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Digital Life

Wie aus Streit auf YouTube reale Gewalt wird

Drei junge Männer reden von Stolz, Männlichkeit, Ehre und darüber, dass man einen anderen Menschen "totschlagen" muss. Das findet offen im Netz statt. Auf dem Berliner Alexanderplatz kommt es dann am 21. März zu einer Massenschlägerei - zuvor hatten zwei Streithähne im Internet zu einem Treffen aufgerufen. Die Gewerkschaft der deutschen Polizei sieht dringenden Handlungsbedarf.

So etwas darf nicht sein, findet der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Oliver Malchow. Für ihn sind Fälle wie dieser eine mögliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Maßnahmen der analogen Welt müssten auch in der digitalen möglich sein. Wie dies umgesetzt werden könne, "sollten die politisch Verantwortlichen nun ziemlich schnell angehen, damit noch der Anschluss an die sich schnell verändernde Online-Welt gehalten werden kann".

Streit in Hip-Hop-Szene

Doch wie war es zu der Schlägerei mitten in Berlin gekommen? Der Reihe nach: Wer "Beef" sucht, muss schon länger nicht mehr zum Fleischhauer gehen. Diese neudeutsche Bezeichnung für Streit ist längst ein feststehender Begriff - vor allem in der Hip-Hop-Szene. "Beef" wird von vielen Internetstars genutzt, um ihre Bekanntheit zu steigern und um mehr Anhänger zu generieren.

Der YouTuber "Bahar al Amood" hatte zuvor in einem mittlerweile gelöschten Video lachend seinen Widersacher obszön beschimpft und angefügt, dass man ihn "einfach nur totschlagen muss". In seinem Streit mit "ThatsBekir" - ebenfalls YouTuber - geht es offenbar darum, dass al Amoods Handynummer von seinem Kontrahenten veröffentlicht worden war. Später gibt er als Begründung zudem respektloses Verhalten von Bekir an. Tatsächlich werden Ausschnitte von Instagram-Livechats gezeigt, in denen Frauen ohne ersichtlichen Grund massiv von Bekir beleidigt werden.

"Gier nach Aufmerksamkeit"

"Im Internet wird die Selbstinszenierung besonders wichtig, weil man sonst leicht im Überangebot der Informationen untergeht. Dies begünstigt eine extreme Selbstdarstellung, eine Gier nach Aufmerksamkeit um fast jeden Preis", sagt der Psychologe Peter Walschburger von der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich mit gruppendynamische Prozessen und deren Auswirkungen im Internet. "Diese Phänomene können im Netz und im nächsten Schritt in der realen Welt viel Unheil anrichten", sagt der 72-Jährige.

Was vor einigen Wochen zwischen den YouTubern "ThatsBekir" und "Bahar al Amood" in Berlin passiert ist, hat mit Talent und harter Arbeit wenig zu tun. Rund 400 Jugendliche waren Aufrufen der beiden gefolgt, am Alexanderplatz zu einem "Fantreffen" zusammenzukommen. Bahar al Amood hatte seinen Kontrahenten aus Stuttgart zuvor gewarnt, nach Berlin zu kommen. "Er wird die Schläge seines Lebens kriegen", kündigte er in seiner Instagram-Story an.

Auf Videos, die das anschließende Fantreffen zeigen, ist zu sehen, wie Bekir mit einer flachen Hand ins Gesicht geschlagen wird, dann eskaliert die Situation, die fast ausschließlich jungen Männer prügeln aufeinander ein. Die Polizei versuchte unter anderem mit Reizgas, sie zu trennen. "Etwa 20 von ihnen rannten in den U-Bahnhof und sprangen ins Gleisbett, wo sie sich mit Schottersteinen bewarfen", sagte der Polizeisprecher nach dem Einsatz. Die Polizei nahm sieben Beteiligte vorübergehend fest, 13 Ermittlungsverfahren wurden eingeleitet.

Hass gegen den "Drachenlord"

Auch im fränkischen Ort Emskirchen entlud sich vergangenes Jahr virtueller Hass in realer Gewalt. Nach Aufrufen im Internet musste die Polizei rund 300 Platzverweise aussprechen. Hater - vom englischen Wort "hate" für "hassen" - kommen seit Jahren zum Wohnort des umstrittenen YouTubers "DrachenLord1510". Es wurden bereits Steine durch Fenster des Hauses geworfen, in dem er wohnt, der YouTuber wurde bedroht, verletzt und beraubt. Im Jahr 2016 verurteilt das Landgericht Nürnberg einen damals 24-Jährigen zu einer mehrjährigen Haftstrafe.

Neu sind diese gruppendynamischen Phänomene laut Walschburger nicht. "Wenn man gegen Autoritäten rebellieren will, ist man in einer Jugendkultur gut aufgehoben. Schon zu meiner Jugendzeit haben wir unglaublichen Unfug angestellt", sagt er. Doch es gibt einen entscheidenden Unterschied: "Es ist gut untersucht, dass sich Tendenzen, die in Gruppen beobachtet werden können, im Netz massiv verstärken können."

YouTuber in der Verantwortung

Es gebe zwei grundlegende gruppendynamische Prinzipien: Einerseits könne das Verhalten eines einzelnen Individuums die gesamte Gruppe beeinflussen. Andererseits folge eine Gruppe einem dominanten Einzelnen, dem es gelinge, das Gruppenverhalten zu kontrollieren, sagt Walschburger.

Wenn ein solcher Medienstar seine Anhänger zu Handlungen aufrufe, habe das aufgrund seiner medial erworbenen "Alpha-Position" ein besonderes Gewicht für die Fans. Der Psychologe sieht dementsprechend die YouTuber in der Verantwortung: "Heutzutage ist eigentlich niemand mehr ganz naiv, wenn er Botschaften hochlädt oder Aufrufe startet: Er oder sie wissen in der Regel, was sie damit anrichten können."

Für die beiden YouTuber hat sich die Sache zumindest unter einem Gesichtspunkt gelohnt. Die Zahl ihrer Follower ist nach der Prügelei deutlich gestiegen. Welche rechtlichen Konsequenzen die Sache haben wird, bleibt abzuwarten.

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