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Peter Glaser: Zukunftsreich

Die Tiere und das Post-PC-Zeitalter

Die große Zahl an Videos, auf denen Tiere mit einem Tablet-Rechner hantieren (pfotieren?), ist ungewöhnlich und bemerkenswert. Inzwischen gibt es eigene Spiele nur für Tiere. Und die Videos sind nicht einfach nur Variationen der üblichen niedlichen Tiervideos, auf denen beispielsweise eine Katze versucht, einen Mauspfeil auf dem Bildschirm einzufangen. Ich hatte einmal eine Katze, die bei Formel-1-Rennen hinter den Fernseher schlich, um zu sehen, wo die mausgroßen Fahrzeuge herauskommen, die da über den Schirm huschten. Da ich die Privatsphäre von Haustieren respektiere, habe ich aber davon abgesehen, sie bei der Phantomjagd zu filmen und den Clip bei YouTube zu veröffentlichen.

Ungewöhnlichen Intelligenzleistungen
Die Tablet-Clips scheinen schon auf den ersten Blick zu zeigen, zu welchen ungewöhnlichen Intelligenzleistungen das flache Gerät ein Lebewesen herauszufordern imstande ist. Hier ist beispielsweise die Katze Iggy zu sehen, die sich eingehend mit einem elastischen grünen Wurm auf dem iPad befaßt. Herrchen vermerkt zukunftsreich: „My cat enjoys the future!" Hier eine Zusammenstellung von Tieren, die sich mit einem iPad auseinandersetzen, darunter auch ein Leguan. In diesem Clip versucht eine Katze namens Slippers zu verhindern, dass ein iPad „Für Elise" spielt, und hier ist der Papagei Einstein bei seinen interessanten Experimenten mit dem iPad zu sehen. Abschließend singt der Husky Mishka zusammen mit einem iPad und der Vocoder-App LaDiDa, die angeblich aus schlechtem Gesang guten macht, ein Lied.

Machen uns Tablets zu niedlichen Spieltieren?
Aber natürlich könnte es auch andersherum sein – dass nämlich nicht die Katze vom technischen Fortschritt evolutionsbeschleunigt wurde und nun plötzlich die Wisch-Gesten des iPads beherrscht, sondern dass wir Nutzer durch die Beschränktheit unserer Hightech-Gadgets auf den Entwicklungsstand eines Haustiers zurückbefördert werden. Aber das ist nicht der Punkt.

Das erste Tier, das von Apple domestiziert wurde, ist die Schlange. Ich meine die Warteschlange, die tagelang und größer als jeder mythische Drache friedlich vor den Apple Stores dieses Planeten ausharrt, wenn`s mal wieder etwas Neues in Schachteln gibt. Der Vergleich mit der Schlange liegt schon wegen des Firmenlogos mit dem angebissenen Apfel nahe, der an das Paradies und den biblischen Baum der Erkenntnis erinnert.

Gottesurteile
Und hier nähern wir uns dem Kern der Tablett-Tier-Videos. Es sind neuartige Formen der Rezension. Die Filme leben von der Unbestechlichkeit von Tieren. Ich hab mal mit jemandem zusammengewohnt, der einen Kanarienvogel hatte. Er (der Kanarienvogel) hieß Joey. Eines Tages kam mich ein befreundeter Musiker besuchen. Er hatte eine Demoaufnahme seines jüngsten Albums dabei und wollte mein Urteil hören. Ich wies ihn zum Vergnügen auf Joey hin. Joey hatte Musikgeschmack. Er mochte beispielsweise Bruckner, vor allem die 4. Sinfonie, auch "Die Romantische" genannt, und Billy Idol. Mißfiel ihm Musik, hüpfte er von seiner Schaukel und starrte finster hinter dem Blechrand am Käfigboden hervor. Wir hörten die Demoaufnahme und Joey stand hinter dem Blechrand, bis die Musik aufgehört hatte. Mein Freund der Musiker war am Boden zerstört, kein gutes Zureden half. Von dem Album hat man nie wieder etwas gehört.

Das ist es, was die iPad-Tiervideos in Wirklichkeit sind: nicht nette Unterhaltung, sondern Produktbesprechungen mit der Anmutung von Gottesurteilen, nicht von gewöhnlichen menschlichen Kritikern verfaßt, sondern gewissermaßen von einer höheren Macht. Die User-Menschen führen nur vor, was ihnen da Erstaunliches an die Hand gegeben wurde. Und lustig ist es auch noch.

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Peter Glaser, 1957 als Bleistift in Graz geboren, wo die hochwertigen Schriftsteller für den Export hergestellt werden. Lebt als Schreibprogramm in Berlin und begleitet seit 30 Jahren die Entwicklung der digitalen Welt. Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs, Träger des Ingeborg Bachmann-Preises und Blogger. Für die futurezone schreibt er jeden Samstag eine Kolumne.

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