"Apps im Auto sind genauso wichtig wie PS"
Dass sich sowohl Auto- als auch IT-Messen mit dem Thema „Apps" beschäftigen zeigt, dass zwei Branchen näher zusammenrücken. Während IT-Hersteller seit Jahren in Autos drängen, zeigen sich nun auch die KFZ-Marken interessiert und willens, den Trend aufzugreifen. „Für junge Konsumenten sind die Funktionen des InCar-Systems für den Kauf mitunter entscheidender als technische Details. Internet und Apps im Auto sind jetzt genauso wichtig wie PS", sagt Tim Nixon von GM zur futurezone. Laut dem Chef der Infotainment-Sparte bei General Motors müsse sich das Auto dem geänderten Alltag anpassen und vernetzter werden. Man verbringt viel Zeit im Auto und will diese produktiv mit eMail und Internet-Diensten nutzen.
Nur Sinnvolles gewünscht
Dass jene Funktionen, die man vom Smartphone kennt und dort zu schätzen weiß, im Auto verfügbar sein müssen, ist Auto-Produzenten mittlerweile klar. „70 Prozent der Kunden - und zwar in jeder Alterschicht - wollen Konnektivität und Apps. Allerdings nur solange es hilfreich ist und einem besseren Fahrerlebnis dient", sagt Nixon. Laut Untersuchung von GM, das in den USA bei Cadillac, Buick oder Chevy bereits Apps anbietet, haben Lenker vor allem Interesse an praktischen Diensten, die eine Fahrt bequemer und sicherer machen. Informationen zu Stauumfahrung, Benzinpreisvergleich, Restaurant-und Parkplatz-Suche oder Wetterdaten werden gefragt. GMs OnStar-App, mit dem man ein Auto aus der Ferne starten oder heizen kann, wird etwa von 250.000 Lenker genützt. Auch Musik-Streaming, das herkömmliches Radio ergänzt oder ersetzt, ist sehr beliebt. In den USA ist Nixon zufolge etwa der Musik-Dienst Pandora bei jedem Hersteller die Top-App. Spiele oder ähnliche Kurzweiliges sind hingegen irrelevant. „Es wird keine 100.000 Apps geben, vielleicht mehrere Dutzend, eben solche die Sinn machen und dem Fahrer helfen", sagt Nixon
Sicherheit vorrangig
„Fahrer erwarten sich nicht die gleichen Funktionen und einen ähnlich großen App-Umfang wie am Smartphone. Die Nutzung ist zielgerichteter, weniger verspielt", sagt auch Mitchell Zarders von Kia. Zudem müsse die Bedienung klarer und schlichter sein. „Das Interface Design muss auch bei 100km/h funktionieren", so Zarders. Laut Alan Hall von Ford, das mit dem Sync-System in vier Millionen Autos in den USA Vorreiter ist, hatte man deswegen anfangs viele Beschwerden. Kunden kritisierten, dass die Software zu kompliziert und träge sei. Da dies die Konzentration stört, habe Ford schnell nachgebessert.
Überhaupt spielt der Sicherheitsaspekt eine zentrale Rolle. Alle Hersteller setzen auf Kuratoren und eine Endabnahme von Apps, bevor sie es in das InCar-System schaffen. „Wenn wir Apps so wie am Smartphone anbieten würden, wäre das binnen weniger Jahre verboten, weil es zu gefährlich ist", sagt Zarders. Viele Marken setzen auf Sperren des Touch-Displays während der Fahrt, Vorlese-Funktionen bei eMail oder Online-Netzwerken soll die Ablenkung reduzieren.
Keine einheitliche Plattform und fehlende Standards
Welche App-Services gefragt sind und worauf dabei zu achten ist, haben Auto-Hersteller erkannt. Mit welchen Werkzeugen und Methoden die Anwendungen umgesetzt werden, ist hingegen offen. Im Gegensatz zum Smartphone-Bereich, bei dem drei Systeme dominieren, plagt die Automobil-Branche Heterogenität. Jeder Konzern setzt auf andere Plattformen, die miteinander nicht kompatibel sind. Selbst innerhalb eines Konzerns kommt es vor, dass hauseigene Marken mit jeweils verschiedenen Lösungen ausgestattet werden.
