Russlands neues Stealth Atom-U-Boot lässt Experten rätseln
Auf der russischen Rüstungsmesse Army 2022 wurde ein neues U-Boot gezeigt: die Arktur. Sie teilt den Namen mit dem gleichnamigen Stern – Arktur ist der hellste Stern am Nordhimmel.
Arktur wurde als Nachfolgerin der russischen Borei-Klasse vorgestellt. Genau wie diese ist auch die Arktur ein Atom-U-Boot, das ballistische Raketen mit Nuklearsprengköpfen abfeuern kann. Und obwohl es vom Kriegsmarine-Designbüro Rubin als Raketen-U-Boot angekündigt wurde, gibt es einige Elemente, die laut Expert*innen für andere Funktionen sprechen. Zudem deutet das futuristische Design auf ein weiterentwickeltes Antriebskonzept hin.
Stromlinienförmig und kantig gleichzeitig
Auf den ersten Blick ist der Rumpf sehr abgerundet. Sieht man sich das auf der Messe ausgestellte Modell und die von Rubin veröffentlichten Bilder genauer an, erkennt man eine Kante im Bug. Diese soll dabei helfen, die Sonar-Signatur zu verbergen – die Arktur ist also schwerer aufzuspüren.
Auch das deutsche U-Boot 212CD und die britische Dreadnought-Klasse setzen auf einen ähnlichen Rumpf. Der fließend im Design integrierte Turm und das ungewöhnliche Heck lassen die Arktur aber bei weitem moderner wirken.
Laut dem Marinerüstungs-Experten H I Sutton wird die Arktur zudem weitere Maßnahmen haben, um einer Entdeckung per Sonar zu entgehen. So verwendet Russland bei seinen U-Booten eine spezielle Beschichtung, die das Nachaußendringen von Geräuschen unterdrückt. Zudem stehen Maschinen auf einer Art Floß, was Vibrationen und Lärm reduziert.
Neuer Antrieb
Besonders interessant ist der Antrieb. Wie das Vorgängermodell Borei nutzt die Arktur ebenfalls einen Pump-Jet-Antrieb. Ein Pump-Jet-Antrieb ist leiser an ein üblicher U-Boot-Antrieb mit außenliegendem Rotor.
Bei der Arktur hat er 4 Einlässe für Wasser – jeweils 2 oben und 2 unten. Die Einlässe sind so im Rumpf integriert, dass die Signatur reduziert wird. Der Rüstungsexperte Joseph Dempsey spekuliert damit, dass der Antrieb direkt elektrisch erfolgt – also etwa durch Akkus, die zuvor durch den Atomreaktor an Bord aufgeladen wurden.
Das wäre neu und würde die Arktur nochmals leiser machen. Denn die Dampfturbine, die den durch den Atomreaktor erzeugten Dampf in Strom umwandelt, muss zumindest solange nicht laufen, bis die Energie der Akkus erschöpft ist.
Auffällig sind auch die Ruder am Heck, hinter den Einlasslöchern des Pump-Jet-Antriebs. Diese sind nach innen gebogen. Das deutet darauf hin, dass die Arktur, in Verbindung mit dem neuen Antrieb, wendiger sein könnte, als andere U-Boote dieser Größe.
Fokus auf Drohnen
Die Arktur ist etwas kleiner als die Borei, was aber nicht ungewöhnlich ist. Sie ist 134 Meter lang, 15,7 Meter breit und hat eine Besatzung von 100 Personen. Statt 16 Startbehälter für Marschflugkörper hat sie nur 12. Das ist ein derzeit üblicher Trend, da Sprengköpfe stärker und effektiver geworden sind, bzw. Mehrfach-Wiedereintrittskörper (MIRV) ohnehin mehrere Ziele gleichzeitig treffen können.
Im Modell auf der Messe ist in einem Startbehälter keine Rakete, sondern ein ausfahrbares System zum Starten und Auffangen von mittelgroßen Unterwasser-Drohnen zu sehen. Noch auffälliger als das sind die 3 im U-Boot integrierten Hangars für die großen Unterwasserdrohnen des Typs Surrogat-V.
Bisherige Modelle der Surrogat-Reihe waren als Trainingsziele oder Köder gedacht, weil sie die Signatur eines U-Boots simulieren können. Die Surrogat-V scheint aber für den Kampf gegen U-Boote gemacht zu sein. Aufgrund des gezeigten Modells dürfte sie ein sehr großes Sonar haben und einen Pump-Jet-Antrieb, um sich schnell Unterwasser fortzubewegen. Sie hat zudem SOKS – ein nicht sonarbasiertes System zum Aufspüren von U-Booten. Dieses „riecht“ Chemikalien und Strahlung im Wasser, die U-Boote für gewöhnlich hinterlassen.
Was die Surrogat-V macht, wenn sie ein feindliches U-Boot aufgespürt hat, ist nicht bekannt. Sie könnte möglicherweise einen Sprengkörper an Bord haben und zur Kamikaze-Drohne werden – indem Fall wäre sie eine Art „intelligenter Torpedo“. Aufgrund der Größe könnte sie aber tendenziell auch mit einem Mini-Torpedo bestückt werden, den sie dann auf den Antrieb des U-Boots abfeuert, um es lahmzulegen.
Möglicher Einsatz als Jagd-U-Boot
Die hohe Manövrierbarkeit, der Fokus auf Drohnen und die sehr großen Sonarflächen lassen vermuten, dass die Arktur auch eine Rolle als Jagd-U-Boot einnehmen kann. Dazu ist aber eigentlich schon zu groß, weshalb Rüstungsexpert*innen rätseln, was Rubin mit der Arktur bezwecken will.
Während Rubin meint, dass die Arktur ab 2050 die Borei ersetzen soll, vermuten die Expert*innen hinter dem Design einen Pitch an die russische Regierung – es sei also noch lange nicht fix, dass die Arktur tatsächlich gebaut wird. Um dem Kreml das neue U-Boot schmackhaft zu machen, würde es Rubin als Multi-Mission-Submarine anpreisen – also als „eierlegende Wollmilchsau“. Die Tarneigenschaften und Drohnen würden es gut für Spionage und Sabotage machen (zB. gegen Untersee-Internetkabel), es kann dank Surrogat-V und hoher Beweglichkeit als Jagd-U-Boot eingesetzt werden und hat trotzdem 12 Startbehälter, um so ältere Raketen-Atom-U-Boote in der russischen Flotte zu ersetzen.
Sutton sieht trotzdem nur geringe Chancen, dass die Arktur tatsächlich gebaut wird. Russland habe aktuell nicht das Geld dazu. Außerdem ist Russland seit Jahrzehnten in Verzug mit seinen U-Boot-Projekten. Eine weitere, neue U-Boot-Klasse bauen zu wollen, würde diese Situation eher noch verschlechtern als verbessern.