Russlands neuer Drohnenabwehr-Buggy

Russlands neuer Drohnenabwehr-Buggy

© Russisches Verteidigungsministerium

Militärtechnik

Gebastelte Kanone mit 24 Läufen: Russland nutzt jetzt „Mad Max“-Autos

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat etliche „Battlefield Modifications“ hervorgebracht. Dabei nutzen Soldaten die beschränkten Mittel, die ihnen zur Verfügung stehen, um die Ausrüstung an die Gegebenheiten am Schlachtfeld anzupassen.

Die früheste Battlefield Modification in der Ukraine war das Bewaffnen von handelsüblichen Drohnen, um Sprengsätze abzuwerfen, oder damit Kamikaze-Angriffe (FPV-Drohne) zu fliegen. Daraufhin folgten Gegenmaßnahmen, wie Cope Cages und Russlands Schildkrötenpanzer.

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Auch die neuesten Fahrzeuge, die das russische Verteidigungsministerium in einem Video präsentiert, sind ein Resultat der Drohnen-Kriegsführung. Obwohl sie offiziell als Anti-Drohnen-Buggys präsentiert werden, sehen sie stark nach einer Schlachtfeld-Bastelei aus.

Lada Niva

Die Basis des Gefährts dürfte ein Lada Niva sein. Der Allrad-Geländewagen wird schon seit 1977 gebaut. Bei der russischen Armee kommt er etwa in einer Spezialversion als RDA-1 bei den Fallschirmspringern zum Einsatz, als schnelles Aufklärungsfahrzeug.

In der Ukraine haben russische Soldaten zudem leicht modifizierte Zivilversionen des Lada Niva genutzt. Dieser Lada wurde in November mit einer Kamikaze-Drohne zerstört:

Zerstörter russischer Lada

Zerstörter russischer Lada

Die aktuelle Variante zur Drohnenabwehr ist stärker überarbeitet. Statt einem Dach gibt es nur ein verstärktes Gestell, das gleichzeitig als Überrollbügel dient. Die Türen und Scheiben wurden entfernt – an der Front ist ein Gitter, ähnlich wie bei Cope Cages, die verhindern sollen, dass FPV-Drohnen ins Innere des Fahrzeugs fliegen.

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Da es seitlich und hinten aber kein Gitter gibt, hält sich die Schutzwirkung in Grenzen. Und dass der Fahrer im Video keine Schutzbrille aufhat, ist, in Ermangelung einer Windschutzscheibe, nicht besonders smart.

Abgesehen davon wurde der Lada noch rudimentär mit Metallplatten gepanzert. Im Video sieht man, dass die Platten verbeult von der Anpassung an die Karosserie sind. Die Schnitte und Schweißnähte sind grob und ungenau.

Die Zusatzpanerzung am Lada ist keine Präzisionsarbeit

Die Zusatzpanerzung am Lada ist keine Präzisionsarbeit

24 Röhren mit Schrotpatronen

Was das Vehikel richtig kurios macht, ist die Bewaffnung. Diese sieht so improvisiert aus, dass User in den sozialen Medien Vergleiche zu den Mad-Max-Filmen ziehen – besonders zu Mad Max: Fury Road.

An der Front befindet sich ein Geschütz mit 24 Läufen. Sieht man genauer hin, erkennt man, dass es sich dabei um grob zugeschnittene Metallröhren handelt, die nicht mal alle gleich lang sind. Zudem sind einige versetzt, weil sie vermutlich ebenso grob zusammengebunden und -geschweißt wurden, wie der Lada.

Das Schrot-Geschütz

Das Schrot-Geschütz

Schrot wird in Salven abgefeuert

In jeder Röhre befindet sich eine Schrotpatrone, vermutlich im gängigen Kaliber 12 Gauge. Deshalb reichen auch die Röhren aus und es ist kein präziser Gewehrlauf nötig. Die Schrotladung sitzt in der Patrone in einem sogenannten Schrotbecher. Wird die Patrone gezündet, fliegt die Ladung im Becher durch den Lauf. Der Plastikbecher fällt dann zu Boden, die Schrotkörner fliegen weiter.

Im Video sieht man, wie nach dem Abfeuern des Geschützes mehrere kleine Teile zu Boden fallen – das könnten die Schrotbecher sein. Es ist aber auch möglich, dass es sich um Filzpfropfen handelt. Diese erfüllen eine ähnliche Funktion wie Schrotbecher: Sie verhindern, dass der Gasdruck des explodierten Pulvers zwischen den Kügelchen durchschlüpft und so die Leistung reduziert. Diese Filz-Zwischenmittel gelten als veraltet, wobei einige Jäger immer noch darauf schwören.

