"Googlerola" wälzt die Handywelt um
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So tief hat Google noch nie in die Kriegskasse gegriffen: Nachdem der Internetkonzern die Übernahmedes US-Handy-Herstellers Motorola Mobility um 12,5 Milliarden Dollar (8,7 Mrd. Euro) bekannt gab, steht die Handy-Welt Kopf. Denn mit dem Schachzug hat Google sein Handy-Betriebssystem dank der Motorola-Patente gegen Apple und Microsoft abgesichert und gleichzeitig die Metamorphose vom Software-Konzern zum Hardware-Hersteller eingeleitet - schon ist im Web überall von “Googlerola” zu lesen.
“Beim Motorola-Deal geht es einzig darum, dass Google sich mit einem eigenen Patent-Portfolio gegen Apple, Microsoft und Co. in Stellung bringt”, sagt Patentanwalt Sascha Salomonowitz von der Wiener Kanzlei Salomonowitz/Horak zur futurezone. Motorola zählt zu den Pionieren im Mobilfunk, mindestens 17.000 Patente gehen in den Besitz von Google über. Das ist strategisch wichtig: Erst kürzlich verlor der Konzern das Rennen um 6000 Patente des insolventen kanadischen Telekommunikationsunternehmens Nortel, die sich Apple und Microsoft um 4,5 Mrd. Dollar schnappten. Die Motorola-Übernahme werde es Google ermöglichen, das eigene Handy-Betriebssystem Android “besser vor wettbewerbsfeindlichen Bedrohungen von Microsoft, Apple und anderen Unternehmen zu schützen“, so Google-Chef Larry Page. Der Schachzug ist so genial wie überraschend: Denn so kann Page nun insgesamt 20.000 Patente, die Handys betreffen, gegen seine Erzrivalen vorweisen und damit etwaige Klagen abwehren. Google hat nun etwa gleich viele Patente wie Microsoft und doppelt so viele wie Apple. Zum Vergleich: BlackBerry-Hersteller Research in Motion hält derzeit nur 3134 Patente.
Patente sind gerade in der Smartphone-Welt extrem wichtig: In einem durchschnittlichen Gerät kommt Technologie zum Einsatz, die bis zu 250.000 einzelne Patente betreffen kann. Hält diese ein anderer Konzern, kann er Lizenzgebühren verlangen (z.B. werden Android-Handys dann teurer), klagen und sogar einen Verkaufsstopp erwirken, wie es kürzlich Apple gegen das Samsung-Tablet “Galaxy Tab 10.1” in der EU erwirkte. Außerdem konnte Google sich bei Microsoft für die Niederlage bei Nortel revanchieren: Denn der Software-Riese soll sich ebenfalls für Motorola interessiert haben, wie der IT-Blog Gigaom berichtet.
SchwierigDie Übernahme muss Google aber erst einmal verdauen. Page begrüßt 19.000 neue Mitarbeiter in der etwa 28.000 Personen zählenden Google-Familie - die Belegschaft wächst somit um rund 60 Prozent. Zudem führt Motorola gerade Prozesse gegen Microsoft und Apple - sollte der Deal bis Ende des Jahres durchgehen, könnte sich Google in der verrückten Situation wiederfinden, keine Android-Smartphones in die USA einführen zu dürfen. Bis es soweit ist, hat die US-Wettbewerbsbehörde Federal Trade Commission ein gewichtiges Wort mitzureden, die den Deal aufs Genaueste prüfen wird. Die Übernahme ist auch in der EU ein Thema, wo aktuell neun Verfahren gegen Google wegen Missbrauchs seiner marktbeherrschenden Stellung laufen. Selbst bei Motorola glaubt man nicht hundertprozentig an eine reibungslose Übernahme: Laut Bloomberg soll Motorola 2,5 Milliarden Dollar von Google bekommen, falls der Deal nicht durchgeht.
Gefahr droht aber auch von den eigenen Partnern: 39 Hersteller, darunter Branchenriesen wie HTC, Samsung und LG lassen viele ihrer Handys auf der Android-Software laufen und begrüßten offiziell die Motorola-Übernahme. Tatsächlich ist Google aber nun selbst Hardware-Produzent und konkurriert künftig mit seinen Smartphones mit jenen der Partnerfirmen. Hinter den Kulissen fürchten diese bereits, dass Google-eigene Handys bevorzugt behandelt werden könnten - etwa, indem sie exklusive Funktionen oder schnellere Software-Updates bekommen. Das könnte HTC oder LG zum Konkurrenten Microsoft treiben, der mit “Windows Phone 7” zwar ein Betriebssystem anbietet, die Produktion eigener Handys (“Kin”) aber bereits aufgegeben hat. Es gibt aber noch eine andere Option für sie: Samsung könnte sich verstärkt seiner eigenen Handy-Software “Bada” widmen, oder HTC und LG seine Software-Teams, die derzeit angepasste Benutzeroberflächen für Android entwerfen, eigene OS entwickeln lassen. Auch bei HPs WebOS findet sich eine Android-Alternative.
