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Wissenschaft & Blödsinn

Impfgegner sind gefährlich

Das muss man sich mal vorstellen! Da gibt es doch tatsächlich Leute, die ihren Kindern ganz bewusst Injektionsnadeln in den Arm stechen lassen. Und durch diese Nadeln werden dann Stoffe in den Körper gespritzt, die gefährlichen Krankheitserregern zum Verwechseln ähnlich sehen.

Und diese Leute haben damit auch noch absolut Recht. Impfungen sind nämlich eine wichtige Sache. Traurigerweise gibt es noch immer radikale Impfgegner, die mit unwissenschaftlichen Argumenten Propaganda gegen das Impfen machen. Damit setzen sie nicht bloß die eigene Gesundheit aufs Spiel, sie gefährden auch das Leben anderer.

Tausende Kinder wurden noch vor einem Jahrhundert in Europa jedes Jahr mit Polio infiziert. Durch konsequentes Impfen ist diese Krankheit praktisch verschwunden. Die Pocken sind seit 1980 global ausgerottet. Ähnlich grandiose Erfolge konnte man mit der Tollwutimpfung feiern, auch die Masernimpfung rettete bis heute das Leben unzähliger Kinder.

Aus wissenschaftlicher Sicht ist daran nicht zu rütteln. Man kennt die Zahlen, das Ergebnis ist eindeutig, Impfen ist etwas Großartiges. Und trotzdem gibt es im einundzwanzigsten Jahrhundert noch immer obskure Impfgegner-Vereine, die verunsicherten Eltern einreden, solche Krankheiten seien gar nichts Böses, die seien doch natürlich und härten die Kinder bloß ab.

Was für eine ekelerregende Sichtweise! Ja, Krankheiten sind natürlich, kein Zweifel. Eine Kindersterblichkeit von ungefähr fünfzig Prozent ist auch natürlich. Im Winter zu verhungern und nachts zu erfrieren, wenn es Minusgrade hat, ist für Primaten wie uns ebenfalls völlig natürlich. In wohlgeheizten Räumen seinen glutenfreien Tofu-Wrap zu essen und dabei eine Anti-Impf-Webseite online zu stellen, hat mit Natürlichkeit hingegen recht wenig zu tun. Wie man das Leiden an lebensgefährlichen Krankheiten als „Abhärtung“ interpretieren kann, ist mir auch nicht klar. Als Anspielung auf die postmortale Härte von Biomasse, wenn sie Jahrmillionen nach einem leicht vermeidbaren Tod zur Braunkohle wird, kann das ja wohl doch nicht gemeint sein.

Immer wieder hört man von „Impfschäden“, die angeblich viel bedrohlicher sein sollen als die Krankheiten selbst. Auch diesen Vorwurf kann man statistisch untersuchen und widerlegen. Interessanterweise sind in unterschiedlichen Ländern ganz unterschiedliche Impfschaden-Märchen im Umlauf: In Italien wird gemutmaßt, Impfungen hätten etwas mit plötzlichem Kindstod zu tun, in Frankreich bringt man Impfungen mit multipler Sklerose in Verbindung, in Großbritannien fürchtet man sich vor Autismus, der angeblich von der Masern-Mumpf-Röteln-Impfung ausgelöst werden soll. Alle diese Behauptungen sind durch Studien klar widerlegt.

1998 behauptete der britische Arzt Andrew Wakefield in einem Fachartikel, einen Zusammenhang zwischen Autismus und dem MMR-Kombinationsimpfstoff gefunden zu haben. Der Artikel musste aufgrund schwerwiegender Betrugsvorwürfe zurückgezogen werden. 2010 wurde deswegen ein Berufsverbot gegen Wakefield verhängt, der angebliche Zusammenhang zwischen Autismus und Impfungen wurde später in großen, sauberen Studien widerlegt, doch unter Impfgegnern gilt Wakefield immer noch als Held.

Oft sind es gar nicht die Impfstoffe selbst, vor denen gewarnt wird, sondern Zusatzstoffe im Impfpräparat. So liest man immer wieder den Vorwurf, dass beim Impfen Formaldehyd in den Körper gelangt: „Möbelherstellern verbietet man, Formaldehyd zu verwenden, aber unseren Kindern spritzen wir es direkt in den Körper!“

Formaldehyd ist ein Gas, das bei unvollständigen Verbrennungen entsteht und kann tatsächlich gesundheitsschädlich sein, wenn man es einatmet. Doch unser Körper produziert auch ganz von selbst Formaldehyd. Durch eine FSME-Impfung wird die Formaldehyd-Konzentration im Körper nicht erhöht, sondern sogar verdünnt. Man spritzt einen Impfstoff mit geringerem Formaldehyd-Gehalt als wir aus rein biologischen Gründen in unserem Gewebe haben.

