Akram Khan: "Sie haben kein Essen, aber Handys"
In Ihrem jüngsten Solostück DESH zieht sich Technik wie ein roter Faden durch den Abend – etwa in Form einer mysteriösen, kaputten Maschine auf der Bühne sowie der Stimme eines Kindes, das den telefonischen Tech-Support für das iPhone betreut. Woher kam die Inspiration?
Als Vorbereitung für das Stück war das ganze Produktionsteam zehn Tage in Bangladesch. Ein Widerspruch fiel uns sofort auf: Einerseits das völlige Fehlen von Technologie für Aufgaben, die wir in der westlichen Welt ohne technischen Geräte überhaupt nicht mehr bewältigen könnten. So sahen wir Kinder, die ohne maschinelle Hilfsmittel riesige alte Containerschiffe zerlegten, um Material für neue Schiffe zu bekommen. Andererseits sieht man viele Leute, die kaum was zu essen haben, keine Schuhe oder vernünftige Kleidung, aber dafür ein Handy besitzen.
In der Film-Dokumentation zu DESH sieht man, wie Sie und Ihr Team mit ihren Smartphones in Bangladesch tagaus, tagein Leute gefilmt, Fotos gemacht und Geräusche aufgenommen haben. Wie haben die Leute darauf reagiert?
Sie waren sehr geduldig und bescheiden, egal wie nah wir Ihnen unsere Handys vors Gesicht gehalten haben. Wir wollten einfach alles irgendwie festhalten, was uns fasziniert hat und Inspiration für das Stück sein konnte. Gleichzeitig haben wir uns wie die ärgsten Touristen gefühlt und ein schlechtes Gewissen dabei gehabt, was dann in einer Begegnung mit einem Jungen endgültig gekippt ist.
Was ist passiert?
Der Junge, er war vielleicht 10 oder 11, hat mich direkt durch mein iPhone forsch angeschaut. Und sein selbstbewusster Blick hat mich völlig aus dem Konzept gebracht. Es schien als wüsste er genau, wer er ist, und plötzlich dachte ich, ich weiß eigentlich überhaupt nicht, wer ich bin. Da hab ich das Telefon ausgeschaltet und mich entschuldigt. Er hingegen fing zu lächeln an, holte sein eigenes Telefon aus der zerschlissenen Hose und fing an, mich zu filmen. Das war ein grandioser wie unerwarteter Moment.
Erfüllt Technologie eine andere Bedeutung in Ländern wie Bangladesch?
Die Leute dort verwenden sie, aber sie sind nicht abhängig. Wir hingegen sind ohne Technologie völlig verloren, können ja nicht einmal mehr ohne unsere Telefone leben.
Die Produktion von DESH ist ebenfalls von hohem technischen Aufwand geprägt. Trotz Projektionen, mit denen Sie auf der Bühne interagieren, und einem absenkbaren Deckengerüst, von dem Sie gegen Ende des Stückes baumeln, wirkt das Stück eher poetisch als kühl technokratisch. Wie erreicht man diesen Effekt?
Technologie per se ist kalt und steril, wie viele Gegenstände. Nur durch unsere Interaktion kann man sie zum Leben erwecken oder mit Poesie erfüllen. Die Maschine auf der Bühne etwa ist ein grotesker Ventilator, der in einem Lager vergessen wurde. Mein Produktionsteam hatte zunächst kein Verständnis für das seltsame Ding. Ich sagte ihnen dann: „Das ist Sandy, meine Freundin, und ihr dürft sie nicht anfassen.“ Ich hab auf den Proben auf sie aufgepasst, sie wie eine Person behandelt. Wenn man keine Beziehung aufbaut, bleibt es einfach ein Stück leblose Technologie. Und das Publikum merkt das.
Helfen Ihnen die Projektionen, die Sie auf der Bühne mit virtuellen Lebewesen und Gegenständen interagieren lassen, sich in das Stück hineinzuversetzen oder ist das in erster Linie nur für das Publikum ein schöner Effekt?
Es hilft mir, da es ein wichtiger Teil der Erzählstruktur ist und ich mit den Animationen kommuniziere. Ich muss in dieser traumartigen Sequenz fühlen, dass ich den Baum hinaufkraxle, dass der Elefant unmittelbar vor mir steht und ich vor lauter Hunger den Bienenstock plündere. Wenn es nur ein Showeffekt wäre und als solcher wahrgenommen würde, wäre das Ziel verfehlt.
Wie viel Platz bleibt für Improvisation in so einem Stück?
Ich würde sagen, ein Fünftel des Stückes ist improvisiert. Da ich alleine auf der Bühne stehe, kann ich bis zu einem gewissen Grad entscheiden, wie ich auf manchen dieser unsichtbaren oder virtuellen Charaktere reagiere. Gerade die Animationssequenz muss vom Bewegungsablauf aber genau sein, was aber auch gut ist, weil man zur Präzision und zum unmittelbaren Agieren im Moment gezwungen wird und nicht vorausschauend einfach sein Programm abspult.
Was ist der Unterschied zwischen einem Solo-Programm wie DESH und dem ebenfalls bei ImPulsTanz zu sehenden Ensemble-Stück iTMOi, wo Sie als Choreograph gar nicht auf der Bühne sind?
