Meinung

Sind Klimaproteste scheinheilig?

Da demonstrieren junge Leute für den Klimaschutz – sollten die nicht erst mal bei sich selbst anfangen? Die steigen doch auch in Autos, essen Fleisch und fliegen im Sommer in fremde Länder. Haben die überhaupt ein Recht zu demonstrieren, solange sie selbst nicht CO2-neutral leben?

Ja, das haben sie. Auch wenn ihnen der Vorwurf der Scheinheiligkeit noch so oft entgegengeschimpft wird, mit wutbebendem Zorn in der Stimme. Natürlich soll sich jeder um einen möglichst kleinen CO2-Fußabdruck bemühen. Aber mit einzelnen persönlichen Opfern retten wir die Welt nicht. Wir brauchen politische Änderungen, alles andere ist Firlefanz. Die Vorstellung, man müsse frei von Klimasünde sein, bevor man Veränderungen fordern darf, ist unlogisch – denn die Demonstranten fordern ja gerade einen Wandel des Systems, das ihnen heute unmöglich macht, klimaneutral zu leben.

Einfache und schwierige Probleme

Es gibt unterschiedliche Sorten gesellschaftlicher Probleme. Manche Probleme lassen sich lösen, in dem ausreichend viele Menschen etwas Gutes tun. Beim Blutspenden zum Beispiel funktioniert das ziemlich gut. Dass sich ein großer Teil der Bevölkerung daran nicht beteiligt, ist keine Gefahr für das Gesamtsystem.

Es gibt aber auch andere Probleme, die sich nur lösen lassen, wenn alle mitmachen. Wer je in einem Studentenwohnheim gelebt hat, kennt das: Eine relativ überschaubare Anzahl von Dreckferkeln genügt, um die Gemeinschaftsküche in eine übelriechende Zumutung zu verwandeln. Moralisierende Sauberkeitsaufrufe, die man mahnend über den vollgespritzten Herd klebt, bringen gar nichts. Natürlich sollte man sich bemühen, konsequent seinen Nudeltopf auszuwaschen. Aber mit edler Vorbildwirkung löst man solche Probleme nicht. Das gelingt nur durch einen klaren Putzplan, an den sich alle halten müssen, durch strenge Regeln und Sanktionen.

Leider ist die Klimakrise ein Problem der zweiten Sorte: Gute Taten einzelner Personen sind schön und lobenswert. Aber lösen lässt sich das Problem nur, indem wir die Spielregeln ändern. Aufs Auto zu verzichten ist gut, aber niemand kann seinen eignen U-Bahn-Tunnel graben. Ein ökologisch sinnvolles Verkehrskonzept lässt sich nur auf gemeinschaftlicher Ebene durchsetzen. Saisonales Gemüse zu kaufen ist schön, aber niemand kann im Supermarkt die Ökobilanz einer Tomate nachkontrollieren. Eine ökologisch durchdachte Landwirtschaft mit sinnvollen Transportwegen bekommen wir nur durch bessere Gesetze. Den Stromverbrauch zu senken ist toll, aber niemand kann abends schnell mal ein Kohlekraftwerk vom Netz nehmen. Die Energiewende schaffen wir nur, wenn wir verbindliche Ziele vorgeben, an die sich jeder halten muss.

Wir brauchen neue Spielregeln

Persönlicher Verzicht, der zwar schmerzt, aber wenig bringt, solange nur wenige mitmachen, mag ein edles Signal sein, mehr aber auch nicht. Oft dienen solche Verzicht-Handlungen eher der moralische Selbstinszenierung: Seht her, ich bin reich genug, um mir klimaneutrale Ernährung vom Öko-Bauern leisten zu können! Und mit meiner Elektro-Luxuslimousine fahre ich euch allen davon! Da sind andere Leute sympathischer, die zwar nicht perfekt klimaschonend leben, aber sich für klügere Rahmenbedingungen einsetzen, damit eine klimaschonende Lebensweise für alle möglich wird.

Zu glauben, alles würde gut werden, wenn nur jeder einzelne seinen kleinen Beitrag leistet, ist genauso falsch wie der Glaube, ein Orchester würde schön klingen, wenn jeder eine hübsche Melodie spielt. Kleine Einzelaktionen sind nicht wertlos – insbesondere dann, wenn sie Aufmerksamkeit erregen und zu einem Umdenken beitragen. Aber ein politisches Problem wie die Klimakrise können wir nur politisch lösen. Insofern fordern die Freitags-Demonstranten genau das Richtige, wenn sie ein politisches Umdenken verlangen – unabhängig davon, ob sie sich selbst immer ganz vorbildlich verhalten oder nicht.

Zur Person

Florian Aigner ist Physiker und Wissenschaftserklärer. Er beschäftigt sich nicht nur mit spannenden Themen der Naturwissenschaft, sondern oft auch mit Esoterik und Aberglauben, die sich so gerne als Wissenschaft tarnen.

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Florian Aigner

Florian Aigner ist Physiker und Wissenschaftserklärer. Er beschäftigt sich nicht nur mit spannenden Themen der Naturwissenschaft, sondern oft auch mit Esoterik und Aberglauben, die sich so gerne als Wissenschaft tarnen. Über Wissenschaft, Blödsinn und den Unterschied zwischen diesen beiden Bereichen, schreibt er regelmäßig auf futurezone.at und in der Tageszeitung KURIER.

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