"Der europäische Tech-Sektor boomt"
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr!
"Der europäische Tech-Sektor boomt", sagt Tom Wehmeier, der für den Risikokapitalgeber Atomico die Studie "State of European Tech" verfasst hat. Europa müsse sich nicht mehr an den USA oder China orientieren, sondern habe seinen eigenen Weg gefunden. Wehmeiers Arbeitgeber Atomico investiert kräftig in europäische Tech-Start-ups. Die von Skype-Gründer Niklas Zennström 2006 ins Leben gerufene Investmentfirma setzte im vergangenen Jahr einen 765 Millionen Dollar schweren Fonds auf, der hauptsächlich in europäische Start-ups investieren will. Die futurezone hat Wehmeier und Atomico-Mitgründer Mattias Ljungman Ende Jänner am Rande der Innovationskonferenz DLD in München getroffen und mit ihnen über Chancen für europäische Tech-Unternehmen gesprochen.
Sie sind für die Zukunft des europäischen Technologiesektors sehr optimistisch. Warum?
Mattias Ljungman: Als wir Atomico vor zwölf Jahren starteten, hat es nicht viel gegeben. Skype hatte einen Milliarden-Exit, aber sonst war da nicht viel. Als wir gesagt haben, wir investieren jetzt in die nächsten Milliarden-Unternehmen, haben uns die Leute seltsam angesehen. Heute haben wir in Europa 41 Start-ups, die eine Milliarde Dollar oder mehr wert sind und wir werden sicher bald auch erste zehn, 20 oder sogar Hundert-Milliarden-Dollar-Start-ups in Europa sehen. Das Ökosystem ist gesund und vibriert. Wir haben einen Lauf und wir stehen erst am Anfang.
Wo liegen die Stärken des europäischen Technologiesektors?
Tom Wehmeier: Wir sehen drei Punkte, die für einen europäischen Weg zentral sind. Der erste ist Deep Tech, also das was bei zentralen Technologien wie etwa künstliche Intelligenz oder Kryptografie unter der Haube ist. Wir haben eine jahrzehntelange Geschichte in der Forschung auf diesen Gebieten. Vielleicht waren wir in der Vergangenheit nicht so erfolgreich sie zu kommerzialisieren. Aber wenn sie sich heute ansehen, wo die 100 besten Forschungsinstitute für künstliche Intelligenz beheimatet sind, sehen sie, dass sich 32 davon in
Europa befinden. Die Leute, die aus diesen Einrichtungen hervorgehen, werden die erfolgreichen Unternehmen von morgen gründen.
Welche Stärken sehen Sie noch?
Wehmeier: Es gibt in Europa auch eine ziemlich gute Zusammenarbeit zwischen der traditionellen Industrie und Start-ups. Daraus können sich sehr gute Partnerschaften ergeben und Start-ups können auf diese Art neue Kunden gewinnen. Und wir sehen auch Möglichkeiten, die sich aus neuen Ansätzen in der Regulierung neuer Technologien ergeben können.
Zum Beispiel?
Wehmeier: Technologien wie künstliche Intelligenz, Drohnen oder Kryptowährungen brauchen einen geeigneten regulatorischen Rahmen, um ihr kommerzielles Potenzial entfalten zu können. Wir sehen, dass Regierungen dazu durchaus progressive Haltungen entwickeln und auch sehr flexibel reagieren können. Wenn es die Regulierungen Unternehmen erlauben, ihre Lösungen schnell auf den Markt zu bringen, schaffen sie attraktive Standorte, die viele Firmen dazu bewegen werden, sich anzusiedeln. Das bringt Geld und schafft auch Jobs. Daraus ergeben sich viele interessante Möglichkeiten für Europa.
Wenn man sich unter Start-ups umhört, hört man viele Klagen über die Regulierung.
