"Filmemacher müssen Kontrolle zurückerhalten"
futurezone: Wie kommt die neue Spendenfunktion an?
Dae Mellencamp: Die Funktion ist nicht automatisch aufgedreht. Filmemacher müssen sich aktiv dafür entscheiden. Bis dato ist es noch bei sehr wenigen Videos im Einsatz. Daher können wir jetzt keine großen Trends ableiten. Aber es hat uns selbst überrascht. Wir haben eigentlich mit geringen Cent-Beträgen gerechnet, aber Seher spenden im Durchschnitt deutlich mehr, als wir vermutet haben. Acht bis neun Cent sind üblich. Wenn etwas gefällt, sind die Zuseher gewillt, mehr zu spenden.
Die Option erinnert ein wenig an Flattr vom Piratebays Peter Sunde. Hier kann man für Texte und Artikel ja auch Spenden einsammeln. Das hat sich seit der Gründung 2010 aber nicht so recht durchgesetzt.
Wir sind hier erst am Anfang. Das Konzept von Micropayments im Netz ist noch neu und Leute sind gewohnt, Inhalte kostenlos zu konsumieren. Wir drängen es den Nutzern auch nicht auf, sondern gehen sehr diskret damit um. Uns ist wichtig, dass qualitativ hochwertige Beiträge die Möglichkeit bekommen, entlohnt zu werden. Wir wollen sicher nicht, dass die Funktion jetzt bei jedem Video steht. Uns ist nur wichtig, dass gute Arbeit gewürdigt wird. Wir wollen jene Plattform sein, die Kreative unterstützt. Generell kommt das im Internet noch zu kurz.
Warum soll ein Künstler ein Video auf Vimeo stellen, wo er deutlich weniger Leute erreicht und mit Tip Jar weniger einnimmt, wenn er stattdessen zu YouTube gehen kann? Dort hat er ein Milliarden-Publikum und kann durch Werbeschaltungen Millionen verdienen. Das Gangnam-Style-Video hat so 8 Millionen US-Dollar verdient.
Dieses Video ist aber eines aus 5 Milliarden, das dies erreicht hat. Das darf man nicht als Standard sehen. Es gibt nur wenige Leute, die davon tatsächlich leben können. Tip Jar ist etwas ganz anderes. Wir wollen Qualität belohnen, bei YouTube geht es nur um Quantität. Je mehr geklickt wird, desto mehr Geld gibt es. Ob ein Indie-Filmemacher sein Video auf YouTube oder Vimeo stellt, wird in punkto Einnahmen keinen Unterschied machen. Er wird weder von YouTube-Werbung noch von Vimeo-Tips davon leben können. Was er bei Vimeo jedoch hat, ist ein Umfeld, das Qualität fördert.
Es ist zwar nobel, den Qualitätsaspekt hervorzustreichen. Aber ist es nicht naiv zu glauben, dass man damit wirklich punkten kann?
Ich glaube sehr stark, dass sich Qualität auszahlt und wichtig ist. Es gibt viele Leute, die sich nach Qualität sehnen, weil sie den Trash nicht mehr sehen können, davon überflutet werden. Durch den einfacheren Zugang zu Technik und Software ist zudem die Qualität insgesamt gestiegen. Es gibt nun deutlich mehr Leute, die gute Arbeiten abliefern.
Wie wollen Sie diese Leute zu sich locken. Was machen sie anders?
Der Macher soll soviel Kontrolle erhalten, wie möglich. Deshalb gibt es auch keine Werbung in den Videos, wie bei YouTube. Das Video und Werk stehen im Vordergrund. Zudem ist unser Publikum ein anderes. Es ist anspruchsvoller und kommt meist aus der Branche. Viele Leute nutzen Vimeo auch als Visitenkarten, um in der Industrie einen Job zu bekommen. Sie machen also langfristig über diesen Weg mehr Geld und sammeln nachhaltigere Erfahrung, als durch einen möglichen viralen Hit auf YouTube. Bei YouTube hängt viel vom Glück ab, bei Vimeo zählt vor allem Talent und Können.
Und das wird von den Sehern honoriert?
Man hat nur mehr wenig Zeit im Alltag. Auf einer Seite wie Vimeo haben sie die Garantie, dass die Werke kuratiert und hochwertig sind. Das ist ein Service, das sie immer wieder kommen lässt. Es ist eine Orientierungshilfe. Und Leute sind dankbar, dass sie aus all dem Schrott, Interessantes und Gutes herausgefiltert bekommen. Online-Video ist sicherlich nicht ein Hund am Skateboard. Am Ende gewinnt immer Qualität.
Gibt es dafür handfeste Zahlen, schlägt sich das auch in der Praxis nieder?
Wir fühlen uns bestätigt. Wir wachsen beständig und halten aktuell bei monatlich 90 Millionen Zusehern. Auch die Zahl unsere Premium-Nutzer, die für das Video-Hosting zahlen, steigt weiter. Das ist für uns Beweis, dass Qualität gefragt ist.
Wenn man aus ihrem Bürofenster schaut, sieht man ein riesiges Plakat der Bezahl-TV-Serie House of Cards von Netflix. Ist das ein Bereich, in den sie auch vorstoßen wollen? Amazon und Microsoft etwa wollen ja auch hochwertige TV-Serien selbst produzieren und ausstrahlen.
