Apple auf iOS oder Amazon seine Vertriebs und Kommunikationsmöglichkeiten und die Bekanntheit seiner Marke ausnutzt, um eigene Dienste zu präsentieren, ist Teil des Spiels der Märkte. Warum soll ein Dienstanbieter bei der Vermarktung nicht mit einem Telekomunternehmen zusammenarbeiten? Jeder Konkurrent von Spotify kann auch mit uns kooperieren. Mit dem 3Kiosk haben wir auch ein rein österreichisches Angebot mit Zero-Rating.

Lohninger: Ich glaub nicht, dass wir die Vielfalt und den Wettbewerb im Internet noch lange erhalten können, wenn Internet-Providern ihren Partnern mit Zero-Rating unlautere Vorteile verschaffen.

Trionow: Wir bieten ja nicht nur Zero-Rating an. Um Ihnen eine Zahl zu nennen. Obwohl alle unsere Dienste zero-rated sind, machen diese Dienste nur einen niedrigen einstelligen Prozentsatz unserer Megabytes aus. Die Debatte ist komplett überzogen. Wir reden ein Problem herbei, das es nicht gibt.

Lohninger:Das Problem ist aber, dass sie mit Diskriminierung im Netz auch eine enorme Marktverzerrung vollführen. Sie haben in ihrem eigenen Netz zwischen ihren Kunden und den Diensten, die diese nutzen wollen, immer eine Monopolstellung. Wenn sie sich selbst oder ihren Partnern einen Vorteil verschaffen, ist das zum Nachteil aller anderen Netz-Teilnehmer. Diese Kollateralschäden für die Wahlfreiheit des Einzelnen und die Folgekosten für die Innovation im Netz sind der Punkt, an dem die Politik einschreiten muss.

futurezone: Sogenannte Spezialdienste mit höherer Qualität - oder wie sie offiziell genannt werden "andere Dienste" - sollen laut der Einigung zwischen EU-Staaten und Parlament erlaubt sein, wenn sie notwendig sind. Sie dürfen aber die Qualität des offenen Internets nicht beeinträchtigen. Herr Trionow, welche Dienste können Sie sich in Ihrem Netz vorstellen?

Trionow: Meine Vorstellungskraft ist sehr breit. Meine Vorstellung von Spezialdienst wäre, überall dort wo eine Kooperation zwischen Diensteanbieter und Netzanbieter Sinn macht, sollte es erlaubt sein. Die Einschränkung, dass das nur geht, solange genügend Kapazität für andere Dienste vorhanden ist, ist eine gute Möglichkeit das Thema zu regeln. Aber ich wünsche mir natürlich eine möglichst breite Definition von Spezialdiensten, die keine Innovationspotenziale zerstört.

Lohninger: Gibt es Spezialdienste, die Ihrer Meinung nach nicht erlaubt sein sollen?

Trionow: Sämtliche Telekomnetze sind heute voll mit Spezialdiensten, etwa mit Sprachtelefonie, auch der TV-Dienst ist in fast jedem Netz ein Spezialdienst, weil das TV-Angebot technisch und auch kommerziell gemanagt wird. Wir wollen aber dort nicht stehen bleiben. Ich plädiere für möglichst viel Freiheit in der Angebotsgestaltung. Ich kann verstehen, dass es zu weit geht, wenn diese Spezialdienste einen Großteil der Kapazität des Netzes einnehmen würden. Aber solange Spezialdienste genügend Kapazität für das freie Internet lassen, sehe ich überhaupt kein Problem.

futurezone: Herr Lohninger, mit welcher Definition von Spezialdiensten könnten Sie leben?

Lohninger:Überall dort, wo ich einen Dienst nicht über das normale Internet realisieren kann, weil das technisch nicht geht, da kann man legitim Spezialdienste verwenden. Dienste im Internet, die heute ohne Probleme über das Best-effort-Internet funktionieren, sollten nicht die Möglichkeit bekommen, sich die Überholspur als Spezialdienstes zu kaufen. Spezialdienste dürfen nicht zur Marktverzerrung oder zur Umgehung von Netzneutralität dienen. In der gesamten europäischen Debatte fehlen konkrete Beispiele für innovative Spezialdienste, die heute nicht auch schon möglich wären.

Trionow: Ein gutes Beispiel ist Industrie 4.0. Da müssen teilweise sehr zeitkritische Dinge passieren. Die Steuerung von Produktionsabläufen mit einer Echtzeitkomponente muss spezifisch gemanagt werden. Auch die Telemedizin würde über das allgemeine Internet nicht funktionieren. Da geht es etwa darum, dass geografisch entfernt voneinander sitzende Operationsteams in hoher Präzision Daten übertragen müssen, um ein Laserskalpell zu führen. Das ist sehr starkes Qualitätsmanagement benötigt.

Lohninger: Glauben Sie wirklich, dass man eine Operation an einem Menschen über das normale Internet führen kann? Für mich geht sich das mit einem hippokratischen Eid nicht aus.

