"Politiker verstehen das Internet nicht"
"Das Internet ist kein Fax-Gerät, das an ein Waffeleisen angeschlossen ist",
Sie kritisieren die Gleichgültigkeit der Politik gegenüber dem Internet. Was läuft falsch?
Wenn Ihnen in Großbritannien oder Frankreich vorgeworfen wird, das Urheberrecht verletzt zu haben, kann es passieren, dass Sie ihren Internetzugang verlieren. Das ist ein Beispiel für die totale Gleichgültigkeit der Politik gegenüber der Bedeutung des Internets für das Leben der Leute und ein Beispiel für eine Gesetzgebung, die einigen wenigen Unternehmen dient und sich gegen das öffentliche Interesse stellt. Eine britische Studie hat Familien in Sozialbauten mit Internet-Zugang mit solchen ohne Internet-Zugang verglichen. Das Ergebnis war eindeutig. Die Lebensqualität der Familien mit Internet war in jeder Hinsicht höher. Das betrifft Bildung, Nahrung, Arbeit, Geld und soziale Mobilität. Das Internet wird von der Politik behandelt, als ob es lediglich eine billigere Möglichkeit zu telefonieren oder ein Vertriebssystem für Pornografie wäre. Das Internet ist aber das Nervensystem des 21. Jahrhunderts.
Wo liegen die Gründe für die Gleichgültigkeit?
Ein einfacher Grund dafür ist die Korruption. Jedesmal wenn Gesetze verabschiedet werden, von denen eine Industrie unverhältnismäßig zulasten der Allgemeinheit profitiert, finden sie für gewöhnlich eine Heerschaar von Lobbyisten und Zuschüsse für Parteikassen. Das gilt für Großbritannien, Frankreich, die Vereinigten Staaten und für alle anderen westlichen Ländern. Es gibt aber Bereiche, die von dieser Korruption ausgenommen sind. Etwa die Wasserversorgung oder das Gesundheitssystem. Sie sind in vielen Gesellschaften unangreifbar. Die Frage sollte also eigentlich lauten: Warum ist das Internet nicht in der Wasser- oder Gesundheitskategorie?
Woran liegt das?
Die Politiker verstehen nicht, dass es nicht möglich ist, ein Internet zu schaffen, das für alles gut ist, außer für die Dinge, die sie nicht wollen. Es gibt keine Möglichkeit Inhalte zu blockieren ohne die Leute zu überwachen. Die Politiker verstehen das Internet einfach nicht.
Sie sind ein entschiedener Gegner von Kopierschutzsystemen (Digital Rights Management, DRM). E-Books werden heute großteils mit Kopierschutzbeschränkungen ausgeliefert, die Nutzungsmöglichkeiten einschränken. Wie lange werden E-Book-Käufer das akzeptieren?
Ich glaube, ich sage nichts Falsches, wenn ich behaupte, dass niemand Kopierschutztechnologien auf seinen Büchern haben will. Es gibt niemanden, der in der Früh aufwacht und sagt, ich will ein gutes Buch, hoffentlich gibt es das auch mit DRM. Ich glaube auch, dass sich die Ansicht, dass DRM nicht gut für Leser ist, immer weiter verbreitet. Jedes Mal, wenn ein Händler zusperrt, der Inhalte mit DRM verkauft hat und seine Kunden auf die Inhalte nicht mehr zugreifen können, jedes Mal, wenn Amazon Bücher, die es verkauft hat, aus rechtlichen Gründen wieder von den Computern seiner Kunden entfernt, nimmt die Anzahl der Leute zu, die DRM für eine schlechte Idee halten. DRM ist auch nicht gut für die Verkäufe.
Sie weigern sich ihre E-Books mit DRM zu verkaufen. Amazon hat das offenbar akzeptiert, ihre Bücher sind dort ohne Kopierschutz erhältlich.
Das liegt nicht an mir, sondern an meinem Verlag. Tor, der größte Science-Fiction-Verlag der Welt und andere Verlage, die im Eigentum von MacMillan stehen, haben DRM fallengelassen. Seither sind ihre Verkäufe gestiegen. Letztlich werden es auch die Verlage sein, die DRM am E-Book-Markt den Todesstoß versetzen. Sie wollen die Kontrolle über ihre Bücher nicht an DRM-Anbieter abgeben. Es ist, als würde man sagen, wenn sie ein Buch von Amazon kaufen, müssen sie es in einem Ikea-Buchregal lagern. Das mag gut für Amazon und gut für Ikea sein, für die Verlage ist es schlecht, weil sie zu Lieferanten degradiert werden. Im Falle von E-Books ist Amazon Ikea. Es verkauft die Bücher und stellt das Bücherregal bereit.