“Jetzt, wo Google in gewisser Weise mit seinen Hardware-Partnern konkurriert, könnten einige davon mehr Ressourcen in Microsofts Plattform investieren”, lautet eine offizielle Stellungnahme von Nokia gegenüber CNN. “In diesem Szenario bekommt Microsoft mehr Unterstützung bei Geräten, ohne selber einen Hersteller kaufen zu müssen.”
Sollten Googles heutige Partner abwandern, würde das für erhebliche Verluste sorgen: Derzeit sind dank ihnen weltweit mehr als 150 Millionen Android-Geräte aktiviert, täglich kommen 550.000 neue dazu. Pro Gerät und Jahr verdient Google über Umwege (z.B. ist die Google-Suche voreingestellt) vier bis sechs Dollar, wie Cnet berichtet - das ist deutlich mehr als die Einnahmen, die etwa Microsoft mit der Lizensierung von “Windows Phone 7” pro Gerät macht (drei bis fünf Dollar/Jahr).
Wie Apple werden“Überschätzen sie nicht den Patent-Teil des Deals”, schreibt der renommierte Analyst Florian Müller in einem Blog-Eintrag. “Google geht es darum, seine Kontrolle über Android zu maximieren.” Denn in Mountain View dürften die fetten Margen, die Apple mit dem Verkauf von Hardware (allen voran das iPhone und das iPad) macht, nur zu gut bekannt sein. Auch das gute Zusammenspiel zwischen Software und Hardware, die bei Apple aus einer Hand kommen, kann Android bis dato nicht ganz erreichen. Stattdessen nimmt die Fragmentisierung der Android-Handys stetig zu: Zu viele verschiedene Software-Versionen auf noch mehr unterschiedlichen Geräten erschweren Konsumenten wie App-Entwicklern den Überblick.
Als Software-Konzern muss sich Google außerdem den Problemen der Hardware-Welt stellen und essenzielle Dinge wie Lieferketten oder Fabrikkapazitäten in den Griff bekommen. Nur ein Beispiel: Apple, seit den 1970ern im Geschäft, belegt derzeit bewusst die Herstellung von Aluminium-Gehäusen für Notebooks, sodass andere Firmen auf Fiberglas ausweichen müssen. Während Apple weltweit 330 gut besuchte Apple Stores als Verkaufsstellen betreibt, schaffte es Google beim ersten Google-Handy “Nexus One” nicht einmal, den Online-Shop zur Zufriedenheit der Kunden zu führen. Einen interessanten Nebeneffekt könnte die Motorola-Kauf auf das schwächelnde GoogleTV haben: Denn neben Handys produziert der Übernahmekandidat auch Set-Top-Boxen.
Ein Ende des Patentkriegs ist indes nicht absehbar: Demnächst versteigert der Funktechnologie-Spezialist InterDigital 8000 Patente, die traditionsfirma Eastman Kodak will ebenfalls 1100 verkaufen. Und mit Samsung (37.000 Handy-Patente) und LG (31.000 Handy-Patente) gibt es zwei koreanische Hersteller, die in dem Kampf um die Vorherrschaft bei Smartphones ebenfalls noch ein gewichtiges Wörtchen mitzureden haben.
Motorola: Mit dem „Dynatac 8000X“ stellte Motorola-Forscher Martin Cooper (siehe rechts) 1983 das erste im Handel erhältliche Mobiltelefon der Welt vor. Es kostete damals fast 4000 Dollar, eine Akkuladung reichte für eine Stunde Gesprächszeit. Weitere Innovationen: Motorola stellte das erste Klapp-Handy sowie das erste UMTS-Handy her und landete mit dem flachen Klapp-Modell RAZR einen Verkaufsschlager. Seit mehreren Jahren ist die 1928 in den USA gegründete Traditionsfirma in der Krise. War man hinter Nokia lange Zeit zweitgrößter Handy-Hersteller der Welt, musste die Firma durch erstarkende Smartphone-Hersteller wie Apple und Samsung herbe Umsatzeinbußen hinnehmen. 2008 wurde Motorola schließlich in die zwei Sparten „Motorola Solutions“ (Netzwerke) und „Motorola Mobility“ (Handys, Tablets) aufgespalten.
Die größten Google-Übernahmen:Der Kauf von „Motorola Mobility“ ist die bis dato größte Übernahme des Internetkonzerns. Die bisher teuersten Deals waren: Der Online-Werbespezialist DoubleClick wurde 2008 um 3,1 Milliarden Dollar übernommen. Das populäre Video-Portal YouTube war der Suchmaschine 2006 1,65 Mrd. Dollar wert. AdMob, der Spezialist für Handy-Werbung, der heute vor allem bei Android zum Einsatz kommt, wurde 2009 um 750 Millionen Dollar aufgekauft. Der Flugticket-Anbieter ITA Software wurde im Juli 2010 um 700 Millionen Dollar aufgekauft.
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