Hoher IQ durch Genmanipulation ist "absurde Idee"
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Welche Farben die Nachkommen roter und weißer Blumen haben, ist relativ einfach zu bestimmen. So lernen wir das zumindest in der Schule. Außerhalb der Lehrbücher ist die Sache aber deutlich komplizierter. Bei Menschen werden nur sehr wenige Eigenschaften, zum Beispiel die Blutgruppe oder Rot-Grün-Blindheit, nach simplen Regeln von den Eltern an die Kinder weitergegeben. Komplexe Merkmale werden hingegen von einer großen Zahl von Genen beeinflusst. „Dazu kommt, dass Gene nicht nur eine Aufgabe übernehmen. Ein Gen, das etwa für die Intelligenz relevant ist, könnte gleichzeitig eine Rolle im Verdauungstrakt spielen“, erklärt Georg Dechant von der Medizinischen Universität in Innsbruck, wo vor kurzem Gene gefunden wurden, die Auswirkungen auf die kognitive Leistungsfähigkeit haben. Forschung auf diesem Gebiet ist aus ethischer Sicht heikel, weil eine mögliche genetische Manipulation der Intelligenz von Nachkommen viele Fragen aufwerfen würde.
Halbe Wahrheit
Was einen klugen Menschen ausmacht, ist nicht einfach festzulegen. Schon an der Definition des Begriffs „Intelligenz“ scheiden sich die Geister. Für Forscher wie Dechant ist der Intelligenzquotient die entscheidende Messgröße. „Der Vorteil ist, dass der IQ eng definiert ist und mit standardisierten Tests erhoben wird. Eigenschaften wie emotionale oder soziale Intelligenz können so allerdings nicht berücksichtigt werden“, sagt Dechant. Erst dieser vereinfachte Intelligenzbegriff erlaubt es, Vergleiche zwischen Menschen anzustellen und die Vererbung zu untersuchen. Dass Eltern mit hohem IQ mit größerer Wahrscheinlichkeit intelligente Kinder haben, ist erwiesen. Ob das an den Genen oder einem förderlichen Umfeld liegt, ist aber eine andere Frage. „Neben der Genetik spielen auch soziale und Umwelteinflüsse eine Rolle. Die individuellen Unterschiede lassen sich nur zu etwa 50 Prozent auf das Erbgut zurückführen“, sagt Dechant.
Einzelne Gene, die sich erwiesenermaßen auf den IQ auswirken, sind erst seit einigen Jahren bekannt. „Wir kennen heute einige Dutzend Gene, die Einfluss auf die Intelligenz nehmen. Sie haben aber jeweils nur geringe Auswirkungen“, sagt Dechant. Gefunden werden relevante Gene mit statistischen Methoden. Die Forscher in Innsbruck suchten etwa nach Genvarianten, die bei besonders intelligenten Menschen gehäuft auftreten. Wo keine gesicherten IQ-Werte bekannt sind, wird zur Bewertung der Studienteilnehmer der Bildungsgrad herangezogen. „Der IQ korreliert sehr gut mit den akademischen Leistungen“, sagt Dechant.
Großer Aufwand
Um belastbare Rückschlüsse ziehen zu können, sind für derartige Untersuchungen große Stichproben erforderlich. Die Studien arbeiten üblicherweise mit 280.000 bis 340.000 Probanden. Aber selbst mit so vielen Versuchspersonen lassen sich Gene, die nur einen sehr kleinen Einfluss haben, nicht finden. „Das ist wie eine Skyline im Nebel. Wir sehen nur die hohen Häuser, die hervorragen. Die Nebelgrenze lässt sich nur absenken, indem immer größere Populationen untersucht werden. Das ist aber momentan nicht unser Ziel. Wir wollen vor allem verstehen, wie die Stadt funktioniert. Dazu müssen wir nicht jede Hütte sehen“, sagt Dechant.
Bestellte Intelligenz
Vor einer Zukunft, in der Eltern die Intelligenz ihrer Kinder nach Wunsch durch Genmanipulationen beeinflussen können, fürchtet sich der Neurowissenschaftler nicht, auch wenn die Forschung schnell voranschreitet. „Was die Zukunft bringt, soll man nie unterschätzen, aber aus heutiger Sicht ist die Idee absurd. Die Wechselwirkungen sind so komplex, dass bei jedem Eingriff übelste Nebenwirkungen zu erwarten wären. Das sollten wir uns gleich aus dem Kopf schlagen“, sagt Dechant. Da die Auswirkungen jedes einzelnen beteiligten Gens so gering sind, müsste eine große Zahl von Manipulationen am Erbgut vorgenommen werden, um eine Wirkung zu erzielen. Diese könnten sich einerseits gegenseitig in die Quere kommen und andrerseits unvorhersehbare Auswirkungen an anderer Stelle im Körper haben. Dazu kommt, dass der Sitz der Intelligenz, das Gehirn, Forschern nach wie vor Rätsel aufgibt. „Das menschliche Gehirn ist das komplexeste Gebilde, das wir kennen“, sagt Dechant.
IQ-Test für Embryos
Ethische Bedenken gibt es auch Abseits der Debatte um Designerbabys. So wäre es technisch bereits möglich, Kinder noch im Mutterleib auf bereits bekannte Erbgutmerkmale mit Bezug zur Intelligenz zu testen. „Das wäre aber sinnlos, weil wir die Verbindungen der einzelnen Gene nicht verstehen. Wir könnten einzelne Genvarianten finden, das würde über den IQ des Kindes aber nichts aussagen“, sagt Dechant. Derartige Tests sind im Gegensatz zu tatsächlichen Genmanipulationen aber nicht komplett außer Reichweite. In den nächsten Jahrzehnten könnten IQ-Tests für Ungeborene Realität werden. Deshalb fordert Dechant eine öffentliche Debatte zum Thema: „Es muss früh diskutiert werden, was wir zulassen wollen und was nicht. Aufgrund der potenziell weitreichenden Konsequenzen sollten wir Regeln aufstellen.“
Wer vor hat, Nachwuchs zu zeugen und dem eigenen Sproß gerne einen IQ auf Einstein-Niveau bestellt hätte, muss aber nicht verzagen. Es gibt andere Methoden, um die Intelligenz zu fördern. „Gerade im Jugendalter wird eine optimale Stimulation des Gehirns sich positiv auswirken. Unsere Gesellschaft ist aber auf die Bedürfnisse von Erwachsenen abgestimmt“, sagt Dechant. Kleine Genies lassen sich auch mit diesem Ansatz freilich nicht planen. Wenn das genetische Potenzial nicht da ist, wird auch ein optimal stimuliertes Kind kein Einstein.
In welche Höhen der IQ eines Menschen überhaupt steigen kann, ist ungewiss. „Durch bessere Lebensbedingungen ist der durchschnittliche IQ jahrzehntelang gestiegen. Jetzt erleben wir im Westen eine Plateauphase. Ob das die Leistungsgrenze ist, wissen wir nicht“, sagt Dechant.
Zur Person
Der Neurowissenschaftler Georg Dechant ist Direktor des „Institute for Neuroscience“ an der Medizinischen Universität Innsbruck. Dort wurden vor kurzem Gene entdeckt, die Einfluss auf die Intelligenz nehmen. Das geschieht im konkreten Fall über Beeinflussung der dreidimensionalen Struktur der DNA in den Zellkernen von Nervenzellen im Gehirn. Derartige Mechanismen könnten in Zukunft die Entwicklung von Therapieansätzen für neurologische Erkrankungen wie Autismus oder ADHS ermöglichen.
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