Erste deutsche Astronautin per Casting gesucht
Wenn ihr der Mechaniker in der Autowerkstatt mal wieder zeigen will, wie die Motorhaube aufgeht, kann Jovana D?alto nur müde lächeln. Der Mann kann ja nicht ahnen, dass sie Maschinenbau-Ingenieurin ist und sich als Astronautin beworben hat. D?alto ist eine von 400 Frauen, die den Traum haben, ab 2020 für zehn Tage mit einer privaten Mission zur Internationalen Raumstation ISS zu fliegen - als erste deutsche, klassisch ausgebildete Astronautin. Denn bisher waren nur deutsche Männer im All - elf an der Zahl. Zuletzt war Alexander Gerst auf der ISS. Und er startet 2018 gleich noch einmal. Ist das fair?
Auf Mars gelebt
„Der Traum allein reicht nicht“, sagt Claudia Kessler. Die Luft- und Raumfahrttechnikerin ist Personalvermittlerin in der hoch spezialisierten Weltraum-Branche. Noch viel lieber wäre die Bremerin selbst ins All geflogen. „Aber ich war immer zur falschen Zeit im falschen Alter“, bedauert sie. Bei der Mondlandung 1969 war sie vier.
Mit ihrer Initiative „Die Astronautin“ will Kessler nun einer anderen Frau die Chance geben. Die große Zahl geeigneter Bewerberinnen macht sie glücklich. Monatelang hat sie die Profile von Kampfpilotinnen, Ingenieurinnen oder Medizinerinnen gesichtet, darunter auch das der Geophysikerin Christiane Heinicke. Sie hat gerade für ein Nasa-Experiment mit fünf Wissenschaftlern ein Jahr lang das Leben auf dem Mars simuliert, abgeschieden auf einem Vulkan auf Hawaii.
Studium kam dazwischen
Am 14. September (Mittwoch) werden Dutzende Top-Kandidatinnen der mehr als 400 Bewerberinnen in Berlin präsentiert. Spätestens Ende September sollen dann die 90 Kandidatinnen feststehen, die eine Runde weiterkommen. Ab Oktober geht es für sie beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in die psychische und medizinische Testphase. Bis März 2017 soll eine Kandidatin feststehen - und die Finanzierung möglichst auch.
Vielleicht ist Nina Mehrkens dabei, die gerade ihre Promotion in Bioanorganischer Chemie abgeschlossen hat. In ihrer Freizeit ist die Heidelbergerin den Sternen schon ganz nah, sie macht astronomische Beobachtungen. Sie würde alles dafür geben, ein chemisches Experiment auf der ISS durchzuführen. Dafür hätte sie sich gern bei der Europäischen Raumfahrtagentur Esa beworben. Doch bei der letzten Ausschreibung war sie mitten im Studium. Und wann es die nächste gibt, steht noch nicht fest.
Kein Hype trotz Vorreiter
In Deutschland hat es einen Raumfahrt-Hype wie in den USA und der früheren Sowjetunion nie gegeben. Im Kalten Krieg war für die Weltmächte der Kampf ums All ideologisch aufgeladen. Die Frauenfrage handhabten sie unterschiedlich. Während die Russen bereits 1963 die Kosmonautin Valentina Tereschkowa in den Weltraum schossen, musste sich die erste Nasa-Astronautin Sally Ride noch 1978 die Frage gefallen lassen, ob 100 Tampons für einen Trip ins All wohl ausreichen. Doch auch die USA wandelten sich. Heute ist die Hälfte des Astronautenteams weiblich. Und bei der Kult-Serie „Star-Trek“ kommandierte ab 1995 Kathryn Janeway.
Für Europa entscheiden nicht die einzelnen Staaten, wen sie ins All schicken. Die Esa wählt aus, wer sich für Missionen eignet. Seit 1988 gibt es gemischte Teams, seit 20 Jahren ist der Anteil von 15 Prozent Frauen unter den Bewerbern gleich geblieben. Zuletzt stellte die Italienerin Samantha Cristoforetti den Rekord für Frauen mit fast 200 Tagen im Weltraum auf. Da die Europäer aber nur wenige Astronauten auf der einzigen Raumstation ISS stellen, ist die Chance auf die teure Ausbildung gering - das Korps besteht zurzeit nur aus 14 Astronauten. Unter den jüngsten sechs, im Team mit Alexander Gerst, ist Jetpilotin Cristoforetti die einzige Frau.
Millionen-Ausbildung
Bei der promovierten Raumfahrttechnikerin Susanne Peters (30) hingen Planetenposter schon im Kinderzimmer. Sie weiß, dass es schwierig wird, für „Die Astronautin“ genommen zu werden. Doch das schreckt die Münchnerin nicht. „Ich brenne dafür“, sagt sie. Im Moment beschäftigt sie sich in ihrem Beruf damit, wie man Weltraummüll wieder los wird. In ihrem Zimmer hängt nun eine Karte der Erde. „Raumfahrt heißt auch, eine globale Sicht auf die Dinge zu haben“, sagt sie. „Man sieht von da oben keine Grenzen, nur einen fragilen und zerstörbaren Planeten.“
Finanzieren sollen die mehr als 30 Millionen Euro teure Astronautinnen-Ausbildung und den späteren Trip ins All Sponsoren. Kessler ist überzeugt, dass es klappt. Firmen würden im All gern Experimente durchführen lassen, zum Beispiel zur Materialforschung. Dafür würden sie auch bezahlen, sagt sie. Die Berliner Charité sehne sich nach Daten aus erster Hand, wie Herz-Kreislauf-System, Muskeln oder Knochen von Astronautinnen reagierten. Das DLR finanziert die Tests der 90 Kandidatinnen im Oktober, weil es so wenige Daten von Frauen gibt.
Raketen statt Puppen
Dass sich wenige Frauen aus Deutschland regulär als Astronautin bewerben, hat für Kandidatin Jovana D?alto auch mit festgefahrenen Gesellschaftsmodellen zu tun. Sie kam als Flüchtlingskind im Jugoslawienkrieg nach Deutschland. Schon ihre Mutter hatte Maschinenbau studiert. Doch in der neuen Heimat ging sie putzen. „Ich habe mich schon als kleines Mädchen lieber mit Spielzeugraketen und Autos beschäftigt als mit Puppen“, erinnert sie sich.
Heute arbeitet D?alto an der Technischen Universität in Kaiserslautern. Sie ist Materialwissenschaftlerin, Spezialgebiet Verbundwerkstoffe und Leichtbau. In ihrer Freizeit geht sie Segelfliegen, schraubt selbst an Flugzeugen. „Ich bin oft die einzige Frau auf dem Flugplatz“, sagt sie. Die ISS kann nicht so viel anders sein.
Claudia Kessler will mit ihrer ungewöhnlichen Initiative auch mehr Mädchen für Naturwissenschaften begeistern. Den Traum vom Weltall hat sie noch nicht aufgegeben. „Vielleicht werden kommerzielle Reisen irgendwann erschwinglich“, sagt sie. Genau vor zehn Jahren verwirklichte sich die gebürtige Iranerin und Unternehmerin Anousheh Ansari diesen Herzenswunsch: Sie war die erste Weltraumtouristin. Kostenpunkt: 20 Millionen Dollar.