iOS 7 ausprobiert: Oberflächlich radikal
Dass iOS 7 radikal umgestaltet wurde, merkt man schon daran, dass die der futurezone von einem anonym bleibenden Entwickler zur Verfügung gestellte Beta sich auch tatsächlich wie eine Beta anfühlt. Mancherorts renkt sich die Oberfläche erst nach kurzem Ruckeln ein, auch sind einige Apple-eigene Programme wie iBooks noch nicht dem neuen Design angepasst. Ausprobiert haben wir die neue Software auf einem iPhone 4S.
Jony Ive Redesigns Things
Die ersten Reaktionen auf Apples neues Betriebssystem fielen kontrovers aus. Während die meisten US-Medien die vorgestellten Neuerungen durchaus wohlwollend kommentierten, musste der für das iOS-Redesign hauptverantwortliche Jonathan Ive ungewöhnlich viel Häme einstecken. Bunt, bunt und nochmals bunt mit Neon-Farben aus den 90ern lautete das Urteil vieler User über die neuen App-Icons. Daraus entstanden ist unter anderem ein Blog, das einige der lustigsten Kreationen zum Thema Apple der vergangenen Jahre hervorgebracht hat, egal ob man sich jetzt eher zu Team Android, Team Apple oder Team Microsoft zählt.
Der bunte Overkill findet in der Praxis - zumindest dem Ersteindruck nach - jedoch weit weniger statt als befürchtet. Ironischerweise hat Apple sogar vielerorts Farbe und Textur eingespart. Wo früher blau eingefärbte Rahmenelemente und Pseudo-Knöpfe dargestellt waren, prangt nun ein reines Weiß, was subjektiv mehr Raum schafft, das Design oftmals aber nur auf einige Linien und Leerraum reduziert.
Knalligere Farben
Dass bei vielen Usern zunächst ein bunter Eindruck zurückbleibt, liegt daran, dass Apple das bisher dominante dunklere Graublau von iOS mit einem knalligeren Blau im Schriftbild weiterentwickelt hat. Zusätzlich setzt Apple im Schriftbild erstmals auch auf ein auffallendes Orange-Rot, eine Farbe, die im Apple-Software-Universum bisher nicht vorkam. Die "Buntheit" von iOS 7 hängt zu einem Teil aber auch vom verwendeten Hintergrundbild ab, das mittels eines simulierten Milchglas-Effektes bei vielen Funktionen, wie etwa der Telefonie, hinterlegt wird. Ist der Hintergrund bunt, hat dies größere Auswirkungen als früher, als das Hintergrundbild keine so prominente Rolle spielte.
Neben der allgemeinen Entschlackung an Pseudobalken, -Knöpfen und sonstigen Elementen sticht besonders die filigranere Linienführung ins Auge. Das beginnt bei der neuen, schmalen Schriftart, die ein wenig an Windows Phone erinnert, und setzt sich in abstrahierten verknappten Symbolen fort, die teilweise im 1-Pixelbereich gezeichnet sind, wie etwa das Batteriesymbol oben rechts oder die neuen Symbole für Lesezeichen und Tabs, die Safari zieren. Hier profitiert Apple im Vergleich zu Android vom eigenen, überschaubaren Portfolio, das seit dem iPhone 4 (mit Ausnahme des iPad Mini) auf das hochauflösende Retina-Display setzt. Zwar soll auch das iPad 2 und das iPad Mini in den Genuss von iOS 7 kommen, designt wurde das Betriebssystem aber definitiv für hochauflösende Geräte.
Nicht immer gut lesbar
So bemerkenswert die filigrane Gestaltung ist und auch dazu beiträgt, dass iOS luftiger und vor allem moderner daherkommt, stößt die Darstellung dennoch manchmal an die Grenzen der Lesbarkeit. Das fällt etwa bei der Wetter-Übersicht mehrerer Städte auf, wenn die Informationen sich mit dem dargestellten weißen Wolkenhintergrund vermischen. Je nach eingestelltem Hintergrundbild ergeben sich durch den Milchglaseffekt zudem manchmal Überlagerungen, welche die Lesbarkeit ebenfalls erschweren. Hat man sich an die neue Schrift einmal gewöhnt, erscheint einem das alte iOS-Schriftbild jedoch tatsächlich ein wenig altbacken.