Trionow: Ich kann mir schon vorstellen, wenn irgendwo in den Alpen ein Bergunglück passiert und man kriegt den Spezialisiten dort nicht hingeflogen, dass Telemedizin dort Leben retten kann. Wir brauchen zum Beispiel beim Stau-Management Qualitätsmanagement, um Innovation zu schaffen.

Lohninger: Telemedizin wird heute in Europa fast nur diagnostisch eingesetzt, aber gut. Genau dieses Beispiel könnten Sie auch mit der strengen Definition von Spezialdiensten des Europa Parlaments umsetzen. Wieso kämpft die Telekomindustrie dann für eine viel breitere Definition? Sie sprechen von „innovativen Diensten“, wir haben 25 Jahre Erfahrung darüber wo im Internet Innovation passiert, sie kommt von den kleinen Firmen, die mit schnellen Innovationszyklen Dinge auf den Markt bringen, weil sie auf einer neutralen Infrastruktur aufbauen können, sofort global verfügbar sind und nicht erst Verträge mit Mobilfunkern abschließen müssen, um deren Kunden zu erreichen. Sorry. Wenn man den Bereich beschränkt, der den meisten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Mehrwert liefert, nur um irgendwelche nebulösen Beispiele aus der Zukunft zu sichern, seh ich ein Problem.

Trionow: Ich stimme Ihnen zu, dass das allgemeine Internet ein sehr hohes Innovationspotenzial hat und dass wir das nicht ersticken dürfen. Aber wir wollen auch eigene Dinge machen können, die uns differenzieren und die technologisch notwendig sind, um einen anderen Teil der Innovation zu ermöglichen. Es geht nicht um ein Entweder/Oder, wir brauchen keine Schwarz-Weiss-Debatte.

Lohninger: Wir brauchen Regelungen zur Netzneutralität. Wir haben leider in den vergangenen Jahren gesehen, wenn man den Markt alleine lässt, wenn man den Fantasien der Produktgestalter der Mobilfunker freien Lauf lässt, dann ist das nicht zum Vorteil der Kunden. Die Erfahrung jener Länder, die schon Gesetze zur Netzneutralität haben, zeigt, dass Diskriminierungsverbote zum Vorteil aller sind, auch was die angebotenen Preise und Volumen anbelangt. Spezialdienste sind ein Taschenspielertrick.

Trionow: Das sind kampfrhetorische Ausdrücke. Erklären Sie mir doch bitte, welche Dinge, die wir gemacht haben, schlecht für die Entwicklung des österreichischen Markts waren? Der Markt hat von Zero-Rated-Angeboten extrem profitiert. Es wird immer die Debatte aus den USA zitiert. Aber da gibt es eine komplett andere Situation. Es gibt im Festnetzbereich ein Duopol, es gibt nur zwei Anbieter und es gibt eine Telekomindustrie, die in keinster Weise reguliert ist. Die Telekom-Industrie in Europa wurde im Gegensatz dazu von Anfang an reguliert. Es gibt in den USA auch eine große Internet-Wirtschaft, die global expandieren möchte und möglichst freie Fahrt haben möchte.

Lohninger: Ich würde die Konkurrenten von Spotify, die in den letzten Jahren vom Markt gedrängt wurden, durchaus als negative Konsequenz vom Zero-Rating-Deal mit Spotify sehen. Und zu den USA, als Präsident Obama sich hinter die Netzneutralitätsbefürworter stellte, tat er das aus wirtschaftspolitischen Überlegungen. Das Land mit der größten Digitalökonomie weltweit, welches für Europa immer als Vorbild für innovative Start-Ups diente, hat einen Schritt gesetzt, den wir in Europa auch vollziehen müssen, um wettbewerbsfähig zu bleiben.

futurezone: Die USA haben wesentlich strengere Regeln zur Netzneutralität verabschiedet. Wird Europa im Technologiebereich weiter zurückfallen oder sind die neuen Regeln gar ein Wettbewerbsvorteil?

Trionow: Die europäische Regelung ist geeignet, dass Europa gute Chancen hat, im Internet-Bereich Fortschritte zu machen, die natürlich auch an vielen anderen Faktoren hängen. Etwa an der Start-up-Kultur. Sie liegen auch am Ausbaugrad der Netze und dort sind wir nicht so schlecht unterwegs. Ich bin gar nicht so sicher, welches die striktere oder stärkere Gesetzgebung ist. Es gibt auch die Interpretation, dass die europäische Regelung schärfer wäre.

Lohninger: Wir haben ja auch Länder, die schon länger Gesetze zur Netzneutralität haben, in Kanada, in Chile, Niederlande und Slowenien, die auch schon angewendet wurden um Zero-Rating-angebote oder das Blocken von gewissen Diensten im Netz zu verbieten. Auch die USA haben sich darauf gestützt. Wenn wir von den USA auf Europa schauen, kann ich nur Tim Wu, den Wissenschaftler, der den Begriff der Netzneutralität geprägt hat, zitieren. Er sagt, wir geben den Schlüssel zum europäischen Internet den US-Unternehmen. Die EU-Regeln werden dazu führen, dass sich vor allem die großen amerikanischen Firmen wie Google, Amazon oder Facebook die Überholspur kaufen können. Alle diese Politiker, die davon sprechen, dass wir europäischen Start-ups brauchen, eine europäische Cloud brauchen, die schießen sich in beide Knie.

