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Massenspektrometer

Digitale Nase: MIT enthüllt 100-Dollar-Tricorder

"Mit unserem portablen Massenspektrometer wollen wir Menschen die Möglichkeit geben, einen zusätzlichen Sinn zu nutzen. Mit dem Gerät können Schadstoffe in der unmittelbaren Umgebung oder in Lebensmitteln augenblicklich erkannt werden. Die Zahl der potenziellen Anwendungen ist riesig. Mit dem Gerät kann wirklich jeder einfach Messungen vornehmen", sagt Ian Hunter. Die Futurezone hatte im Rahmen der MIT Vienna Conference als erstes Medium weltweit die Gelegenheit mit dem MIT-Professor Ian Hunter über sein Projekt µMS zu sprechen.

Um ein Massenspektrometer in Hosentaschenformat zu konstruieren, haben MIT-Forscher in den vergangenen sieben Jahren alle 27 Subsysteme eines solchen Gerätes Stück für Stück analysiert und enorm verkleinert. Der integrierte  Akku soll auch bei intensiver Nutzung für mindestens einen Tag Strom liefern.

Ab 2014
Derzeit befindet sich die dritte Generation des Prototypen des Mini-Massenspektrometers, die erst vor drei Wochen fertiggestellt worden ist, in der Testphase. In zwei bis drei Monaten wird das Gerät für weitere Tests an zehn internationale Partnerunternehmen aus verschiedensten Bereichen geschickt, die Erfahrung im Bereich Massenspektrometrie haben. Die Massenproduktion soll 2014 beginnen, das Gerät soll von Anfang an auch in Europa erhältlich sein.

"Derzeit kostet die Herstellung noch rund 800 Dollar pro Exemplar. Ab einem Produktionsvolumen von 10.000 Stück können wir diesen Wert auf zirka 100 Dollar reduzieren. Herkömmliche, große Massenspektrometer kosten zwischen 100.000 und einer Mio. Dollar", erklärt Hunter, der auch als Angel-Investor für das Massenspektrometer-Start-up fungiert. Ein an der Purdue-University entwickeltes koffergroßes Gerät kostet deutlich über 1.000 Dollar.

Überall einsetzbar
Mit Massenspektrometern können Substanzen auf ihre Zusammensetzung geprüft werden. Dazu wird die zu untersuchende Probe ionisiert und durch ein elektromagnetisches Feld geschickt. Aus der Abweichung kann das Masse-zu-Ladungs-Verhältnis der einzelnen Inhaltsstoffe bestimmt werden, was bei bekannter Ladung eine Identifikation der Bestandteile erlaubt. Die Technologie ermöglicht es nicht nur festzustellen, welche Moleküle und Elemente sich in einer Probe befinden, sondern auch in welcher Menge.

Analyse weiterer Stoffe
Die derzeitige Generation der MIT-Miniatur-Spektrometer erlaubt die Analyse von Gasen und Dämpfen, mit kommenden Serien sollen aber auch Flüssigkeiten und Feststoffe als Analyten möglich werden. Laut Hunter werden bis dahin aber noch ein beziehungsweise zwei Jahre vergehen. Die Empfindlichkeit des Geräts bewegt sich derzeit ungefähr auf dem Niveau einer menschlichen Nase.

An Menschen angepasst
"Wir haben uns bewusst für ein Masse-zu-Ladungs-Empfindlichkeit von 300 entschieden, weil der menschliche Geruchssinn ungefähr denselben Bereich abdeckt. Dadurch ergeben sich eine ganze Bandbreite verschiedener Anwendungen. Herkömmliche Massenspektrometer sind in einer viel höheren Empfindlichkeit verfügbar, aber auch unser Gerät kann in dieser Hinsicht noch weiterentwickelt werden. Unser Detektor kann analysieren, was eine Nase aufspüren kann", sagt Hunter. Im Miniatur-Massenspektrometer des MIT werden sämtliche Parameter des Messgeräts - von Temperatur über Spaltbreiten bis zu anliegenden Stromspannungen und den Stärken der elektrischen Felder - kontrolliert. Das erlaubt dem Gerät, sich fortlaufend selbst zu kalibrieren.

