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Leica M10 Monochrom im Test: Fantastisch farblose Fotos

Macht Fotos ohne Farbe, aber glücklich: Die M10 Monochrom lässt die Leidenschaft für Fotografie neu entflammen

Messsucherkameras sind bereits Exoten unter den Digitalkameras. Wenn man die dann auch noch mit einem reinen Monochrom-Sensor ausstattet, ist es fast so, als würde man ein Einhorn mit 2 Hörnern züchten.

Glücklicherweise gibt es für dieses Konstrukt eine zahlende Kundschaft und dadurch mittlerweile bereits die dritte Version. Ich habe die Leica M10 Monochrom getestet.

Rangefinder

Messsucherkameras sind auch bekannt als Rangefinder-Kameras. Autofokus gibt es nicht. Im Sucher sieht man einen hellen Kasten in der Mitte. In diesem wird das Motiv verschoben zu dem Motiv angezeigt, das im restlichen Sucher zu sehen ist. Dreht man den Fokusring, wird das Motiv im hellen Kasten nach links bzw. rechts verschoben. Deckt sich das Motiv im hellen Kasten mit dem tatsächlichen Motiv, hat man korrekt scharfgestellt.

Das klingt wie ein Relikt aus der Analogfotografie – weil es das auch ist. Nach einer kurzen Eingewöhnungsphase hat man das Prinzip aber verstanden und schafft sogar den Fokus bei sich bewegenden Motiven mitzuziehen. Auch bei Porträts mit großer Blende schafft man es mit etwas Übung auf die Augen scharfzustellen.

Solche Erfolgserlebnisse sind zwar nett, aber nicht der Hauptgrund, eine Messsucherkamera zu nutzen. Dieser ist, dass man sich viel intensiver mit der Fotografie beschäftigt. Man nimmt sich mehr Zeit für die Komposition und das präzise Fokussieren: Fotografie begeistert wieder. Es ist nahezu ein entschleunigendes Erlebnis, speziell wenn man sonst nur mit Smartphone und Systemkamera unterwegs ist.

Für schnelle Schnappschüsse ist die M10 aber nicht geeignet – es sei denn, man kann sehr gut Distanzen abschätzen und die Entfernung zum Motiv anhand der Skala am Objektiv „aus der Hüfte“ einstellen.

Problem…

Das größte Problem bei Rangefinder-Kameras ist der Sucher. Der ist versetzt zum Objektiv. Zum Vergleich: Bei einer Spiegelreflexkamera oder einem digitalen Sucher sieht man den Blick durchs Objektiv. Das heißt, was man bei einer Messsucherkamera sieht, ist nicht genau das, was man schlussendlich fotografiert.

Ein heller Rahmen zeigt die Begrenzung für das Objektiv. Allerdings ist es schwierig bei dem 35mm-Objektiv den Rahmen auf allen Seiten zu sehen. Zudem deckt das Objektiv einen Teil des Suchers ab. Verwendet man Objektive mit größeren Brennweiten bleibt die 0,75-fache Vergrößerung des Suchers gleich: Es wird nur ein engerer Rahmen angezeigt. Das erschwert das präzise Scharfstellen auf ein weit entferntes Objektiv.

…und Lösung

Bei der M10 Monochrom gibt es eine Lösung dafür. Die Kamera unterstützt Liveview. Bevor die Rangefinder-Fans jetzt laut „Blasphemie!“ schreien: Ja, über das Display scharfstellen, wie bei einer „gewöhnlichen“ Digitalkamera, nimmt die Idee einer Messsucherkamera. Aber man muss es ja nicht verwenden, wenn man nicht will.

In einigen Situationen macht es aber Sinn und bevor man sich unnötig plagt und am Ende nicht das gewünschte Resultat erzielt, kann man sich überwinden und Liveview nutzen. Durch den digitalen Zoom am Display und die optionale farbliche Markierung der Fokusebene, wird das Scharfstellen fast schon zu einfach. Aber immer noch besser man „schummelt“ so ab und zu, als man kniet sich in den Dreck, um eine flachere Perspektive zu erhalten, oder hofft bei Überkopfaufnahmen darauf, dass man die Entfernung zum Motiv richtig geraten hat.

