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Samsung Galaxy Note 10+ im Test: Das Einhorn unter den Smartphones

Im Englischen wird der Begriff Unicorn (Einhorn) verwendet, um exotische oder seltene Dinge zu bezeichnen. Samsungs Note-Serie war von Anfang an so ein Einhorn in der Smartphone-Welt. Das große Display und der Stift machten es jahrelang einzigartig im Premium-Phone-Segment.

Mit dem Note 8 und 9 verlor das Smartphone aber an Zauber: Durch die großen Displays des Galaxy S8+ und S9+ verschwommen die Grenzen zunehmend. Aus dem echten Einhorn wurde ein Pferd mit aufgeklebter Spitze am Kopf.

Damit sich dieser Trend bei der 10er-Generation nicht fortsetzt, hat Samsung ein paar mutige Entscheidungen gefällt – einige davon gut, andere weniger. Dazu gehört etwa die Entscheidung, zwei Note 10 zu veröffentlichen. Das kleinere und etwas abgespeckte Note 10 gibt es eigentlich nur, damit Samsung sagen kann, dass das Note 10 weiterhin unter 1000 Euro erhältlich ist (949 Euro UVP). Das Note 10+ ist der eigentliche Nachfolger des Note 9 und kostet 1099 Euro (UVP). Ich habe es getestet.

Regenbogen

Eine der mutigen Entscheidungen von Samsung, die Früchte tragen, ist die Farbe Aura Glow. Diese schimmert in Regenbogen-Farben, je nachdem, wie das Licht darauf fällt. Vor Samsung haben andere Hersteller, wie etwa Huawei, auf diesen Effekt gesetzt. Dass man dieses Finish jetzt beim Note 10+ findet zeigt, dass Samsung endgültig verstanden hat, dass die Notes keine Business-Phones mehr sind. Wem die gelungene Regenbogen-Glasrückseite zu auffällig ist, der kann das Note 10+ nach wie vor in Weiß oder Schwarz kaufen.

Passend zur Einhorn-Regenbogenmähne wurde auch das Kameraloch im Display versetzt. Dieses ist jetzt zentriert – gut so, denn ein Einhorn mit Horn über dem rechten Auge würde seltsam aussehen. In der Alltagsnutzung stört die Aussparung überhaupt nicht. Durch die zentrierte Position fällt es sogar leichter Selfies zu machen.

„Ist das noch Samsung?“

Egal ob S- oder Note-Serie: Wenn man jahrelang Samsung-Smartphones testet oder nutzt, weiß man, wie sich ein Samsung-Handy anfühlt, sobald man es in die Hand nimmt. Beim Note 10+ ist das nicht der Fall. Um dieses Gefühl zu bestätigten, legte ich meinen Kollegen das Note 10+ auf den Tisch, mit den Worten: „Nimm mal“. Seine Reaktion beim Hochheben: „Ist das noch Samsung?“

Die Note-Serie und S+-Geräte hatten bisher immer etwas Wuchtiges. Sie fühlten sich massiv an, so als sei das Gerät randvoll gepackt mit Technologie. Beim Note 10+ ist das anders. Es fühlt sich nicht direkt „hohl“ an, aber es ist einfach nicht so, wie bisher. Die Entscheidung von Samsung, dieses Feeling so grundlegend zu ändern, ist sehr mutig. Es würde mich nicht wundern, wenn einige langjährige Samsung-User von dieser Haptik initial abgeschreckt sind, wenn sie das 1100 Euro teure Smartphone zum ersten Mal in die Finger kriegen.

Dieses Gefühl ist Teil der Marke und für Premium-Kunden auch Teil dessen, was sie mit Samsung verbinden. Das zu ändern, ist nicht nur mutig, sondern geradezu tollkühn – und es war die richtige Entscheidung. Nach dem ersten Minischock merkt man im Alltagsgebrauch, wie gut das Note 10+ trotz seiner Größe und des Gewichts von 198 Gramm in der Hand liegt. Ich habe mehrere Monate das S10+ in der Ceramik-Edition verwendet, das das gleiche Gewicht hat. Im Vergleich mit dem Note 10+ fühlt es sich aber schwer und fast schon unangenehm in der Hand an.

Tschüss Bixby, niemand wird dich vermissen

Keine mutige, sondern eine notwendige Entscheidung, ist der Verzicht auf den Bixby-Zwang. Der Sprachassistent ist zwar immer noch installiert, aber die Hardware-Spuren sind jetzt endgültig beseitigt.

Offiziell wurde die Standby-Taste an der rechten Gehäuseseite eingespart und als Zweitfunktion zur Bixby-Taste gelegt. Diese befindet sich links unter den Lautstärke-Tasten. Diese offizielle Erklärung ist Teil der südkoreanischen Kultur: das Gesicht wahren.