Werkzeug für die Industrie
Durch den geringen Preis und die handliche Größe sind die Mini-Massenspektrometer für verschiedenste industrielle Produktionsprozesse und Messvorgänge interessant. In der Autoindustrie etwa könnte die Analyse der Abgase von Verbrennungsmotoren wertvolle Erkenntnisse liefern. Dazu müsste der Preis für ein Gerät aber unter 20 Dollar sinken, was noch einige Jahre dauern wird.

Krankheiten und Giftstoffe erkennen
Hunter ist aber vor allem von den Möglichkeiten für Privatanwender begeistert."Es können Rückstände von Pestiziden, Wachstumshormonen oder bakterielle Stoffwechselprodukte in Lebensmittel detektiert werden. Dasselbe gilt für Schadstoffe in der Umwelt, etwa Ausdünstungen von Kinderspielzeug oder Asbest beziehungsweise Bleifarben in Bausubstanz. Auch die Früherkennung von Krankheiten über eine Atemanalyse ist möglich. Dadurch bekommen Konsumenten ein mächtiges Werkzeug an die Hand. "Ich glaube, die Menschen haben genug von Experten, die selten da sind, wenn sie gebraucht werden. Mit unserem billigen, hosentaschentauglichen Gerät können sie selber messen und sich ein Bild von vielen Situationen machen", erzählt Hunter begeistert. Eine Messung mit dem Massenspektrometer dauert lediglich zwei Sekunden. Die Ergebnisse werden den Nutzern auf ihren Smartphone-Displays präsentiert, was zusätzlich Kosten spart.

Spurensuche
Das Gerät lässt sich auch so kalibrieren, dass es als Detektor für spezifische Substanzen fungiert. In diesem Modus arbeitet das Spektrometer weit schneller. Messungen im Zehntelsekunden-Takt erlauben etwa einen Einsatz als elektronische Nase zur Trüffelsuche oder das Aufspüren von Personen oder anderen Substanzen. Dazu können mehrere Geräten auch die Konzentration einer Substanz zur Triangulation der Position des gesuchten Objekts verwendet werden, was etwa den Einsatz als Sprengstoff- oder Drogendetektor an Flughäfen ermöglicht. Beim Einsatz als Alkoholtestgerät könnte nicht nur der Alkoholgehalt der Atemluft, sondern auch die Menge und Art der konsumierten Getränke ermittelt werden.

"Durch Messungen am eigenen Partner könnte man vielleicht sogar feststellen, ob er oder sie fremdgegangen ist", sagt Hunter halb scherzend. Wie schnell die Genauigkeit der Geräte in den kommenden Jahren zunehmen und damit weitere Anwendungsgebiete zugänglich machen wird, ist laut Hunter schwer abschätzbar.

Massenspektrometrie für die Masse
Längerfristig soll es mit den Massenspektrometern gelingen, durch Crowdsourcing eine Bibliothek aus Mess-Spektra zu erhalten, die auch die Reaktionen von Menschen auf die gemessenen Substanzen berücksichtigt. Um dieses Projekt zu starten, sollen einige Massenspektrometer an Conaisseure aus verschiedenen Bereichen, etwa Wein, Zigarren, Kaffee oder Parfum vergeben werden. So könnte das System eventuell lernen, was einen guten Wein, üblen Gestank oder eine hochwertige Zigarre ausmacht.

"Wir hoffen ein Modell zu erhalten, das die Spektra in Beziehung zu psychologischen Effekten, die durch die gemessene Substanz erzeugt werden, setzt. Diese Modelle sollen intelligent sein und sich durch zusätzliche Messungen verbessern. Deshalb brauchen wir so viele Messdaten wie möglich", erklärt Hunter.

