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Datenfreihafen

Informationsfreiheit: Islands Lehrstunde für die EU

Für Julian Assange, Daniel Domscheit-Berg, Rop Gongrijp und Birgitta Jónsdóttir und weitere Wikileaks-Mitstreiter war die „Isländische Moderne Medien-Initiative“ (IMMI) die Verwirklichung eines faszinierenden Science-Fiction-Szenarios, das Neal Stephenson in seinem Roman „Cryptonomicon“ entworfen hatte: Ein Datenfreihafen. Er sollte es Menschen aus aller Welt ungefährdet ermöglichen, wichtige Informationen zu veröffentlichen. Es sollte einen ungehinderten, freien Informationsfluss ermöglichen.

Wikileaks-Aktivisten ziehen Konsequenzen
IMMI ist jedoch nicht nur der Traum vom freien Informationsfluss, sondern die rechtliche Konsequenz aus den Erfahrungen, die die Aktivisten mit der Whistleblower-Plattform Wikileaks machten. Betroffene Unternehmen versuchten mit einstweiligen Verfügungen unliebsame Berichterstattung zu verhindern. Der mutmaßliche Whistleblower Bradley Manning muss in den USA mit einer lebenslangen Haftstrafe rechnen. US-Politiker forderten die Justiz frei nach dem Motto „Shoot the Messenger“ auf, den Übermittler der Daten, Wikileaks-Gründer Julian Assange, wie einen Terroristen zu verfolgen.

Für die Isländer ist IMMI die logische Konsequenz der desaströsen Bankenkrise, die das Land fast ruinierte. Als Wikileaks interne Dokumente der Kaputhing veröffentlichte, versuchte die Bank zunächst erfolgreich die Berichterstattung im isländischen Fernsehen mit einer Unterlassungsklage zu unterdrücken.

Umfassende Garantien für Presse- und Meinungsfreiheit

IMMI ist daher wohl die Wikileaks-Initiative, die am nachhaltigsten Wirkung zeigen könnte. Bereits im vergangenen Jahr beschloss das isländische Parlament die Einführung des IMMI-Gesetzespakets. Dazu gehören Regelungen, die vor allem die digitalen Bürgerrechte stärken sollen: Ein modernes Informationsfreiheitsgesetz, ein Whistleblower-Schutzgesetz sowie Quellenschutz unter anderem auf Basis einer geschützten Kommunikation zwischen Informant und Journalist. Internet-Service-Provider sollen als reine Datendurchleiter Immunität genießen.

Ausländische Gerichtsurteile, die die isländische Pressefreiheit verletzen, müssen nicht befolgt werden, Verleumdungsklagen soll erwidert werden können. Die verlegerische Verantwortung für veröffentlichte Texte soll zeitlich befristet werden, damit ältere Texte nicht nach Jahren noch gelöscht werden müssen. Verabschiedet wurde am 15. April nun das erste von insgesamt 13 Gesetzen zur Stärkung der Presse- und Meinungsfreiheit: ein Gesetz zum Informantenschutz, das sich an den Empfehlungen des Europäischen Rats orientiert.  

Vorbild für die EU
Die besondere Schwierigkeit liegt für die Isländer darin, so  Smári McCarthy vom isländischen International Modern Media Institute, die rechtlichen Regelungen an europäische Vorgaben, etwa den Datenschutz anzupassen. Denn obgleich Island noch nicht Mitglied der Europäischen Union ist, will es auch nach dem geplanten Beitritt die Regelungen behalten.

Umgekehrt gibt auch in Europa Überlegungen, IMMI europaweit umzusetzen. Die Europäische Union begrüßte jedenfalls bereits im vergangenen Jahr in einer Entschließung zum EU-Beitritt Islands das neue isländische Mediengesetz, da „es sowohl Island als auch der EU ermöglicht, sich im Hinblick auf den rechtlichen Schutz der freien Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit stark zu positionieren“.

Zurzeit treibt die Europäische Union die Sorge um, dass Ungarn mit seinem restriktiven Mediengesetz einen negativen Trend in Sachen Pressefreiheit auslösen könnte. Der Staat greift aber auch in anderen EU-Mitgliedstaaten in den Medienmarkt stark ein, sei es durch Eigentümerstrukturen wie in Italien, sei es durch Subventionen wie in Frankreich. Jüngster Anlass zur Sorge sind Gedankenspiele im EU-Rat (PDF), Grenzkontrollen im Internet durchzuführen, um Inhalte zu zensieren.

Vorratsdatenspeicherung macht Informantenschutz unmöglich
Am 20. April organisierten die grünen und liberalen Fraktionen im Europäischen Parlament ein Seminar, zu dem sie nicht nur die isländischen IMMI-Protagonisten, sondern auch Whistleblower aus der Europäischen Union einluden. Smári McCarthy schlug vor, EU-Staaten, die die Pressefreiheit erheblich verletzen, die Mitgliedschaft vorübergehend zu entziehen. Problematisch wurde auch die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung gesehen, die einen wirksamen Schutz der Kommunikation zwischen Whistleblower und Journalisten aushebelt.

Guido Strack, Vorsitzender des Kölner Whistleblower Netzwerks bezweifelte hingegen, dass Anonymität Whistleblowern wirklich nützt: Nur in Ausnahmen sei die Geheimhaltung geglückt. Watergate-Informant Mark Felt, der über 40 Jahren in der Deckung blieb, war auf Geheimhaltung trainiert. Die meisten würden jedoch gerne über ihr Anliegen reden – und überhaupt, meint Strack: „Whistleblower werden anhand ihrer Botschaft identifiziert.“ Sinnvoller seien daher starke Schutzgesetze für Whistleblowing, die die Betroffenen vor Konsequenzen wie dem Verlust des Arbeitsplatzes schützen. Ende Mai steht eine weitere Anhörung zum Schutz von Whistleblowern (PDF) an, die das vertiefen wird.

Digitale Pressefreiheit zunehmend gefährdet
IMMI ist weltweit ein Hoffnungsträger, denn die digitale Pressefreiheit wird zunehmend eingeschränkt. Das zeigte jetzt die amerikanische Organisation Freedom House in ihrem Jahresbericht „Freedom on the Net 2011“ , der sich detailliert mit 37 Ländern befasste. Der Trend ist besorgniserregend, so das Fazit der Studie: Wurde das Internet in den 90er Jahren noch kaum reguliert, so gibt es heute eine “wachsende Zahl von Regierungen, den freien Informationsfluss im Internet regulieren oder einschränken wollen“. Dabei lenkte Freedom House die Aufmerksamkeit weg von China und Russlang auf die demokratischen Staaten: Auch in Brasilien, Großbritannien oder der Türkei würden die Freiheiten zunehmend beschnitten.

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Christiane Schulzki-Haddouti

Christiane Schulzki-Haddouti berichtet seit 1996 als freie IT- und Medienjournalistin über das Leben in der Informationsgesellschaft. Wie digitale Bürgerrechte bewahrt werden können, ist ihr Hauptthema. Die europäische Perspektive ist ihr wichtig – da alle wichtigen Entscheidungen in Sachen Internet in Brüssel fallen.

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