Während die optische Verwandlung im Vergleich zur bisherigen iOS-Linie durchwegs radikal ausgefallen ist, erscheinen die Funktionserweiterungen zumindest in diesen ersten Eindrücken weniger spektakulär. Die praktischste Neuerung ist sicherlich das Einblenden einer Schaltzentrale mit einem Wisch vom unteren Geräterand, der selbst vom Sperrbildschirm aus wichtige Funktionen wie WLAN, Flugzeug-Modus, Bluetooth, Sleep Modus, aber auch Kamera, Kompass und Taschenrechner aufruft. Eine derartige Übersicht zählte seit jeher zu den populärsten Erweiterungen, die man über den Cydia-Store für gehackte Apple-Geräte herunterladen konnte. Dass Apple dies endlich offiziell integriert, war ein überfälliger Schritt.
Notification Center neu
Vom oberen Bildschirm-Rand kann man sich das einmal mehr überarbeitete Notification Center herunterziehen. Es kann nun auch im Sperrbildschirm verwendet werde, um etwa Termine, das Wetter, neue E-Mails oder Facebook- bzw. Twitter-Beiträge anzuzeigen, ohne dass man das iPhone entsperren muss. Um die Privatsphäre zu schützen, kann der User kann dabei genau festlegen, welche Informationen auch im Sperrbildschirm im Center abgerufen werden. In der Praxis verkompliziert dies allerdings das für Apple-Verhältnisse schon bisher recht schwer zu durchschauende System zusätzlich. Wer sich die Zeit nimmt, das Notification Center optimal einzurichten, bekommt damit aber sicherlich ein produktives Werkzeug in die Hand, das etwa für die bei Android bekannten Widgets oder die Live-Kacheln von Windows Phone entschädigt.
Inhaltlich fällt auf, dass die angezeigten Termine und Hinweise nun nach "today", "all" und "missed" sortiert werden können. Die bislang im Notification-Center prominent angebrachten Twitter- und Facebook-Buttons sind hingegen verschwunden. Hier setzt Apple eher auf die Integration direkt in den diversen Apps und unterstützt zudem nun weitere Plattformen nativ. Was ebenfalls auffällt, ist eine in natürlicher Sprache ausformulierte Zusammenfassung des Wetters und der wichtigsten Termine. "Treffen mit den fuzo-Leuten is next up on your calender, in 20 minutes." Das klingt nach prädestiniert für die Sprach-Ausgabe mittels Siri. Eine entsprechende Funktion konnten wir in der kurzen Testzeit allerdings nicht entdecken.
Multitasking
Visuell schön gelöst ist die Multitasking-Funktion. Die untere Leiste mit den offenen Programmen, die nur als Icons dargestellt werden, ist mit iOS 7 vorbei. Neben den Icons wird auch der letzte Bildschirm der geöffneten App verkleinert angezeigt. Um Apps zu schließen, muss nicht mehr länger auf das Icon gedrückt werden, vielmehr kann der im Mini-Format angezeigte Screen einfach nach oben weggeschossen werden. Ein nettes Feature ist, dass die verkleinerten Screens teilweise in Echtzeit angezeigt werden. War die letzte App etwa die Kamera, sieht man auch in der Übersicht, wie das aufgezeichnete Bild mitschwenkt, wenn man das Handy bewegt.
Safari
Sehr gut gefallen hat zudem der überarbeitete Safari, der mit dem Update sich nun definitiv nicht mehr vor Chrome verstecken braucht, der Safari in puncto Innovationsfähigkeit schon bedenklich nahe kam bzw. teilweise überholte. Visuell, aber auch funktionell überzeugend ist vor allem die neue Blätterfunktion, die an das von Apple mittlerweile auf iTunes gestrichene Coverflow erinnert und offene Seiten vertikal blättern lässt. Logischer ist auch, dass die auf anderen Apple-Geräten geöffneten Tabs nun nicht mehr bei den Bookmarks zu finden sind, sondern sich in der Blätter-Rolle am unteren Ende einreihen.