Wehmeier: Einige dieser Klagen sind sehr real. Wir haben für unsere Studie 3500 Leute, darunter 1000 Gründer befragt. Als Barrieren wurden das Arbeitsrecht, Datenschutz und Besteuerung genannt. Das sind große Herausforderungen. Gelegenheiten sehen wir aber in anderen Bereichen, zum Beispiel bei autonomen Fahrzeugen. Wir sehen bereits heute, wie einige Städte dazu einen offeneren Zugang wählen und Unternehmen erlauben, Versuche durchzuführen.
Können Sie mir einige europäische Start-ups nennen, die auf diese Stärken aufbauen?
Ljungman: Ein Beispiel ist Graphcore, die leistungsstarke Prozessoren für Anwendungen in der künstlichen Intelligenz entwickeln. Oder Lilium aus
München, das senkrechtstartende E-Flugzeuge baut. Es gibt eine Menge großartiger Unternehmen. Auch in Österreich.
Und zwar?
Ljungman: Wir haben in Bitmovin investiert. Sie kommen aus Klagenfurt und sind ein gutes Beispiel für den Deep-Tech-Ansatz. Die Gründer haben während ihres Studiums einen eigenen Videocodec entwickelt. Sie haben dabei auf Forschung und Expertise aufgebaut, die es in Klagenfurt seit Jahren gibt. Große Unternehmen können heute von überall kommen. Wir werden noch viele solcher Start-ups sehen.
Ist in Europa genügend Geld vorhanden?
Ljungman: Das Risikokapital in Europa hat sich in den vergangenen fünf Jahren verfünfacht. Natürlich kann noch mehr getan werden. Europa war spät dran. Aber Hedge Funds und private Kapitalgeber beginnen in Start-ups zu investieren. Es geht jetzt darum, zu beweisen, dass sich das für sie auszahlen kann. Es passiert, geht aber nicht von heute auf morgen.
Laut ihrer Studie hat auch die Zahl der Entwickler stark zugenommen. Viele Start-ups sagen aber, dass sie nur sehr schwer Fachkräfte finden.
Ljungman: Das sollte auch immer ein Problem sein. Wenn es das nicht mehr ist, heißt das nur, dass man sich seine Ziele nicht hoch genug steckt.
Wenn ich aber heute einen Programmierer brauche, hilft mir das wenig.
Ljungman: Österreich hat geographisch einen Riesenvorteil, es befindet sich im Zentrum Mittel- und Osteuropas. In Ländern wie Kroatien, Ungarn oder Bosnien gibt es sehr viele Talente. Die Regierung sollte sich überlegen, wie sie diese Leute ins Land bringen kann, das braucht Anreize. Diese Leute können auch dabei mithelfen, die nächste Generation an Ingenieuren auszubilden, die dann wiederum neue Unternehmen gründen. Je mehr Erfolgsgeschichten es gibt, desto mehr Leute wollen an das System andocken.
Viele Leute verlieren ihre Jobs auch wegen der Digitalisierung. Start-ups schaffen im Vergleich zur traditionellen Industrie aber nur wenige Jobs.
Ljungman: Ich würde das nicht so negativ sehen. Technologie ist ein unglaublicher Wachstumstreiber, in dem Sektor entstehen viele Jobs. Das hat auch multiplikatorische Effekte und wirkt sich positiv auf die gesamte Wirtschaft aus. Die Automatisierung ist allerdings für uns alle eine Herausforderung. Unsere Arbeit ändert sich und der Übergang kann sehr brutal verlaufen.
Wehmeier: Die Frage ist, ob die Leute auch über die Fähigkeiten verfügen, die durch die Automatisierung gefragt sind. Hier sind auch die Regierungen und die Industrie gefordert. Sie müssen dafür sorgen, dass das Bildungssystem darauf ausgerichtet ist. Es geht in Richtung lebenslanges Lernen. Wir werden in einer Welt leben, in der man kontinuierlich lernen muss.
Kommentare