Was wirklich passiert ist: Bei der Note-Serie hat die Standby-Taste auf der rechten Seite keinen Sinn gemacht. Die meisten Menschen sind Rechtshänder und nehmen das Note 10+ deshalb in die linke Hand, um mit der rechten den Stift zu halten. Auch ohne Stift halten viele Menschen große Smartphones (das Note 10+ ist definitiv ein großes Smartphone) in der linken Hand, um es mit dem rechten Zeigefinger zu bedienen. Sind sowohl Lautstärke- und Standby-Tasten auf der linken Seite, können diese bequem und ohne Umgreifen erreicht werden.

Um diese Maßnahme zu tarnen (Stichwort: Gesicht wahren), ist die Funktion der Standby-Taste nur eine Zweitfunktion der „Bixby-Taste“ auf der linken Seite. Es wurde sogar in der Notification-Bar ein Ausschalt-Symbol eingefügt, um diese Funktion ohne Taste aufzurufen, weil es ja offiziell keine Standby-Taste mehr gibt. Geht man aber in die Einstellungen und auf „Erweiterte Funktionen“, findet man dort das Menü „Funktionstaste“. Hier lässt sich jetzt einstellen, dass bei „Drücken und halten“ nicht Bixby aktiviert, sondern das „Ausschalten-Menü“ aufgerufen wird. Einen Zwang zur Zweit-Belegung der Taste, wie beim S10+, gibt es nicht. Und damit ist die Bixby-Taste Geschichte. Mach’s gut Bixby-Taste, wir werden dich nicht vermissen. Komm bitte nie wieder.

Display

Das Note 10+ hat ein hervorragendes AMOLED-Display, wie man es von Samsung gewohnt ist. Standardmäßig ist es auf „Natürlich“ eingestellt. Wer die kräftigen AMOLED-Farben sehen will, wechselt den Bildschirmmodus auf „Lebendig“. Ich persönlich bevorzuge diese Darstellung. Wer will kann Farbtemperatur und die Farbbalance mit den Parametern Rot, Grün, Blau anpassen.

Die Bildschirmauflösung ist von Beginn an auf 2280 x 1080 Pixel gestellt. Wer die Fähigkeiten des 6,8 Zoll großen Displays voll ausnutzen will, kann die Auflösung 3040 x 1440 Pixel wählen. Viele Apps unterstützen eine so hohe Auflösung nicht nativ, weshalb man keinen Unterschied merken wird. Bei denen die es tun, kann man den Unterschied aufgrund des großen Displays leichter bemerken, als etwa beim S10+. Bei Google Maps ist zB. die Straßenbeschriftung etwa schärfer.

Wenn man am Bildschirm etwas bemängeln möchte: Die Bildwiederholungsrate ist nach wie vor Standard. OnePlus hat beim 7 Pro gezeigt, dass Displays mit 90Hz tatsächlich für eine flüssigere Darstellung sorgen. Gerade beim großen 6,8-Zoll-Display des Note 10+ würde das gut ankommen.

Sound

Die eingebauten Lautsprecher des Note 10+ sind sehr laut, wenn man das möchte. Wie üblich nimmt die Qualität des Sounds mit erhöhter Lautstärke ab. Geht man aber nicht aufs Maximum, kann man trotzdem locker ein großes Wohnzimmer beschallen, ohne dass man ständig wegen verhunzter Töne zusammenzuckt. Das Note 10+ hat mehr Volumen im Klang als das S10+. Es vollbringt zwar keine Akustikwunder, aber zumindest den Mini-Bluetooth-Speaker kann man sich sparen.

Das Note 10+ ist das erste von Samsungs Spitzenmodellen, das auf den 3,5mm-Kopfhöreranschluss verzichtet. Als Nutzer von Bluetooth-Kopfhörern ist das für mich weniger tragisch. Allerdings gibt es viele Kreative, die auf kabelgebundene Kopfhörer vertrauen, die sie schon seit Jahren nutzen. Und da Samsung das Note 10+ aktiv für Kreative anpreist, könnte diese Käuferschicht verärgert sein. Da die 3,5mm-Kopfhörerbuchse in Premium-Smartphones ohnehin dem Tod geweiht ist, sollten diese Kunden lieber nicht drauf hoffen, dass es beim S11 noch oder beim Note 11 wieder diesen Anschluss geben wird.

Stift-Gesten

Der S Pen genannte Stift ist beim Note 10+ eine Spur kürzer als beim Vorjahresmodell und minimal breiter. Mir hat die alte Länge etwas mehr zugesagt. Beim aktuellen S Pen muss ich mich entscheiden, ob ich den Stift so halte, dass ich mehr Kontrolle habe oder so, dass ich leichter die S-Pen-Taste darauf erreiche.