Deshalb stehen auch Überlegungen im Raum, die Geräte billiger abzugeben, wenn die Käufer einwilligen, ihre Daten zur Verfügung zu stellen. "Vielleicht wird das Massenspektrometer 200 Dollar kosten, wenn die Nutzer ihre Messdaten behalten wollen und 100 Dollar oder sogar weniger, wenn sie uns ausgehändigt werden", so Hunter.

Wertvolle Sinneseindrücke
Die Daten, die der Hersteller der Mini-Massenspektrometer aus den Messungen erhält, sollen für andere Anwendungen zur Verfügung gestellt werden, allerdings nicht quelloffen. "Die Informationen sollen frei verfügbar aber nicht frei inspizierbar sein. Wir wollen die Qualität unserer Modelle gewährleisten. Andernfalls könnten unzulängliche Modelle - etwa zur Erkennung von Lungenkrebs über die Atemluft - zu falschen Ergebnissen führen", begründet Hunter den proprietären Ansatz.

Die Daten, die durch die Messungen angehäuft werden, sind enorm wertvoll, bergen aber auch das Risiko von Missbrauch. Über eine Messung könnte ein Mensch zum Beispiel eindeutig identifiziert werden. "Datenschutz und rechtliche Aspekte, wie etwa die Haftung bei Fehldiagnosen, müssen noch geklärt werden. Ist man zu vorsichtig, geht nicht viel weiter", sagt Hunter.

Der Professor hofft, dass in Zukunft jeder eines seiner Messgeräte mit sich herumträgt. "Eine Integration in Smartphones wäre denkbar, ich halte diese Geräte aber bereits für obsolet. Am Körper getragene Sensor-Netzwerke könnten in Verbindung mit Technologien wie Google Glass die Messungen erlauben und Ergebnisse darstellen", so Hunter.  Aus einem solchen Netzwerk aus vielen Massenspektrometern, die dauernd Daten erfassen ließe sich eine Karte für die Konzentration beliebiger Stoffe erstellen.

Tricorder geplant
Am MIT wird auch an der Miniaturisierung anderer Messinstrumente gearbeitet. In einigen Jahren sollen dann mehrere Geräte kombiniert werden. "Wir verkleinern auch Raman-Spektrometer und Gaschromatographen. Der Plan ist, diese drei Instrumente zu kombinieren. Dadurch erhält man eine Art Tricorder, wie in Startrek. Mit einem solchen Gerät wären noch höher auflösende Analysen von Stoffen möglich. Da ein Gaschromatograph die untersuchten Substanzen auftrennt, kann er die Genauigkeit einer anschließenden Analyse mit dem Massenspektrometer erhöhen, was gerade bei komplexen Gemischen wie Blut ein Vorteil ist. Mit dem Raman-Spektrometer hätte man zusätzlich noch eine optische Methode zur Analyse mit an Bord", so Hunter.

Im Tarn-Modus Millionen-Angebote abgelehnt
Ob diese Entwicklungen vom selben Start-up in Angriff genommen werden, das auch das Massenspektrometer produziert, ist noch nicht klar. Dort liegen derzeit jedenfalls die Lizenzen zur Nutzung des MIT-Patents auf die miniaturisierten Massenspektrometer. Die finanzielle Unterstützung durch Angel-Investor Hunter ist derzeit die einzige Geldquelle. "Wir brauchen kein zusätzliches Venture-Kapital", so Hunter. Auch das Militär, das ebenfalls Verwendung für die Massenspektrometer - etwa beim Aufspüren von Biowaffen oder Sprengstoff - hätte, ist derzeit nicht an dem Projekt beteiligt. Das Start-up versucht noch im Tarn-Modus die Massenproduktion zu erreichen. Die Konkurrenz ist ebenfalls schon auf die Erfindung aufmerksam geworden. "Firmen haben riesige Summen geboten, um unsere Technologie zu kaufen. Wir haben alle Angebote abgelehnt, was einige meiner Kollegen beinahe zum Weinen gebracht hat. Geld ist wirklich nicht unsere Motivation. Wir wollen den Menschen eine neue Welt eröffnen", so Hunter.

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Markus Keßler

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