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Künstliche Intelligenz

"Go ist am Ende nur ein weiteres Computerspiel"

Yulia Sandamirskaya baut Systeme, die lernen sollen, so mit ihrer Umwelt und Menschen zu interagieren, dass sie irgendwann Aufgaben im Alltag erledigen können. Das erfordert eine ganz andere Art von künstlicher Intelligenz (KI) als etwa das Go- oder Schachspielen. Dass Maschinen der Menschheit gefährlich werden könnten, glaubt Sandamirskaya nicht, vor allem weil die Fortschritte beim Bau von intelligenten Systemen noch recht überschaubar sind.

In kleinen Schritten sollen uns Roboter in Zukunft aber wohl immer mehr spezialisierte Aufgaben abnehmen, was ganz neue Herausforderungen mit sich bringen wird. Die futurezone hat die Neuroinformatikerin der ETH Zürich vor ihrem Auftritt bei den diesjährigen Technologiegesprächen in Alpbach interviewt.

futurezone: Was ist das interessanteste Problem, an dem Sie derzeit arbeiten?
Yulia Sandamirskaya: Ich versuche von der Biologie inspirierte robotische Systeme zu entwickeln, die auf neuromorpher Hardware implementiert sind. Ich hoffe, dass ich irgendwann Roboter bauen kann, die effizient in Sachen Energieverbrauch und Rechenleistung sind und Repräsentationen ihrer Erfahrungen formen können, um zu lernen Objekte, Handlungen, Ereignisse, Sequenzen und Szenen zu erkennen. In der ersten Stufe wird es sich um ein Vehikel handeln, das sich in einer Umgebung bewegt und eine semantische Karte seiner Umwelt erstellen kann, die es dann auch in menschlicher Sprache vermitteln kann.

Ist “Künstliche Intelligenz” (KI) eine treffende Bezeichnung für das, was sie erreichen wollen?

Yulia Sandamirskaya
In der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts hat sich der Begriff Künstliche Intelligenz für eine Sparte der Informatik eingebürgert, die versucht, künstliche Systeme zu bauen, die Aufgaben erledigen sollen, zu denen nur Menschen fähig sind. Dazu gehören abstraktes Denken, die Manipulation von Symbolen, Logik, das Lösen mathematischer Probleme und Spielen. Diese “gute alte KI” ist Jahrzehnten auf der Stelle getreten und irgendwann haben die Leute realisiert, dass ein großer Teil der menschlichen Intelligenz auf sensomotorischen, körperlichen Prozessen beruht und weniger mit dem Lösen von Matheproblemen zusammenhängt als mit Wahrnehmung, motorischer Kontrolle und der Fähigkeit zu lernen. Die Fähigkeit von Menschen, neue Objekte schnell zu erkennen, Verallgemeinerungen in neue Situationen zu treffen oder Fähigkeiten wie Radfahren oder ein Instrument spielen zu erlernen sind herausfordernder als die Planungsprozesse hinter Schach. Solche künstlichen kognitiven Systeme zu bauen könnte irgendwann zu robotischen Assistenten führen, die mit Objekten und Menschen interagieren können, statt nur abstrakte Matheprobleme zu lösen.

Glauben Sie an die Singularität?
Bislang haben wir keine technischen Systeme gebaut, die sich selbst autonom verbessern können - ohne exakt vorbereitete und kategorisierte Daten oder clever designte Belohnungs/Kosten-Funktionen, die den Lernprozess in die richtige Richtung für die Lösung einer bestimmten Aufgabe lenken können. Daher sehe ich in der Singularität eine hypothetische, philosophische Konstruktion, die weit von jeglicher technischen Realität entfernt ist. Smarte Technologie wird den Alltag durchdringen, aber sie wird unter menschlicher Kontrolle bleiben.