Eigene Abteilungen für App-Entwicklung
Um sich in Zukunft einen möglichen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen, haben viele Unternehmen längst Außenstellen im Silicon Valley eröffnet. BMW, das mit Connected Drive weltweit als erster Internet und Auto sinnvoll verband, arbeitet seit den 1990ern im Herzen der Software-Industrie. Neben einem Büro in Palo Alto wird auch in München und Shanghai an Apps programmiert. Daimler beschäftigt rund 25 Entwickler, mehr als die Hälfte davon im Silicon Valley. Ford hat vergangenes Jahr ein Start-Up gegründet, das als Bindeglied zu Programmierern dienen soll. Bug Labs, so der Namen, entwickelt die App-Plattform OpenXC, die es Dritten erleichtert, Apps für Ford anzupassen. So soll der Portierungsprozess verkürzt und die Investitionen für Entwickler gesenkt werden. Über 3000 Entwickler hätten sich Ford zufolge schon für die Plattform registriert.
Auch IT-Konzerne mischen mittlerweile in diesem Segment mit: Intel, das seit 2005 mit BMW und seit 2006 mit Harman kooperiert, will mit dem „Capital Connected Car Fund" Entwicklungen von Soft- und Hardware innerhalb der nächsten fünf Jahre mit 100 Millionen US-Dollar fördern. Mit dem Engagement will man ARM-Lösungen bei InCar-Entertainment und digitalen Dashbords Paroli bieten.
Chaos bei den Entertainment-Systemen
Alle diese Initiativen unterstreichen, dass jeder Konzern derzeit noch sein eigens App- und Entertainment-Süppchen kocht. Bestehenden Plattformen wie iOS oder Android stehen Autohersteller momentan eher skeptisch gegenüber. Da gerade im Auto der Sicherheitsaspekt an erster Stelle steht, wollen die Hersteller volle Kontrolle über die Plattformen. Audi, Porsche, Chrysler, Honda, Hyundai setzen auf das geschlossene System von QNX. GM verwendet Hardware von Panasonic oder LG und entwickelt die Software auf Linux-Basis selbst. Bei Cadillac heißt das System CUE, bei Buick und GMC IntelliLink, bei Chevy MyLink. Kia („UVO"), Ford („Sync") und Fiat („Blue&Me") wiederum kooperieren mit Microsoft (Embedded Automotive). Continental bietet in Zusammenarbeit mit der deutschen Telekom AutoLinQ an, das auf Android basiert. Harman International betreibt eine eigene Plattform namens „aha", die bei Honda und Subaru ab 2013 integriert werden soll. Hyundai arbeitet alleine an Blue Link, einer Entertainment- und Telematik-Lösung.
BMW propagiert seit 2009 schließlich die Open-Plattform-Initiative „Genivi Alliance", die auf Basis von Linux als Referenz und offene Plattform für Infotainment-Systeme etabliert werden soll. Deren Bestreben ist, die unterschiedlichen Systeme und Ansatze aller Hersteller zu vereinheitlichen und einen gemeinsamen Standard in Sachen InCar-Entertainment zu schaffen. Der Organisation sind mittlerweile über 150 Firmen aus dem Automobil- und IT-Bereich beigetreten, darunter etwa BMW, Nissian, GM, Renault, Peugeot, Continental, Intel oder Nvidia. Vorweisbahre Erfolge beim Vereinheitlichungsprozess sind bis dato jedoch nicht erzielt worden.
Klonen von Smartphones als möglicher Weg
Eine weitere Initiative, die ebenfalls von einigen Autohersteller unterstützt wird, geht einen anderen Weg. Anstatt eigener Plattformen und Systeme sieht „MirrorLink" das Klonen des Handy-Displays auf den InCar-Monitor vor. Im September 2011 wurde der offene Industriestandard vom Car Connecivity Consortium, dem unter anderem Samsung, Nokia, LG, Volkswagen, Toyota und GM (aber nicht Apple) angehören, ins Leben gerufen. Er soll einerseits Apps vom Smartphone ins Auto holen, andererseits es ermöglichen, dass man etwa mit den Lenkrad-Tasten Programme am Handy bedienen kann.
Die Lösung stößt vor allem deshalb auf großes Interesse, weil Hersteller so Investitionen bei der App-Entwicklung sparen, es sich kostengünstig in Einsteiger-Modelle einbauen lässt und die Firmen nicht Gefahr laufen, nach wenigen Jahren veraltete InCar-Lösungen anzubieten. Ein weiterer Vorteil ist, dass der Datenfunk des Handys benutzt werden kann und der Einbau eines separaten Modems entfällt. Jaguar Land Rover entwickelt parallel übrigens einen ähnlichen Standard. Gemeinsam mit BlackBerry, Denso und RealVNC soll Connect & View das Handy-Display in die Mittelkonsole holen.