Auch andere wissenschaftlich längst widerlegte Behauptungen verbreiten sich bis heute und überleben als Gerüchte hartnäckiger als ein antibiotikaresistentes Bakterium in der Intensivstation: Impfungen sollen Allergien auslösen – verschiedene Studien sprechen dagegen. Das Immunsystem eines Kindes soll durch Mehrfachimpfungen überlastet werden – dafür gibt es keine Hinweise. Es wäre auch unlogisch, weil Impfungen heute viel spezifischer wirken als früher, das Immunsystem der Kinder bei modernen Impfungen also deutlich weniger gefordert wird als noch vor einigen Jahrzehnten.

Ein einziges Argument der Impfgegner ist wissenschaftlich durchaus haltbar: Viele Krankheiten, gegen die geimpft wird, sind heute so selten geworden, dass die Wahrscheinlichkeit einer Erkrankung auch ohne Impfung äußerst gering ist. Das ist richtig, ignoriert aber eine sehr wichtige Tatsache: Manche Leute können nicht geimpft werden – sehr kleine Säuglinge etwa, Menschen mit einer Immunschwächekrankheit, oder Patienten nach einer Transplantation oder während einer Krebstherapie.

Diese Personengruppen sind beim Ausbruch einer ansteckenden Krankheit extrem gefährdet. Wenn die Durchimpfungsrate in der Bevölkerung allerdings ausreichend hoch ist, dann kann es gar nicht zu einem Krankheitsausbruch im großen Maßstab kommen, weil der Krankheitserreger nicht genügend Wirte findet, um sich zu verbreiten. Man spricht dann von „Herdenimmunität“. Nur durch diese Herdenimmunität können wir Leute schützen, die selbst nicht geimpft werden können. Impfungen sind daher auch ein Dienst an der Gesundheit der ganzen Gesellschaft – selbst wenn wir persönlich bereit wären, das Risiko auf uns zu nehmen.

Und dann gibt es noch ein Impfgegner-Argument, gegen das mir beim besten Willen keine Entgegnung einfällt: Die Theorie, dass uns die Regierung beim Impfen Mikrochips einpflanzen lässt, durch die wir dann alle jederzeit von der internationalen Weltverschwörung mit Hilfe eines Strahlensignals getötet werden können. Was soll man dagegen sagen? Meine Empfehlung: Wenn Sie das glauben, dann wandern Sie am besten zum Nordpol, dort befindet sich der Eingang zur Innenseite der Erdkugel, wo mystische Lichtwesen und Außerirdische wohnen. Ich bin sicher, dort sind Sie vor den Todesstrahlen gut geschützt. Und wir müssen uns keine Sorgen mehr machen, von Ihnen angesteckt zu werden.

Das Impfgegnertum hat viel mit einer ansteckenden Krankheit gemeinsam: Ähnlich wie Viren verbreiten sich dumme Gedanken von Mensch zu Mensch, beides kann katastrophale Auswirkungen auf die Gesundheit haben. Leider ist das Internet zu einem Ort geworden, an dem man sich äußerst leicht mit dummen Ideen infizieren kann. Zum Glück ist auch hier eine Impfung möglich: Wer sich mit ein bisschen wissenschaftlichem Grundwissen immunisiert, hat gute Chancen, ausreichende Widerstandskräfte zu entwickeln.

Ich bedanke mich herzlich bei DDr. Wolfgang Maurer, Impfexperte am Zentrum für Public Health, Medizinische Universität Wien, für fachliche Unterstützung.

Robert-Koch-Institut: Antworten auf häufige Einwände gegen das Impfen.

Florian Aigner ist Physiker und Wissenschaftserklärer. Er beschäftigt sich nicht nur mit spannenden Themen der Naturwissenschaft, sondern oft auch mit Esoterik und Aberglauben, die sich so gerne als Wissenschaft tarnen. Über Wissenschaft, Blödsinn und den Unterschied zwischen diesen beiden Bereichen schreibt er jeden zweiten Dienstag in der futurezone.

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Florian Aigner

Florian Aigner ist Physiker und Wissenschaftserklärer. Er beschäftigt sich nicht nur mit spannenden Themen der Naturwissenschaft, sondern oft auch mit Esoterik und Aberglauben, die sich so gerne als Wissenschaft tarnen. Über Wissenschaft, Blödsinn und den Unterschied zwischen diesen beiden Bereichen, schreibt er regelmäßig auf futurezone.at und in der Tageszeitung KURIER.

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