Maschinen haben gelernt, einige komplexe Aufgaben zu lösen, zuletzt etwa das GO-Spielen auf höchstem Niveau. Wo sind heute die Grenzen für autonome Systeme?
Die Maschinen und Algorithmen von heute sind ziemlich limitiert, was intelligente und flexible Interaktion mit der “echten Welt” betrifft. Go ist am Ende nur ein weiteres Computerspiel, mit klar definierten Regeln. Trotzdem ist die Go-Software ein erstaunliches Stück Technologie, das die Intelligenz seiner menschlichen Entwickler demonstriert. Aber Sie haben sicher bemerkt, dass die Spielsteine von Menschen gelegt wurden? Es ist ein ziemlicher Unterschied zwischen diesem System und einem, das alltägliche Objekte auf einem vollgeräumten Tisch erkennen und dann eine Greifbewegung in Richtung einer Tasse planen kann. Der Fortschritt in diesen Bereichen ist zur Zeit recht langsam, auch weil Zusammenarbeit zwischen Disziplinen gefordert ist, die traditionell wenig miteinander zu tun hatten. Heute können solche Aufgaben nur unter exakt definierten Laborbedingungen bewältigt werden. Eines von ganz wenigen derartigen Systemen, die im Alltag zurechtkommen, ist der Staubsaugerroboter. Das zeigt den Stand der Technik, der weit entfernt ist von Science-Fiction-Visionen von Roboterhaushaltsgehilfen in jedem Heim. Autonome Fahrzeuge werden zwar entwickelt, sie sind aber von teuren Sensoren abhängig und auch von einer relativ kontrollierbaren und gut definierten Umgebung. Die Flaschenhälse für autonome Systeme bleiben: Wahrnehmung und effiziente Repräsentation des Status der Umwelt; Planung und Kontrolle unter Berücksichtigung dieser Wahrnehmung; Lernen und Interaktion mit Menschen.

Glauben Sie, dass wir je ein System bauen können, dass alle Aufgaben meistern kann, die ein menschliches Gehirn löst?
Es macht einen großen Unterschied, ob wir ein System haben, das alle Aufgaben übernimmt oder viele verschiedene Systeme, die auf einzelne Herausforderungen abgestimmt sind. Zweiteres halte ich für möglich, auch wenn die Lösungen nicht gezwungenermaßen dieselben wie in der biologischen Vorlage sein müssen. Die Komplexität des menschlichen Gehirns, die alle menschlichen Verhaltensweisen erst möglich macht, übersteigt unser Verständnis bislang. Wie beginnen gerade erst langsam zu verstehen, wie die Gehirne sehr einfacher Organismen funktionieren oder was einzelne neuronale Schaltkreise überhaupt tun.

Wenn wir ein Gehirn in Hardware emulieren könnten, würde daraus Intelligenz entstehen?
Es ist schwer zu sagen, was es heißt, ein Gehirn zu emulieren. Schon die Frage, welches Gehirn wir emulieren, ist schwer zu beantworten, weil jedes Gehirn einzigartig ist und sich ständig verändert. Jede Erfahrung verändert das Gehirn ein kleines Bisschen - oder auch drastisch wenn wir die Zahl der sich anpassenden Verschaltungen ansehen. Zudem ist das Hirn ein lebendes Organ, Zellen sterben ständig und werden neu geschaffen, das System wächst und altert. Wenn wir jedes einzelne Neuron emulieren, werden wir vermutlich nicht viel lernen. Wenn wir jedes Luftmolekül in einem Raum emulieren, werden wir ja auch kaum etwas über die Beziehung zwischen Temperatur, Druck und Volumen lernen, zumindest nicht in einer Form, in der wir diese Beziehungen üblicherweise verstehen. Es ist schwierig, eine Verbindung zwischen mikro- und makroskopischen Eigenschaften zu schaffen. Wenn wir das Gehirn auf einer abstrakteren Ebene verstehen oder emulieren und das in Form von Hard- oder Software umsetzen könnten, dann bekämen wir vermutlich in irgendeiner Form einen intelligenten Akteur. Davon sind wir im Moment aber noch sehr weit entfernt.