Das "entsicherte" ISO-Wahlrad

Handhabung

Die Größe der M10 Monochrom liegt zwischen einer aktuellen Systemkamera und Spiegelreflexkamera. Mit 35mm-Objektiv kommt sie auf einen Kilogramm, wodurch sie sich bei längeren Fotospaziergängen schon anhängt.

Design und Bedienelemente sind bewusst Retro, aber nicht ungut. Die Kamera hält sich auch ohne ergonomische Feinheiten gut mit 2 Händen – mit einer Hand wird es aber unangenehm. Oben gibt es ein taktiles Rad für die Belichtungszeit, links für den ISO-Wert. Das ISO-Rad kann gesichert werden, indem es nach unten gedrückt wird. Die Blende wird direkt am Objektiv eingestellt.

An der Rückseite gibt es rechts ein Multifunktionsrad. Bei der Bildwiedergabe wird damit hineingezoomt. Beim Fotografieren kann man sich die Belichtungskorrektur darauf legen. Darunter ist ein Vier-Wege-Bedienfeld mit Taste, zum Navigieren in den Menüs. Dies ist ein wenig schwammig, weshalb die Benutzung mit Handschuhen unpräzise ist.

Ansonsten gibt es nur 3 weitere Tasten auf der Rückseite, eine angenehme Reduktion im Vergleich zum Vorgängermodell: Liveview, Wiedergabe und das Menü. Beim Drücken der Menü-Tasten öffnen zuerst die Favoriten, weiteres Drücken schaltet durch die restlichen Menü-Seiten durch.

Ausstattung

Trotz Retro-Look unterstützt die Kamera WLAN. Damit wird die Verbindung zur Begleit-App hergestellt. Wirklich intuitiv ist das nicht und auch die App selbst ist sicher nicht das ausschlaggebende Argument für die M10 Monochrom – oder irgendeine andere Leica-Kamera. Immerhin das Übertragen von Fotos auf das Handy funktioniert (meistens).

Ansonsten ist die M10 Monochrom eher spartanisch ausgestattet. Videos aufnehmen kann sie nicht. GPS gibt es nur mit optionalem Zusatzmodul. Beim Sucher muss man auf eine eingebaute Dioptrien-Korrektur verzichten. Bei Bedarf kann man Korrektionslinsen optional erwerben. Blitz ist keiner verbaut, ein Blitzschuh ist aber vorhanden. Anschlüsse gibt es keine: Zum Übertragen der Bilder nimmt man die Bodenkappe ab und dann die SD-Karte aus der Kamera. Auf einen Bildstabilisator muss man verzichten.

Hauptsache Touchscreen

Immerhin die Basics hat sie drauf: Selbstauslöser und ein Serienbildmodus mit bis zu 4,5 Bildern pro Sekunde. Wer will kann noch eine digitale Tönung für JPGs einstellen. Zur Auswahl stehen Sepia, Blau oder Selen.

Das Display ist ein Touchscreen. Mit Fingergesten kann bei der Wiedergabe in Fotos hineingezoomt werden. Auch Schnelleinstellungen (Taste des Vier-Wege-Bedienfelds drücken) lassen sich über den Touchscreen beim Fotografieren vornehmen.

Wenn man hauptsächlich mit dem Sucher fotografiert, kommt man mit dem Akku eine Weile aus. Nach 309 Fotos war der Füllstand bei 45 Prozent. Nutzt man Liveview mehr als nur in Ausnahmefällen, gehen die Energiereserven deutlich schneller zur Neige.

Superscharf und detailreich

Die M10 Monochrom hat einen 40-Megapixel-Sensor im Vollformat. Da er ein reiner Monochrom-Sensor ist, fallen die Komponenten und Filter für Farbe weg. Das ergibt eine enorme Schärfeleistung und einen Detailgrad, der einfach nur beeindruckend ist.