Wenn man als Solist auf der Bühne steht, hat man die komplette Kontrolle. Die Kunst besteht darin, die Kontrolle zu verlieren und sich auf den Fluss der Dinge einzulassen. Wenn ich nicht Teil des Stücks bin, habe ich überhaupt keine Kontrolle, da ich den Ensemblemitgliedern komplett vertrauen muss. Ich versuche das abzufedern, indem ich den Stücken mehr Struktur gebe als früher. Damit ist weniger Platz für Improvisation, die Tänzer müssen ihre Freiheiten vielmehr innerhalb der vorgegebenen Rahmen finden.
War es schwierig, sich als Tänzer von einem Stück herauszunehmen und sich auf das Choreografieren zu konzentrieren?
Teil eines Ensemble-Stücks zu sein, war nicht immer zu meinem Vorteil oder zum Vorteil des Stückes. Der eigene Körper ist ja mit dem eigenen Ego verknüpft und in meinem Fall hat das den anderen Tänzer viel Raum weggenommen, einfach weil ich in erster Linie mich im Stück gesehen habe. iTMOi ist die erste Produktion, bei der ich das Gefühl habe, dass ich als Künstler angekommen bin und meine Vision umsetzen konnte, ohne dass ich mittanze. Aber das war natürlich ein schwieriger Prozess.
Tanz erfordert physische Höchstleistungen, die wie bei einem Spitzensportler ein körperlich bedingtes, natürliches Ablaufdatum besitzen. Haben Sie Angst davor, dass der Körper eines Tages nicht mehr mitspielen wird?
Der Gedanke daran kann furchteinflößend sein, aber die Schwerpunkte verschieben sich einfach auf Bereiche, in denen die Energie anders zum Ausdruck kommt. Sich irgendwann nicht mehr so bewegen zu können, wie man es gewohnt war, wird für mich sicher frustrierend sein. Anderseits versuche ich schon jetzt bewusst, mich langsam von der Bühne zurückzuziehen, allein schon aus dem Grund, dass ich nicht das ganze Jahr auf Tour sein möchte und sonst viele andere kreative Projekte liegenlassen muss.
Vor etwa eineinhalb Jahren haben Sie sich im Training die Achillessehne gerissen. In einem Interview meinten Sie damals, der einzige Trost sei, dass dieses Ereignis zu irgendetwas führen würde. Hat es?
Jedes Hindernis, jede Sackgasse hat eine Bedeutung. Wie auch sonst im Leben kommt man an einen Punkt, wo man nach rechts oder links gehen kann. Man geht aber immer nach vorne, da ja die Zeit nicht innehält. Ich habe damals nicht auf meinen Körper gehört und dann ist die Verletzung passiert. Heute nehme ich viel mehr Rücksicht auf meinen Körper, spreche und verhandle mit ihm, was ich machen kann und soll und was nicht.
Wie schwierig war die Zeit der Regeneration?
Es war ziemlich traumatisch, deprimierend und frustrierend zugleich. Von den sechs Monaten Pause lag ich ja drei Monate im Bett. Schon nach wenigen Tagen ohne Bewegung fangen die Muskeln an sich aufzulösen. Man muss komplett von vorne anfangen. Ich musste lernen, auf zwei Füßen zu gehen, zu rennen, zu springen und dann wieder zu tanzen. Das war ein demütigender Prozess, zumal man als Tänzer eher mehr kann, als einfach nur spazieren zu gehen. Aber es macht einen auch bescheidener.
Was war anstrengender? Das physische Aufbautraining oder die mentale Stärke wiederzuerlangen?
Ich hatte hervorragende Physiotherapeuten, das war nicht das Problem. Das Vertrauen zu gewinnen, überhaupt wieder auf meinen rechten Fuß zu treten, war aber umso schwieriger. Auch für die Wiederaufnahme von DESH haben wir einige Bewegungen abgeändert. Nicht weil ich es physisch nicht könnte, sondern, weil ich mental einfach nicht mehr bereit bin gewisse Risiken einzugehen.
Sie sind wiederholt in Wien bei Impulstanz oder auch in St. Pölten im Festspielhaus aufgetreten. Welche Erinnerungen verbinden Sie mit Österreich?
ImpulsTanz ist ein unglaubliches Festival – es ist quasi das Mekka für Tanz. Es hat eine Energie, die man sonst nirgends auf der Welt findet, da nicht nur das Publikum hervorragend ist, sondern Wien für diesen Zeitraum eine riesige Zahl an Tänzern für Workshops und Kollaborationen anzieht. Tagsüber ist man im Studio und abends sieht man sich die Aufführungen an. Ich habe eigentlich nur gute Erinnerungen, auch wenn sich Wien und Österreich schon verändert hat in den Jahren.
Inwiefern?
Es sind gefährliche Zeiten für die Kunst. Wie im Rest von Europa wird es auch hierzulande – so mein Eindruck - zunehmend schwieriger, entsprechende Mittel aufzutreiben. Wenn wie in Holland 60 Prozent der Kunstförderung gestrichen wird, und renommierte Tanzensembles, die über 20 Jahre aufgebaut wurden, aufgrund eines Regierungswechsels über Nacht zusperren müssen, ist das sehr beängstigend. Denn was man nie vergessen sollte: Kunst eröffnet uns einen Weg um zu träumen, um Hoffnung zu schöpfen und unseren profanen Alltag hinter uns zu lassen.
Akram Khans Ensemble-Stück iTMOi ist noch am Montag, 22.07. und Dienstag 23.07. im Rahmen von ImPulsTanz zu sehen.