Leica SL3 im Test: Die Systemkamera ist ein Traditionsbrecher
Wenn es bei Kameras ein sogenanntes „Traditionsunternehmen“ gibt, dann ist das wohl Leica. Und wenn Leica eine Kamera herausbringt, die nicht nur mit eigenen Traditionen, sondern denen der gesamten Branche bricht, ist das höchst unerwartet.
Aber ist das auch gut? Ich habe Leicas neueste Systemkamera, die SL3 (6.800 Euro), getestet.
Der Brocken unter den Systemkameras
Immerhin der erste Eindruck ist traditionell Leica: Massiv, metallisch, schwer. Die SL3 hat ein Metallgehäuse. Mit Akku und SD-Karte wiegt sie 864 Gramm, was deutlich schwerer als aktuelle Vollformat-Systemkameras anderer Hersteller ist. Die Canon R5 Mark II bringt etwa 746 Gramm auf die Waage.
Mit dem Leica-Objektiv Vario-Elmarit-SL 1:2.8/24-70mm ASPH, das ein hoch-qualitativer Allrounder ist, wiegt die SL3 1.715 Gramm. Das hängt sich nach einer Weile schon an, wenn man damit beim sommerlichen Städtetrip durch die Straßen spaziert.
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Die Ergonomie ist besser, als es den Anschein macht. Trotz des massiven, blockigen Designs hält sie sich ganz gut. Der Handgriff an der rechten Seite ist angenehm ausgeprägt und weit genug vom Objektiv entfernt, dass man nicht mit den Knöcheln daran anstößt. Dort, wo die Hände das Gehäuse berühren, ist es strukturiert, um nicht rutschig zu sein.
Obwohl die SL3 so wuchtig ist, findet mein kleiner Finger der rechten Hand nicht ausreichend Halt. Wer mittelgroße bis große Hände hat und plant die SL3 häufig zu nutzen und nicht nur damit spazieren zu gehen (um mit dem berühmten roten Punkt zu prahlen), sollte sich den Akkugriff zulegen.
Gummiklappe und Akkudichtung
Nicht ganz zum robusten Feeling passen die fummeligen Gummiklappen der Anschlüsse. Hier muss man gut darauf achten, sie nach Gebrauch vollständig zu schließen – und nicht zu harsch zu öffnen. Statt Scharniere gibt es nur Gummi und der könnte irgendwann reißen.
Unpassend wirkt auch, dass der Akku keine Schutzklappe hat, sondern direkt im Gehäuse steckt. Sorgen braucht man sich deshalb aber nicht. Er hat eine Gummidichtung integriert, um das Eindringen von Feuchtigkeit zu verhindern. Außerdem hat er eine Fallsicherung. Selbst, wenn man beim Tragen schaffen sollte, unabsichtlich den Akkuauswurfhebel zu betätigen, fällt er nicht sofort raus. Man muss ihn erst leicht hineindrücken, damit er sich vollständig löst.
Tasten im Stealth-Modus
Bei der Bedienung bricht Leica auf mehrere Arten mit den Traditionen. Das beginnt damit, dass es merkbar weniger Tasten und Räder gibt, als bei der Konkurrenz von Nikon, Canon und Sony. Auf Umschalthebel wird komplett verzichtet. Sogar der Ein-Ausschalter ist ein Knopf und kein Hebel, was bei einer Systemkamera in dieser Preisklasse einem Affront gleicht. Um eine Simpsons-Referenz zu bemühen: Da könnte einigen Leica-Fans das Monokel vor Schreck ins Champagner-Glas fallen.
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Außerdem sind lediglich 4 der Tasten beschriftet. Das inkludiert den Ein-Aus-Knopf. Sonst gibt es noch Play, Fn und Menü. Die übrigen 9 Räder und Tasten sind unbeschriftet. Die Idee dahinter: So soll man sich nicht gezwungen fühlen, die Standard-Funktion der Taste zu nutzen, sondern kann sie frei belegen.
Aber wie soll man bitte eine Taste im Menü finden, um sie neu zu belegen, wenn sie nicht mal beschriftet ist? Ganz einfach: Lässt man die Taste lange gedrückt, kann man am Display die gewünschte Funktion auswählen. So viel Mitdenken und Nutzerfreundlichkeit ist man als Kunde von teuren Kameras überhaupt nicht gewohnt – unabhängig davon, ob es Leica, Canon oder Sony ist.
Mehr Touch als üblich
Im Fotografie-Alltag ist das Handling der Kamera trotzdem nicht optimal. Nicht beschriftete Tasten zu drücken, ist eine kleine psychologische Überwindung, die man aber mit fortschreitender Dauer erreicht.