Trionow: Eine überzogene radikale Regulierung von Netzneutralität würde erst recht amerikanischen Unternehmen, die aus anderen Gründen dominant sind, Tür und Tor öffnen. Es geht auch um die Verhandlungsposition zwischen Internet-Anbietern und Diensteanbeitern. Wenn ich per Regulierung sagen würde, die Tore sind alle offen, dann braucht ein Diensteanbieter nicht mit uns verhandeln, sondern er nimmt die offenen Tore und bietet seinen Dienst an. Wenn ich diesem Unternehmen aber etwas bieten kann, zum Beispiel Zero-Rating oder gemeinsame Vermarktung, dann kommen wir in eine Verhandlungsposition, wo man einen Kompromiss aushandeln muss. Das setzt uns in die Lage, dass auch die US-Unternehmen einen Beitrag für die Finanzierung der Netze leisten. Das bietet uns aber auch die Möglichkeit mit österreichischen Start-ups Kooperationen eingehen zu können.

futurezone: Die neuen Regeln sehen auch vor, dass legale Inhalte und Dienste nicht blockiert oder gedrosselt werden dürfen. Die Ausnahmen sind allerdings sehr weit gefasst. Die EU-Kommission nennt etwa Cyberkriminalität oder Bekämpfung von Kinderpornografie. Netzsperren, wie sie in Österreich etwa nach Klagen des Vereins für Anti-Piraterie verhängt wurden, zählen auch zu den Ausnahmen von dieser Regel. Herr Lohninger, muss man befürchten, dass die Regeln auch dazu genutzt werden, aus anderen Motiven Seiten sperren zu lassen?

Lohninger:Problematisch ist, dass Provider nicht nur auf Grund von Gesetzen und Gerichtsbeschlüssen Inhalte sperren sollen, sondern dass auch Behörden ohne Gerichtsbeschluss Sperrlisten erstellen dürfen. Das ist nichg grundrechtskonform. Hier wird einer Zensurinfrastruktur Tür und Tor geöffnet.

futurezone: Herr Trionow, wie stehen Sie dazu?

Trionow: Wir wollen nicht sperren, vor allem wollen wir nicht leichtfertig sperren. Wenn es wichtige Gründe gibt, die rechtlicher Natur sind oder die nationale Sicherheit betreffen und deshalb eingegriffen werden muss, soll das möglich sein. Wir wollen aber nicht zum Hilfssheriff werden und schon gar nicht die Kosten dafür tragen. Wir brauchen Rechtssicherheit. Wir möchten nur sperren, wenn es eine ganz klare richterliche Anordnung dafür gibt.

futurezone: Wie wird es mit den europäischen Regeln zur Netzneutralität weitergehen, welche Erwartungen haben Sie?

Trionow:Die Freiheit des Internets lebt im Wesentlichen von dem Wettbewerb zwischen verschiedenen Internet-Anbietern, deshalb sollten wir uns darauf konzentrieren, die Wettbewerbskraft der Provider zu stärken. In diese Richtung muss Regulierung gehen und nicht um ein kleinkariertes Regulieren von Dingen, die möglich sind und nicht möglich sind. Was wir brauchen ist ein guter Wettbewerb und gute Differenzierungsmöglichkeiten und dazu gehören Spezialdienste, dazu gehört Zero-Rating. Es gehört aber auch dazu, dass genügend Raum und Kapazität für ein freies Internet bleibt.

Lohninger:Die Debatte um die Netzneutralität ist noch relativ jung, der Begriff ist lange sehr abstrakt und wissenschaftlich diskutiert worden. In den vergangenen Jahren ist er immer konkreter geworden. Jedes Mal wenn wir über Netzneutralität sprechen, und es gesetzliche Vorstöße gibt, gibt es immer eine enorm starke Bürgerbewegung von Millionen Menschen, die auf die Straße gehen - in den USA, Indien, Chile und auch in Europa. Ich würde mir wünschen, dass die europäischen Politiker ihre Verantwortung ernstnehmen und ein Gesetz machen, das die Freiheit im Internet garantiert. Das heißt, dass man bei der Definition von Spezialdiensten und bei Zero-Rating noch einmal nachschärft.
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Patrick Dax

pdax

Kommt aus dem Team der “alten” ORF-Futurezone. Beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Innovationen, Start-ups, Urheberrecht, Netzpolitik und Medien. Kinder und Tiere behandelt er gut.

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Barbara Wimmer

shroombab

Preisgekrönte Journalistin, Autorin und Vortragende. Seit November 2010 bei der Kurier-Futurezone. Schreibt und spricht über Netzpolitik, Datenschutz, Algorithmen, Künstliche Intelligenz, Social Media, Digitales und alles, was (vermeintlich) smart ist.

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