Ich habe die Kamera mit dem Leica 35mm 1.4-Objektiv getestet. Es ist faszinierend, was man alles aus den Bildern herausholen kann. Durch die Schärfe und die vielen Details kann man problemlos weiter entfernte Motive am Computer vergrößern bzw. die Fotos neu zuschneiden, ohne Qualitätsverlust.

Ein weiteres Highlight ist die klare Abgrenzung. Selbst bei f 1.4 ist die Kante zwischen Motiv und Hintergrund super knackig und hat nur in sehr seltenen Fällen ein leichtes Leuchten an den Rändern, was erst in der 100-Prozent-Ansicht auffällt.

Die hohe Schärfe in Kombination mit Monochrom erzeugt, besonders bei starken Kontrasten und einer geschlossenen Blende, einen eigenen Bildstil. Mir gefällt er, manche empfinden ihn aber als surreal oder „over-processed“, also von der Kamera künstlich überschärft. In diesen Fall kann man bei den JPGs den Kontrast und die Schärfe von „Standard“ auf „Gering“ umstellen.

Belichtung und ISO

Nur weil die M10 Monochrom für manuelles Fokussieren gemacht ist, heißt es nicht, dass man alles selbst machen muss. ISO und Zeit kann auf Automatik gestellt werden. Das ist dann so, als würde man bei einer Spiegelreflexkamera den Zeitautomatik-Modus nutzen.

Bei der Belichtungsmessung neigt die M10 Monochrom deutlich zum Unterbelichten. Am Display der Kamera ist das nicht gut zu erkennen. Man sollte deshalb prinzipiell davon ausgehen, dass die Kamera Fotos zu dunkel aufnimmt. Also entweder später im Bildbearbeitungsprogramm anpassen, oder gleich die Belichtungskorrektur der Kamera verwenden.

Etwas überrascht hat mich, dass schon ab ISO 1.600 in der 100-Prozent-Ansicht am Computer ein ISO-Rauschen zu sehen ist. Allerdings ist es ein sehr gleichmäßiges, feines Rauschen, was an eine Analogfilmkörnung erinnert. Bis inklusive ISO 3.200 ist das ist in einer verkleinerten Ansicht des Bildes nicht einmal bemerkbar. Das Rauschen steigt auch nur sehr moderat an. Selbst Bilder mit ISO 32.000 sind noch akzeptabel. Der maximale ISO-Wert liegt bei 100.000.

Dieses geringe ISO-Rauschen erlaubt einen Quasi-Anti-Verwackel-Modus. Man stellt den ISO auf Auto und in den Einstellungen ein, dass die Obergrenze ISO 64.000 ist. Jetzt wählt man bei der Belichtungszeit 250: Fertig ist der ISO-Anti-Wackel-Modus.

Beispiel für Unterbelichtung: Links so, wie die Kamera es aufgenommen hat. Rechts am PC nachträglich aufgehellt

Fazit

Die M10 Monochrom kostet 8.200 Euro. Das von mir getestete 35mm-Objektiv nochmal 4.900 Euro. Kann man so eine Kamera überhaupt empfehlen? Ja – für diejenigen, die es sich leisten können und wollen.

Es ist ein einzigartiges Gerät, wobei man nicht nur für die (herausragende) Leistung zahlt, sondern für ein Gefühl. Ob dieses Gefühl, das die Leidenschaft für Fotografie erneut entflammen lassen kann, soviel wert ist wie ein Neuwagen, muss man mit sich selbst und seinem Konto ausmachen.

Wer bereits eine M Monochrom (Typ 246) hat, muss nicht zwingend upgraden. Die App-Unterstützung ist verzichtbar. Die mehr Megapixel und die höhere ISO-Empfindlichkeit sind natürlich schon von Vorteil. Wer die Typ 246 aber mehr aus Hobbygründen nutzt, als aus beruflichen, ist auf die Leistungssteigerung nicht unbedingt angewiesen.

Technische Daten auf der Website des Herstellers

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Gregor Gruber

Testet am liebsten Videospiele und Hardware, vom Kopfhörer über Smartphones und Kameras bis zum 8K-TV.

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