Nicht schöndenken kann man sich die Position der Tasten und Räder. Durch das bulkige Gehäuse sind viele davon nicht so komfortabel erreichbar, wie bei Kameras anderer Hersteller. Das macht sich besonders negativ bemerkbar, wenn man den Sucher nutzt und gewohnt ist im Anschlag zu bleiben, während man die Tasten und Räder verwendet. Aufgrund der suboptimalen Ergonomie muss man hier öfters umgreifen.
Das hat bei mir dazugeführt, dass ich viel häufiger als üblich über das Display fotografiert habe. Zudem ist es mir leichter gefallen, die Einstellungen über das Schnellmenü am Touchscreen vorzunehmen als über die nicht-beschrifteten Tasten.
Clever gelöst ist der Wechsel von Foto- zu Videomodus. Das geht nicht nur per Funktionstasten-Belegung, sondern mit einem Swipe am Touchscreen. Die Swipe-Gesten werden präzise erkannt, bei Pinch-to-Zoom hakelt es aber. Hier ist es präziser, mit dem Drehrad in Bilder hineinzuzoomen.
Endlich ein ausgemistetes Menü
Leica hat sich als erster Hersteller einer Vollformat-Systemkamera richtig bemüht, die Menüs und Einstellungen zu entschlacken. Traditionell sind die furchtbar unübersichtlich und zugemüllt – egal, ob bei Canon, Nikon oder Sony. Wer mit den jeweiligen Systemen nicht jahre- oder gar jahrzehntelang fotografiert hat, wird regelrecht erschlagen von Menüs, Untermenüs, Unteruntermenüs, unlogischen Strukturen und kryptischen Abkürzungen.
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Nicht so bei der SL3: Das Menü ist verständlich aufgebaut und übersichtlich. Wenn man was sucht, dann findet man es auch, ohne vorher danach googlen zu müssen. Dass ausgerechnet Leica es schafft, eine Vollformat-Systemkamera mit einem guten Menü zu machen, ist beinahe schockierend – da haut es mir das imaginäre Monokel aus dem Gesicht ins Champagnerglas.
Perfekt ist das Menü aber nicht. So gibt es etwa keine aufrufbaren Zusatzerklärungen. Wer wissen will, was iDR macht oder die Perspektivkorrektur, muss in die Anleitung (PDF) schauen.
Hilfe wäre auch bei den Videoprofilen gut. Diese werden aus je 11 Parametern konfiguriert. Wählt man eine Parametereinstellung, die sich mit einer anderen nicht verträgt, kommt die Pop-Up-Info: „Nicht passende Einstellungen werden automatisch angepasst.“ Die betroffenen Parameter werden optisch mit gelben Punkten markiert, aber welche Einstellungen des jeweiligen Parameters mit dem anderen verfügbar sind, sieht man nicht. Man bekommt nur eine Meldung, wenn etwas nicht geht. Wer sich bisher noch nicht ausführlich mit Videoeinstellungen beschäftigt hat, könnte das Gefühl bekommen, vor einem nervigen Videospiel-Rätsel zu stehen.
Tolle Bildqualität mit vielen Details
Der 60-Megapixel-Vollformatsensor hat reichlich Leistungsreserven. Was hier für Details selbst aus Weitwinkelaufnahmen bei Bedarf herausgeholt werden können, ist beeindruckend.
Leica SL3 Details
6 Bilder
Die Fotos sehen toll aus, egal ob Landschaft, Street Life oder Porträt- und Objekt-Studioaufnahmen. Die Detailtiefe und klaren Abgrenzungen von Motiven und Hintergrund sind eindrucksvoll. Die Farben im Standard-Profil sind eher auf der kräftigeren Seite.
Leica-Fans werden womöglich bekritteln, dass die Fotos zu generisch aussehen. Zwar gibt es etliche Bildmodi, die über die Begleit-App am Smartphone installiert werden können – aber so richtig „Leica“ schreien die Fotos auch damit nicht.
Beispielfotos: Wenn in Paris die Sonne untergeht
8 Bilder
ISO-Wert und Bildstabilisator
Im Automodus schraubt die SL3 den ISO-Wert manchmal aggressiv zu oben. Bei der Zeitautomatik versucht die ISO-Automatik die Verschlusszeit zwischen 1/125 und 1/50 zu halten. Es wirkt so, als hätte Leica wenig Vertrauen in den eingebauten optischen Bildstabilisator der SL3. Der ist zwar nicht so gut bei Sonys aktuellen Alphas, aber Freihand sollten die meisten User verwacklungsfreie Fotos mit 1/30 und 1/25 hinkriegen. Im Menü kann der Auto-ISO-Wert so eingestellt werden, dass er diese oder noch längere Verschlusszeiten berücksichtigt.
Das ISO-Rauschen bei der SL3 hat eine sehr feine Körnung. Bei der 100-Prozent-Ansicht am Computer ist das schon bei ISO 800 bemerkbar. In der verkleinerten Ansicht am PC-Bildschirm ist erst bei ISO 12.500 ein Qualitätsverlust sichtbar. Der nächste große Qualitätsabsprung ist bei ISO 64.000. ISO 32.000 ist noch akzeptabel.