House of Cards ist zwar toll, aber es hat extrem viel gekostet, mehrere Millionen. Dass es ein Erfolg war, hat auch mit Glück zu tun. Wir werden aber nicht 100 Millionen für eine TV-Serie ausgeben. Wir haben so viele gute und spannende Beiträge von talentierten Filmemachern, die kaum etwas gekostet haben und die wir vor den Vorhang holen wollen. Wir veranstalten daher lieber Filmfestivals, da diese Werke es verdienen, gesehen zu werden.
Sie experimentieren derzeit auch mit Pay-per-View-Angeboten. Wie ist die Zwischenbilanz?
Hier sind wir erst am Anfang. Die Technik dahinter ist ganz neu, zudem sind die Seiten auch anders aufgebaut. Wir müssen hier noch viel kommunizieren und erklären, dass es die Funktion gibt und was sie kann. Bis dato führen wir die Funktion nur mit Demo-Videos vor. Es geht hier vor allem um den Selbst-Vertrieb. Wir wollen den Kreativen alle Möglichkeiten einräumen, ihre Werke selbst zu vertreiben und zu vermarkten. Sie sollen die Kontrolle haben, was mit ihren Videos passiert. Sie sind ja der Urheber und sollen bestimmen dürfen, wo zu welchem Preis ihr Film auf Vimeo zu sehen ist. Uns ist es extrem wichtig, dass Filmemacher die Kontrolle zurückbekommen.
Spüren sie hier Widerstand von den großen Studios?
Da wir keinen Inhalte von ihnen verbreiten und ganz ohne deren Werke gewachsen sind, nein. Zudem unterscheiden sich unsere Inhalte doch stark von ihren. Ich denke, die Filmemacher sind froh, dass sie eine Alternative haben und die großen Vertriebe und Studios umgehen können.
Vimeo war die erste Plattform, die HD-Videos angeboten hat. Nun spricht jeder von 4K und UltraHD. Forschen Sie in diese Richtung? Die Distribution dieser riesigen Dateien wirft ja viele Probleme auf.
Natürlich experimentieren wir damit. Aber aktuell ist das nicht relevant. Man kann zwar in 4K oder 8K aufnehmen, aber man bekommt es nicht in das Wohnzimmer der Zuseher. Die Datenmengen sind schlicht zu groß, das Seherlebnis leidet darunter. Bis sich das durchsetzt, werden noch viele Jahre vergehen. Ganz zu schweigen von der Übertragung auf Handy-Displays. 4K ist daher momentan nur für Kinos interessant. Für zu Hause reicht 1080p vollkommen aus, das bietet extrem gute Qualität, die man sogar noch verbessern kann.
Sie haben kürzlich die Firma Echograf gekauft, die sich auf Smartphones spezialisiert hat. Wie wichtig ist für Mobile ihr Portal?
Hier geht es darum, das Filmen, Bearbeiten und Teilen so einfach wie möglich zu machen. Echograf richtet sich an Leute, die bis dato nicht so viel Videoerfahrung gemacht haben. Es soll die Angst nehmen, Filme zu machen. Wir bieten nun das Werkzeug, mit einfachen Mitteln gute und lustige Ergebnisse zu schaffen. Allerdings darf man nicht alles in eine App packen, das überfordert. Wir versuchen stattdessen, die Funktionen auf verschiedenen Apps aufzuteilen. So kann man auch besser unterschiedliche Nutzergruppen adressieren. Der kleine Bildschirm verlangt nach fokussierten Anwendungen. Beim Konsum gilt weiterhin: Auf Smartphones werden nur kurze Clips gesehen. Auf Tablets werden auch längere Videos geschaut.
Füchten Sie da nicht die übermächtige Konkurrenz der großen Netzwerke wie Facebook oder Twitter, die ja sich zuletzt ja auch im Videobereich engagiert haben?
Uns gibt es seit acht Jahren und es gab immer irgendeine Konkurrenz. Wir sind aber immer gewachsen. Im Gegensatz zu den anderen Unternehmen bleiben wir aber auf ein Gebiet spezialisiert. Wir wollen eine Sache wirklich gut machen. Ich denke, das ist unsere Stärke, unser Erfolgsrezept. Ich traue mich zu sagen, dass wir in Sachen Video außergewöhnlich gut sind. Wir bieten hochwertige Inhalte von kreativen, talentierten Leuten. Das kann uns so schnell niemand wegnehmen. Wir werden daher auch weiterhin Leute unterstützen und fördern, die leidenschaftlich gute Videos machen. Das ist und bleibt unsere Mission.
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Über Vimeo:
Vimeo wurde im November 2004 – drei Monate vor YouTube – von Jake Lodwick und Zach Klein gegründet. Die beiden verließen 2007 und 2008 das Unternehmen, nachdem es an 2006 an die US-Mediengruppe IAC verkauft wurde.
2009 wurde Dae Mellencamp Chefin der Plattform, eine Position die sie im März 2012 an Kerry Trainor abgab. Seitdem ist sie Präsidentin von Vimeo. Mellencamp ist seit 1997 in der Internet-Branche. Vor Vimeo arbeitet sie für About.com, Cablevision Systems, iWon.com. Sie studierte internationale Wirtschaft an der Brown University und hat einen MBA von der Columbia Business School.