Auch sonst profitiert der Browser von einigen kleineren Überarbeitungen. Die bisher fixe untere Leiste, um Links zu teilen, Bookmarks zu öffnen bzw. auf den Überblick der offenen Seiten zu kommen, blendet sich nun automatisch beim Scrollen aus. Die obere Leiste mit der URL, die bislang völlig verschwand, verkleinert sich beim Scrollen und bleibt nun aber am oberen Bildschirm-Rand stehen. Die schmale Leiste mit der Adresse ist sehr dezent, verhilft aber ebenfalls, die Orientierung zu behalten.
Vimeo statt YouTube
Sonst wurde überall ein bisschen herumgeschraubt. Auffallend ist, dass neben Facebook und Twitter nun auch Flickr und Vimeo tiefer in iOS integriert wurden. Dass ausgerechnet YouTube fehlt und Vimeo zum Uploaden von Videos der Vorrang gegeben wurde, zeigt, wie tief der Graben zwischen dem ehemals wichtigen iPhone-Softwarepartner Google und Apple mittlerweile ist. Die Kamera-App greift den Instagram-Trend auf und bietet nun eine Quadrat-Schablone und vorgefertigte Bearbeitungs-Effekte an.
Foto-App, Kalender
Die Foto-App folgt in der Ordnung der gemachten Aufnahmen nun Apples Desktopprogramm iPhoto und sortiert die Fotos nach Aufnahmedatum und -Ort. Die verkleinerte Darstellung aller Fotos in winzigen Icons ist ein netter Effekt, aber nicht mehr. Der Kalender hat eine der größten optischen Überarbeitungen erfahren und wirkt durch das verwendete Hellrot und Grau sehr ungewohnt. Doch nicht alle optischen Neuerungen sind völlig schlüssig. Um im Kalender zur von vielen verwendeten Listen-Ansicht zu wechseln, muss man nämlich auf eine Lupe rechts oben klicken - nicht unbedingt ein intuitiver Schritt.
Nur an der Oberfläche radikal
Dass man das familiäre iOS-Gefühl nicht völlig über Bord werfen möchte, hat Apple ja bereits bei der Vorstellung betont. Nach derart vielen Jahren mit kaum optischen Änderungen ein doch radikal anderes Design einzuführen, wird definitiv für Irritationen bei vielen langjährigen Apple-Usern sorgen. Da sehr viele Funktionen und Bedienschritte unverändert geblieben sind, sollten sich die meisten User allerdings schnell zurechtfinden. Hat man sich erst einmal an den neuen Look gewohnt, fällt einem zudem erst so richtig auf, dass das alte iOS-Design schon ziemlich in die Jahre gekommen ist.
Nicht hinwegtäuschen kann Apple mit iOS 7 allerdings darüber, dass vieles, das an der Oberfläche radikal, neu und mitunter auch innovativ wirkt, im Grunde eigentlich aber wenig substanziell Neues bietet. Gerade jahrelange Apple-Power-User könnten sogar ein wenig enttäuscht von den Änderungen sein, da diese zumindest dem ersten Eindruck zu urteilen, vorrangig an der Oberfläche stattgefunden haben. Das ist per se keine Tragödie, da iOS schon bisher sehr vieles sehr gut gemacht hat und generell alle führenden Betriebssysteme sich mittlerweile schwer tun, das Rad neu zu erfinden.
Work in Progress
Wie sich die neuen Funktionen, wie etwa Airdrop zum einfachen Teilen von Dateien zwischen Apple-Geräten oder auch iRadio in der Praxis schlagen, konnten wir noch nicht ausgiebig genug testen. Für ein endgültiges Gesamturteil, wie sich iOS 7 in der täglichen Praxis und auch auf den verschiedenen Apple-Geräten schlägt, ist es somit definitiv zu früh. Man darf zudem gespannt sein, ob Apple mit der Einführung des nächsten iPhones, iPads und anderer iOS-Geräte noch einige software-seitigen Überraschungen im Ärmel hat. Wir werden die kommenden Betas jedenfalls aufmerksam verfolgen und über weitere Eindrücke berichten.
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