Uneins beim Interface und der Bedienung
Eine rasche Verbreitung solcher Klon-Lösungen wird jedoch durch das Chaos bei den Bedienkonzepten verhindert. Denn auch beim Interface verfolgen die Autohersteller unterschiedliche Philosophien und sind weit von Standardisierung entfernt. Mercedes will zwar ab 2013 MirrorLink in seine Modelle integrieren, hält aber am Dreh-& Drückrad zur Steuerung des InCar-Systems fest. Obwohl erst kürzlich die Unterstützung des iPhone („Drive Kit Plus") bekannt gegeben wurde, kann das Handy und dessen Apps nur über den Controller in der Mittelarmlehne bedient werden. Bei einer Demo, die die futurezone auf der CES in Las Vegas ausprobierte, erwies sich diese Methode als umständlich. Um den Versand von Twitter- oder Facebook-Nachrichten zu erleichtern, hat Mercedes vorgefertigte Textbausteine integriert („Bin X Minuten zu spät"). Auch BMWs Connected App, über die man Zugriff auf Twitter, Facebook und Webradios bekommt, kann nur mit Drehrad gesteuert werden.
Drehen und Drücken statt Berühren
Besonders bizarr ist der Anachronismus im neuen Lamborghini Aventador, der einem modernen Kampfjet nachempfunden ist. Obwohl dessen Instrumententafel komplett digital animiert ist und von einem Nvidia Tegra-Chip angetrieben wird, kann das Entertainment-System nur via Drehknopf bedient werden. Auch Audi verzichtet aktuell auf Touchscreen, im A8 gibt es aber zumindest ein Mini-Touchpad bei der Mittelkonsole, das Handschrift-Erkennung beherrscht. Bislang sind es vor allem die US-Hersteller wie Ford oder GM, die bereits Touchscreens verbauen. Bei Cadillac kommt etwa ein hochauflösendes 8-Zoll-Touch-Display zum Einsatz. Beim Tesla Modell S wird die komplette Mittelkonsole zur Gänze durch einen 17 Zoll Touchscreen ersetzt.
Ein Tablet in der Mittelkonsole
Eine Lösung für das Wirrwarr haben VW und Kia unabhängig von einander bei Konzeptstudien demonstriert. Beim neuen VW Bulli gibt es einfach eine Aussparung für Apples iPad. Kia zeigte auf der CES einen Entwurf, bei dem ein Android-Tablet hinter einer Abdeckung steckt. „Ist die Hardware veraltet, tauscht man einfach das Tablet aus", so Zarders von Kia. So könne der Kunde das Tablet seiner Wahl einsetzen und müsse kein Geld für teure Sonderausstattung ausgeben. Er nimmt einfach das Gerät von zu Hause mit. Durch dieses Konzept umgehe man auch das Problem des mehrmaligen App-Einkaufs für unterschiedliche Plattformen.
Apps im Auto gehört die Zukunft
Trotz fehlender Standards bei Software und Bedienung sieht Tim Nixon von GM der Zukunft zuversichtlich entgegen. „Autos, die heute auf den Markt kommen, waren 2007, als das erste iPhone auf den Markt kam, in der Planungsphase", sagt Nixon. Die fehlenden Standards bei Software und Bedienung sind daher ein Problem der langen Produktzyklen in der Auto-Branche. „In den kommenden Jahren kommen nun jene technischen Evolutionen, die sich seitdem am Markt etabliert haben, auch ins Auto", so Nixon. Laut dem GM-Manager gebe es an Apps und vernetzten InCar-Entertainment-Systemen keinen Weg vorbei. „Ein Auto hat man fünf Jahre und mehr im Einsatz. Kunden erwarten, dass das Entertainment-System in dieser Zeit aktuell bleibt." In der schnelllebigen IT-Welt sei dies eine Herausforderung, die man nur mit offenen Plattformen lösen kann. „Die Entwicklung bei Handys ist mittlerweile so schnell, dass wir kaum nachkommen. Daher müssen wir im Auto auf Lösungen setzen, die sich zügig und leicht adaptieren lassen."