Aber selbst bei ISO 64.000 können Motive immer noch gut genug aussehen. Der Vorteil der feinen Körnung ist, dass es ein wenig an einen Retrofilm-Filter erinnern kann. Und lieber eine scharfe Nachtaufnahme mit ISO 64.000 im Retro-Look als ein verwackeltes, unbrauchbares Foto.
Autofokus und Video
Beim Autofokus kann die SL3 nicht mit der Konkurrenz mithalten. Beim Fotografieren ist sie auf gutem Niveau, aber eben nicht dort, wo Sony, und mittlerweile auch Canon, sind. Man kann sich mit den verschiedenen Autofokus- und Follow-Autofokus-Profilen herumspielen und etwas mehr Leistung für die gewünschte Situation herausholen – aber an Sonys A7RM5, die 61 Megapixel hat und 4.499 Euro kostet, kommt sie noch lange nicht ran.
Besonders auffällig ist das beim Filmen. Die SL3 beherrscht zwar die wichtigsten Formate und Bitraten, inklusive 8K mit 30 fps und 10 Bit h.265 300 Mbps. Aber der Autofokus, Bildstabilisator und Rolling-Shutter-Effekt machen ziemlich klar, dass man hier nur von einer statischen Position, möglichst nicht zu schnelle Objekte, filmen sollte.
Auch beim Filmen kann mit Follow-Fokus-Profilen, der Motiverkennung und den Einstellungen für den Bildstabilisator etwas nachgeholfen werden. Überragend, oder zumindest auf Augenhöhe mit der Konkurrenz, wird es aber nicht. Schade ist auch, dass in 8K und 4K mit einem Crop-Faktor von 1,3 gefilmt werden muss.
Keine Actionkamera
Serienaufnahmen sind mit bis 15 Bildern pro Sekunde möglich, allerdings ohne Autofokus und Folgebelichtungsmessung. Das gibt es nur bei einer Rate von 5 Bildern pro Sekunde oder weniger. Sonys A7RM5 kann das mit bis zu 10 Bildern pro Sekunde.
Mit einem CIPA-Rating von 260 Aufnahmen ist die Akkulaufzeit nicht besonders hoch. Daher auch an dieser Stelle wieder die Empfehlung zum optionalen erhältlichen Zusatzgriff, der einen zweiten Akku Platz bietet und damit die Laufzeit verdoppelt.
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Für Sport- und Actionfotografie ist die SL3 eher nicht die richtige Wahl. Deshalb im Studio verstecken, muss sie sich aber nicht. Der elektronische Sucher liefert im Freien bei allen Lichtverhältnissen eine gute Leistung, wenn man die Bildwiederholrate auf 120 fps hochdreht. Das invertiert monochrome Infodisplay an der Oberseite ist im prallen Sonnenlicht immer noch gut ablesbar.
Ebenfalls hilfreich für die Street Photography und auch sonst: Das Hauptdisplay kann nach oben und unten gekippt werden, um etwa Überkopf oder besser aus der Hüfte zu fotografieren. Schade ist, dass der Bildschirm nicht komplett ausgeklappt und um 180 Grad geschwenkt werden kann – wie das bei den Sony- und Canon-Gegenstücken der SL3 möglich ist.
Fazit
Die Leica SL3 (6.800 Euro) bricht mit Traditionen. Sie setzt einfache Nutzbarkeit in den Vordergrund, ohne dabei Fotoqualität zu opfern. Das neue Menü der SL3 und ein paar Elemente der Bedienkonzepte sind großartig – hier können sich andere Hersteller ein Beispiel nehmen.
Damit setzt sich die Leica SL3 in eine interessante Marktlücke: Eine Vollformat-Systemkamera mit hoher Auflösung für User, die viel Wert auf tolle Fotos legen, aber keine Lust auf verschlungene Menüs und mit Tasten und Schaltern zugestopfte Geräte haben. Sieht man sich als so ein User, ist die SL3 eine Offenbarung.
Will man eine Systemkamera für mehr nutzen, als nur Studiofotografie und gemütliche Fotospaziergänge, sieht es anders aus. Canons R5 Mark II und Sonys A7RM5 kosten 2.000 Euro weniger und decken das gesamte Spektrum ab: Vom Studio über die Straße, Action, Tiere, Sport bis zum Einsatz als professionelle Filmkamera.
Mehr Leistung für weniger Geld kriegt man also bei der Konkurrenz. Entspannteres Fotografieren und den roten Punkt am Gehäuse, der die eigene Kaufkraft zum Ausdruck bringt, gibts mit der Leica SL3.
Technische Daten der Leica SL3 auf der Website des Herstellers
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