Diese 3D Sensorik ermöglicht die Analyse der Situation vor dem Fahrzeug. Bei Gefahr wird der Fahrer gewarnt.
Diese 3D Sensorik ermöglicht die Analyse der Situation vor dem Fahrzeug. Bei Gefahr wird der Fahrer gewarnt.
© AIT, Bombardier

Die Straßenbahn der Zukunft kommt ohne Fahrer aus

Die Straßenbahn der Zukunft kommt ohne Fahrer aus

Die mehr oder weniger freundlichen Ansagen der Straßenbahn-Fahrer, die den Menschen in Wien und anderen Städten des Landes regelmäßig den Morgen erheitern, wenn es zu außerplanmäßigen Problemen kommt, könnten schon in wenigen Jahren der Vergangenheit angehören. Analog zur Entwicklung in der Automobilbranche wird auch bei Straßenbahnen an Fahrassistenzsystemen gearbeitet, die zu autonom fahrenden Trams führen könnten. Am AIT ist die Technik bereits so weit, dass sie kurz vor der Markteinführung steht. Auf fahrerlose Straßenbahnen werden die Passagiere trotzdem noch eine Weile warten müssen.

“Bei U-Bahnen und im Flughafenbereich gibt es schon autonom fahrende Züge, weil dort keine Hindernisse vorkommen können. Auf offener Strecke, wie bei der Straßenbahn, ist die Umgebung deutlich komplexer und eher mit Autos vergleichbar”, sagt Christian Zinner vom AIT zur futurezone. Auch bei den Autos sei die Entwicklung noch nicht so weit, wie der aktuelle Medienhype oft glauben machen will, so der Experte. “In den meisten Ländern gilt etwa die Wiener Konvention, die vorsieht, dass ein Fahrer jederzeit die volle Kontrolle über sein Fahrzeug haben muss. Regulatorisch und rechtlich sind noch viele Fragen offen. Google etwa hat in Nevada Millionenbeträge für Haftungsfragen hinterlegt, um autonom fahrende Autos testen zu dürfen”, sagt Zinner.

Ausgereifte Technik

Räumliche Information wird aus den Daten mehrerer Kameras berechnet

Technisch hingegen sind die meisten Hürden bereits ausgeräumt, auch wenn es bei Straßenbahnen einige Dinge zu beachten gibt, die bei Autos weniger problematisch sind. “Die Fahrphysik ist völlig anders als bei Autos, da Straßenbahnen trägersind, nicht ausweichen können und sich in sehr geringen Abständen an Hindernissen und anderen Verkehrsteilnehmern vorbeibewegen. Zudem ist auch der Markt - und damit die Kostenstruktur - anders als bei Autos, da die Stückzahlen wesentlich geringer sind”, erklärt der AIT-Experte. Durch die enorme Masse und die vielen Passagiere ist der potenzielle Schaden bei Unfällen auch weit höher. “Vorerst werden sich aus diesen Gründen vermutlich Assistenzsysteme durchsetzen, der Mensch wird die letzte Verantwortung behalten. Vollautonome Systeme brauchen mehr Sensoren und wären aus heutiger Sicht wohl auch noch zu teuer”, so Zinner.

Aber auch die Assistenzsysteme für Straßenbahnen müssen genauer sein als bei Autos, weil die Überwachung auf größere Distzanzen vorausschauend und trotzdem sehr präzise am Fahrtweg ausgerichtet erfolgen muss. Die Technik des AIT ist hier international führend. “Wir haben mit unserer ‘3D-Vision-Technologie’ einen Verbund aus drei Kameras entwickelt, der stereoskopisches Sehen imitiert. Die dritte Kamera ist aus Redundanzgründen und für eine höhere Messgenauigkeit. Unsere Algorithmen formen aus den Videodaten ein dreidimensionales Abbild der Umgebung vor der Straßenbahn. Wir schaffen etwa 20 Auswertungen pro Sekunde, die dabei anfallende Datenmenge ist natürlich enorm”, so Zinner. Der horizontale Blickwinkel des Systems ist sehr groß, damit auch enge Kurvenradien gut erfasst werden können. Abgedeckt wird derzeit mehr oder weniger das Sichtfeld des Fahrers, also jener Bereich, bei dem im Falle eines Problems noch ein Reagieren für den Zugführer machbar ist.

Schneller als Menschen

“Machbar wäre auch eine 360-Grad-Überwachung, für unsere Assistenzsysteme macht das aber weniger Sinn”, so der Fachmann. Die Sensorik arbeitet auch bei Nacht problemlos. Regen, Schnee, Nebel und andere widrige Witterungsverhältnisse sind ebenfalls kein Problem, es lässt sich in jedem Fall eine der Sichtweise angepasste Geschwindigkeit realisieren. Die ersten Assistenzsysteme sollen schon in etwa einem Jahr ausgeliefert werden, sofern die nötigen Zulassungen rechtzeitig erteilt werden. Dann werden Straßenbahnfahrer im Falle eines Problems, das die Computer entdecken, gewarnt. Wie diese Warnung aussieht - akustisch, visuell, in Form eines sanften Bremsmanövers - liegt im Ermessen des jeweiligen Betreibers der Züge.

In der Forschung wird aus den gleichen Sensordaten bereits ein komplettes 3D-Abbild erstellt, mit dessen Hilfe z.B. auch ein autonomes Geländefahrzeug navigiert.

“Das System kann fehlerlos viele Dinge gleichzeitig beobachten und reagiert im Ernstfall schneller als Menschen. Dadurch werden die Fahrer, an die extrem hohe Anforderungen gestellt werden, entlastet”, so Zinner. Als letzte Instanz kann der Fahrer das Assistenzsystem im Notfall aber weiterhin überstimmen. Das kann sich in Zukunft aber schnell ändern. “Ich gehe davon aus, dass die Entwicklung Richtung vollautomatische Systeme geht, auch wenn es sich da um ein heikles Thema handelt, vor allem wegen der Haftungsfragen”, erklärt Zinner. Die Anforderungen an autonome Systeme müssten allerdings erst formuliert werden. “Die sind aber sicher noch einmal höher als bei den Assistenzsystemen, die ebenfalls schon hohen Standards genügen müssen”, sagt Zinner.

Vergleichsweise sicher sind Straßenbahnen zwar eigentlich schon heute, aber die enormen Kosten, die für die Betreiber im Schadensfall entstehen, sind ein Anreiz, die technischen Möglichkeiten auszureizen. “Die pekuniären Interessen der Betreiber sind einer der Faktoren, die dazu führen werden, dass der Automatisierungsgrad steigt. Für diese Firmen rechnen sich solche Investitionen nämlich mit Sicherheit”, sagt Zinner.

Dieser Artikel ist im Rahmen einer Kooperation zwischen futurezone und AIT entstanden.

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Markus Keßler

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