Der S Pen hat jetzt Beschleunigungssensoren eingebaut. Dadurch kann man gewisse Apps mit Gesten steuern. Bei YouTube kann man etwa durch das Gedrücktlassen der Stift-Taste und Bewegen des Sifts nach oben oder unten die Lautstärke ändern. Wischt man mit dem Stift in der Luft nach links oder rechts, springt man zum nächsten Video. In der Kamera-App kann man mit ähnlichen Gesten zwischen Front- und Rückkamera wechseln.

Es fällt mir schwer, den Mehrwehrt dahinter zu erkennen, zumal einige Gesten auch nicht immer erkannt werden. Diese Funktionen fühlen sich wie ein Gimmick an. Es wirkt so, als hätte Samsung eine gute Idee für die Hardware gehabt, aber keine dafür, wie diese sinnvoll in Software-Funktionen umgesetzt werden kann.

Praktischer ist, dass die Handschrifterkennung beim Note 10+ jetzt gut funktioniert. Es ist zwar nicht perfekt, aber erkennt einen Großteil meiner Sauklauen-Notizen richtig. Die Notizen können nun auch als Word- und PDF-Datei gespeichert werden.

Mit „AR-Zeichnung“ gibt es noch eine neue Stift-Funktion. Hier kann man live auf Bilder zeichnen, die die Kamera am Display anzeigt. Bei Gesichtern funktioniert es relativ gut, dass die Kritzeleien da bleiben, wo sie sollen. Bei normalen Objekten verschieben sich die Zeichnungen recht schnell, wenn man das Note 10+ bewegt. Die AR-Zeichnungen können als Video aufgenommen und so für die Nachwelt konserviert werden.

Leistung

12 GB RAM, 256 GB Speicher und Samsungs Exynos 9825-Prozessor sorgen dafür, dass das Note 10+ für so ziemlich alle Arbeitssituationen gerüstet ist. Diese Power erlaubt auch das Nutzen des DeX-Modus per USB-Kabel am Computer. Dazu muss erst am PC oder Mac die DeX-Software installiert werden. Wird danach das Note 10+ per USB-Kabel angesteckt, kann man es im Desktop-Modus am Computer oder Notebook nutzen. Das scheint eher unnötig, weil man sowieso einen Computer hat. Wenn aber das Arbeitsleben zur Hälfte Mobile abläuft, kann es durchaus sinnvoll sein, sein Smartphone so aufs Notebook zu bringen und es nahezu wie einen Computer nutzen zu können.

Der Akku scheint mit 4.300 mAh ausreichend groß zu sein, allerdings ist auch das Display mit 6,8 Zoll sehr groß. Mit der Auflösung 3040 x 1440 Pixel und gemischter Nutzung, inklusive fotografieren, bleiben für das Abhängen auf der Couch ab 22 Uhr noch 20 bis 30 Prozent Akku übrig. Das reicht zwar für normale Arbeitstage, wer aber vor hat viel oder lange unterwegs zu sein, sollte die Standard-Auflösung von 2280 x 1080 Pixel nutzen, um bis in die Morgenstunden durchzukommen. Wer auch mal die Finger vom Smartphone lassen kann, kommt mit einer Akkuladung mit dieser Auflösung 1,5 bis 2 Arbeitstage durch. Allerdings werden die Wenigsten 1100 Euro für ein Smartphone ausgeben, um es dann nicht zu benutzen.

Wie beim S10 wurde auch beim Note 10+ der Fingerabdrucksensor unter das Display gelegt. Dieser sitzt beim Note 10+ etwas höher als beim S10+ und ist für mich einfacher zu erreichen. Er funktioniert auch etwas schneller und präziser. Allerdings muss man, wie beim S10+, damit rechnen, dass mit der Zeit die Leistung abnimmt. Dies liegt an den Mikrokratzern, die im Alltagsgebrauch am Bildschirm entstehen.

Der Pulsmesser an der Rückseite wurde gestrichen. Stattdessen gibt es einen 3D-Sensor an der Rückseite, der mit Samsungs „Quick Measure“-App funktioniert. Diese misst in der Augmented Reality Distanzen und kann bei manchen Objekten, wenn man es am Display antippt, Höhe, Breite und Tiefe automatisch anzeigen. Bei flachen Gegenständen wird zusätzlich die Fläche eingeblendet. Im Test funktionierte das bei flachen Gegenständen, wie Bildern an der Wand, recht gut, bei 3D-Objekten allerdings so gut wie nie. Die 3D-Scanner-App von Samsung funktionierte überhaupt nicht – mir gelang kein einziger Scan.