In Ihren Büchern zeigen sie, wie sich Jugendliche Überwachung und Repressionen widersetzen und braucht es mehr Vorbilder wie Cecil B. Devil in "Pirate Cinema" oder Markus Yallow in "Homeland"?
In der Literatur können Argumente veranschaulicht werden. Fragen im Zusammenhang mit Internet-Gesetzgebung und Überwachung sind oft sehr abstrakt und schwer zu erklären. In der Literatur, ganz besonders in Romanen, erleben Leser die Gefühle der Charaktäre sehr direkt und befinden sich mehr oder weniger in ihren Köpfen. Ich glaube, dass es in diesen abstrakten Diskussionen auch sehr nützlich sein kann, die Gefühle der Betroffenen selbst zu erleben.
Ihr Buch "Pirate Cinema" haben Sie Walt Disney gewidmet. Sie nennen ihn einen Remix-Künstler und Public-Domain-Enthusiasten. Der Disney-Konzern steht gerade in Urheberrechtsfragen eindeutig auf der Seite der Hardliner und hat sich in den USA etwa in der Frage der Verlängerung der Schutzfristen für urheberrechtlich geschützte Werke durchgesetzt.
Wie alle interessanten Menschen war auch Walt Disney voller Widersprüche. Disneys Vermögen basiert auf der Aneignung und Adaptierung gemeinfreier Inhalte. Gleichzeitig setzt der Disney Konzern alles daran, auf die Politik einzuwirken, damit dieser öffentliche Bereich immer kleiner wird. Aber ich denke, dass die Kunstwerke die Disney geschaffen hat, die besten Argumente für gemeinfreie Inhalte und flexible Urheberrechte sind. Aber es ist nun einmal so, dass jeder Pirat Admiral werden will und versucht, die Leiter, die ihm den Aufstieg ermöglicht hat, zu kappen.
In Büchern wie "Makers" oder "Down and Out in the Magic Kingdom" zeichnen sie ein optimistischeres Bild, wie Technologie unserer Zukunft bestimmen wird. Wird unsere Zukunft von Repression und Überwachung bestimmt oder vonkreativen Nutzungen von Technologien?
Science-Fiction-Autoren, die versuchen, die Zukunft vorauszusagen, sind wie Kokain-Dealer, die ihr eigenes Zeug nehmen. Ich werde also niemals behaupten, dass ich die Zukunft voraussagen kann.
Sind Sie optimistisch oder pessimistisch?
Es gibt heute viele Leute, die den Cyberoptimisten angesichts repressiver Regierungen, die das Internet nutzen, um Leute auszuspionieren und zu kontrollieren, Naivität vorwerfen. Cyberoptimisten - also Leute, die daran glauben, dass das Internet zu einer besseren Gesellschaft führt - haben auch immer darauf hingewiesen, dass diese Technologien mit Risiken für unsere Freiheit verbunden sind. Nehmen Sie zum Beispiel die Electronic Frontier Foundation (EFF), die nicht nur versucht, das Internet und elektronische Medien vor Zensur zu verteidigen, sondern sich auch für das Recht eingesetzt hat, Verschlüsselungstechnologien zu verwenden, um Informatinoen vor dem Zugriff von Staaten und Unternehmen zu schützen.
Wie lautet ihre Einschätzung?
Ich bin fest davon überzeugt, dass das Internet zur besseren Zusammenarbeit zwischen Leuten beiträgt. Gleichzeitig bin ich aber auch sehr pessimistisch, weil ich sehe, dass das Internet auch zum ultimativen Werkzeug sozialer Kontrolle und Überwachung werden kann. Wenn wir uns also nicht für ein freies Internet einsetzen und unsere Gesetzgeber dazu bringen, das Internet mit dem Respekt zu behandeln, den es verdient, dann kann es durchaus passieren, dass wir uns in einem Totalitarismus wiederfinden, der weit über die wildesten Träume von Stalin und Orwell hinausgeht.
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Zur Person
Der in Kanada geborene und in London lebende Science-Fiction-Autor Cory Doctorow, veröffentlichte seit dem Jahr 2000 zahlreiche Sachbücher, Romane und Kurzgeschichten, darunter "Down and Out in the Magic Kingdom", "Homeland" und "Pirate Cinema". Seine Bücher stellt er unter einer Creative-Commons-Lizenz auf seiner Website auch zum Download bereit. Er ist Mitautor des Weblogs Boingboing. Derzeit arbeitet er unter anderem an einem Sachbuch über das Urheberrecht und einer Novelle für Neal Stephensons Hieroglyph-Projekt.