Ist das Kopieren biologischer Systeme der richtige Weg bei der Entwicklung intelligenter Systeme?
Die Biologie hat für bestimmte Probleme sehr effiziente Lösungen gefunden, etwa bei der Fortbewegung. In einigen Fällen haben aber abweichende technische Lösungen sicher Vorteile. Wir können auch nicht immer alle Elemente eines biologischen Systems kopieren. Ein Roboterkörper könnte ganz anders aussehen als biologische Vorbilder. Biologische intelligente Systeme zu verstehen ist für sich faszinierend und kann auch technische Lösungen beeinflussen, aber wir können uns auch andere Konzepte ausdenken, die besser funktionieren. Computer etwa sind besser bei der Suche oder der Analyse von Daten als wir.

Wird das absehbare Ende des Mooreschen Gesetzes ihre Arbeit einschränken?
In meiner derzeitigen Forschungsarbeit habe ich mich auf neuromorphe Konstruktionen spezialisiert, eine Disziplin, bei der es um die Konstruktion neurologisch inspirierter Computerhardware geht, die sich nicht an der Von-Neumann-Architektur moderner Computer orientiert und daher nur vom Ende vom Moore’s Law profitieren kann: Wenn heutige Computer nicht mehr leistungsfähiger werden, werden sich die Leute mit mehr Nachdruck nach Alternativen umsehen und andere Ansätze bekommen eine Chance, einen größeren Markt zu erobern. Allgemein sollten wir nach smarteren Lösungen suchen, die so wenig Rechenarbeit wie möglich erfordern. Wenn die Rechenleistung begrenzt ist, könnten solche Ansätze profitieren und das Brute-Force-Paradigma, das riesige Maschinen fordert und fälschlicherweise davon ausgeht, Rechenleistung sei gratis, ablösen.

Wo sehen Sie das größte Potenzial für Automatisierung durch Fortschritte in der Robotik?
Ich denke, dass die repetitivsten und anstrengendsten Aufgaben wie harte körperliche Arbeit irgendwann von Robotern übernommen werden können, aber auch das liegt in weiter Ferne. In der Alten- und Krankenpflege gibt es einige anstrengende Tätigkeiten, wie etwa das Bewegen der Pflegebedürftigen, die durch Roboter erleichtert werden könnten. Auf dem Bau, im Reinigungsgewerbe oder der Müllverwertung könnten Maschinen ebenfalls anstrengende Arbeiten übernehmen. Auch die Landwirtschaft ist ein Sektor, in dem die Automatisierung die Produktivität erhöhen und den Bedarf nach menschlichen Aushilfskräften reduzieren könnte. Der Einsatz von Robotern in der Bildung hat Potenzial. Prothesen sind derzeit vermutlich das naheliegendste Feld, in dem Robotik große Auswirkungen haben kann.

Sind die häufig geäußerten Befürchtungen einer systemischen Arbeitslosigkeit durch die Automatisierung gerechtfertigt?
Die Strukrur des Arbeitsmarktes wird sich ändern, wenn die Automatisierung vieler anstrengender Aufgaben gelingt. Das wird zu ökonomischen und sozialen Herausforderungen führen, die intelligent gelöst werden müssen: Die Menschen werden sich neue Fähigkeiten aneignen müssen. Das Bildungssystem braucht dann eine andere Ausrichtung: Wenn weniger Arbeiter mit geringen Qualifikationen gebraucht werden, müssen mehr Kinder höhere Bildung anstreben. Das erfordert, dass wir unsere Methoden der Ausbildung und die Auswahlkriterien dafür, wer für höhere Schulen geeignet ist, überdenken müssen. Langfristig wird sich ein neues Gleichgewicht finden, in dem mehr junge Leute Wissenschaftler, Ingenieure oder Künstler und Denker werden, die neue Maschinen und smarte Systeme entwickeln und sich anderweitig der Lösung der Probleme der Menschheit widmen.

Die futurezone ist Medienpartner der Alpbacher Technologiegespräche 2016.

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Markus Keßler

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