Kamera

Das Note 10+ nutzt dasselbe Triple-Kamera-Setup wie das S10+: Standard-Weitwinkelkamera, Superweitwinkelkamera und Telekamera (2-fach Zoom). Die Telekamera ist jetzt eine Spur lichtstärker, was bei Situationen mit wenig Licht hilft. Die Superweitwinkelkamera hat nach wie vor die schlechteste Qualität der drei Kameras, liefert bei gutem Licht aber auch immer noch gute Resultate.

Alle drei Kameras haben immer noch eine leichte Grundunschärfe, die man in der Regel nur in der 100-Prozent-Ansicht auf dem PC- oder Notebook-Monitor bemerkt. Deutlich auffälliger ist, dass die Farben sehr stark gesättigt sind. Das schaut gut aus – zu gut. Es ist denkbar, dass Samsung die Software beim Note 10+ diesbezüglich angepasst hat, um zu kaschieren, dass es bei der Kamera-Hardware keine wesentliche Verbesserung zum S10+ gibt. Wer realistischere Farben haben will, sollte den „Pro“-Modus in der Kamera-App nutzen.

Beim Note 10+ hat Samsung endlich einen Nacht-Modus integriert. Dieser erhöht zwar die Schärfe bei Aufnahmen mit wenig Licht deutlich, verträgt sich aber schlecht mit dem zuvor erwähnten Farbprofil, das die Fotos zu stark sättigt. Aufnahmen bei Dämmerung oder viel Kunstlicht sehen dadurch unnatürlich aus – so als hätte man es mit den Filtern von Foto-Apps übertrieben. Bei weniger Licht nimmt die Leistung des Nacht-Modus stark ab, dafür werden die Fotos aber natürlicher. Insgesamt ist der Nacht-Modus dem von Huawei und Google weit unterlegen.

Videos

Die Videoqualität des Note 10+ ist sehr gut. Hier sind auch die Farben weniger übersättigt als bei den Fotos. Der Live-Fokus-Effekt von Fotos ist jetzt auch für Videos verfügbar. Er funktioniert bestenfalls annehmbar und sieht meistens unnatürlich aus. Neu ist der Mikrofon-Zoom. Zoomt man beim Filmen hinein, wird auch die Aufnahmelautstärke erhöht. Dies gilt allerdings nicht nur für die Stimme der Person die gerade gefilmt wird, sondern auch für die unmittelbare Umgebung rund um die Person.

Der „Superstabil“-Modus wurde gegenüber dem S10+ etwas verbessert. Er reduziert jetzt Wackeln noch stärker. Nutzt man diesen, ist aber die Bildqualität schlechter, als in den normalen Videomodi. Für Aufnahmen bei wenig Licht ist er deshalb nicht geeignet. Wie beim S10+ kann auch das Note 10+ Videos in UHD/4K aufnehmen, mit 30 oder 60 fps. Und wie beim S10+ stehen dann Videoeffekte und der Verfolgungs-Autofokus nicht zur Verfügung.

Samsung hat seinen eingebauten Video Editor überarbeitet. Kurze Videos lassen sich recht bequem mit dem Stift bearbeiten, mit anderen Clips und Fotos zusammensetzen sowie mit Übergangseffekten und Text versehen. Allerdings wird bei UHD- und QHD-Videos immer noch kein Zoom unterstützt. Das präzise Schneiden von längeren UHD-Videos ist dadurch schwierig.

Fazit

Wieso sollte man sich ein Einhorn halten, wenn ein normales Pferd dieselben Tätigkeiten verrichtet? Weil man es kann. Und so ist es auch bei diesem Smartphone: Das Note 10+ braucht man nicht, man will es.

Es gibt kein Feature, das den Umstieg vom Note 9 oder S10+ auf das Note 10+ notwendig macht. Wenn man besonders viel Wert auf die Kamerafunktionen legt, ist man sogar mit anderen Handys, wie dem Huawei P30 Pro (und voraussichtlich den in Kürze kommenden Google Pixel 4) besser beraten und zahlt weniger.

Der hohe Verarbeitungsstandard, das ausgezeichnete 6,8-Zoll-Display und das neue Haptik-Gefühl des Note 10+ machen es aber dennoch reizvoll – gerade für langjährige Samsung-User. Eine Vernunft-Entscheidung ist das Note 10+ mit dem Preis von 1100 Euro jedenfalls nicht. Das Herz sagt jedoch ja. Und was das Herz noch sagt: „Auf Nimmerwiedersehen Bibxy-Taste, ich hoffe du brätst in der Hölle!“

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Gregor Gruber

Testet am liebsten Videospiele und Hardware, vom Kopfhörer über Smartphones und Kameras bis zum 8K-TV.

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