Laut dem Video werden die Läufe in Salven abgefeuert. Am wahrscheinlichsten ist, dass es je 8 Läufe sind, die gleichzeitig zünden – es sind also 3 Salven möglich, bevor nachgeladen werden muss. Ob das Nachladen direkt im Feld möglich ist, ist fraglich. Der Verschluss an der Rückseite der Läufe sieht starr befestigt aus und könnte verschraubt sein. Man bräuchte also Werkzeug, um ihn zu entfernen, die abgefeuerten Schrotpatronen zu entnehmen und neue einzulegen.

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Zum Nachladen des Schrot-Geschützes muss der Lada womöglich zurück zur Basis flitzen

Zum Nachladen des Schrot-Geschützes muss der Lada womöglich zurück zur Basis flitzen

Über 5.000 Kügelchen in der Luft möglich

Je nach Schrotmunition unterscheidet sich die Anzahl der Kugeln in einer Patrone. Je größer die Kugeln, desto höher die Durchschlagskraft aber desto kleiner die Anzahl. Beim Kaliber 12 sind etwa bei der gängigen Munitionssorte 00 (Buckshot) 8 bis 9 Kugeln mit 8,5mm Durchmesser enthalten.

Beim olympischen Tontaubenschießen darf die Kugelgröße zB. nicht 2,6mm überschreiten und beim sogenannten Vogelschrot oder Vogeldunst haben die Kugeln einen Durchmesser von lediglich 1,5 bis 1,75 mm. Je nach Hülsenlänge kann eine 12-Gauge-Patrone so über 700 Kugeln enthalten.

Eine Salve des selbstgebauten Drohnenabwehr-Geschützes könnte also zwischen 64 und über 5.000 Kugeln gleichzeitig abfeuern. Die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen, mit der Tendenz zur niedrigeren Kugelzahl. Die kleinen, vielen Kugeln haben nämlich nur eine geringe Durchschlagskraft.

Ist die Drohne etwas weiter entfernt, könnten die Kugeln einfach abprallen, falls das Fluggerät etwas robuster gebaut ist. Um das zu verdeutlichen: Handelsübliche Plastik-Schutzbrillen, wie man sie normalerweise beim Sportschießen aufsetzt, können kleinere Schrotkugeln meist ab einer Entfernung von 10 Metern vollständig stoppen.

Das Schrot-Geschütz wird anscheinend elektronisch gesteuert und abgefeuert. Die Steuerung ist im Video nicht zu sehen, dürfte aber vom Beifahrer übernommen werden. Wie damit gezielt wird, ist nicht zu sehen. Vermutlich befindet sich, irgendwo am Geschütz, eine kleine Kamera, die das Livebild zu einem Bildschirm bei der Steuerungseinheit des Beifahrers überträgt.

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AK-12 Sturmgewehr im 6er-Pack

Auf dem Heck des Ladas ist ein zweites Geschütz montiert. Das ist im Grunde eine Vorrichtung, auf der 6 Sturmgewehre montiert sind, die alle gleichzeitig abgefeuert werden. Weil das Geschütz bemannt ist und der Soldat auf einen erhöhten Platz dahinter sitzt, sind die Mad-Max-Vibes sehr stark.

Bei den Gewehren handelt es sich um das Modell AK-12. Diese Art von Geschütz wurde schon früher von Russland auf Buggys zur Drohnenabwehr eingesetzt. Auf Fotos aus dem Sommer 2024 sieht man, dass die Schäfte der AK-12-Sturmgewehre abmontiert wurden. Ein bereits vorhandener Lüftungsschlitz im Handschutz wird genutzt, um die Gewehre vorne bündig auf dem Gestell des Geschützes zu montieren.

AK-12s auf einer Antidrohnen-Lafette

AK-12s auf einer Antidrohnen-Lafette

Höhere Reichweite mit Gewehrkalibern

Die AK-12 soll bei der russischen Armee die AK-74 ablösen, die wiederum die AKM und AK-47 abgelöst hat. Sie nutzt das Kaliber 5,45x39mm – der Durchmesser des Projektils beträgt also 5,45mm.

Während die effektive Reichweite des Schrotgeschützes wohl nur um die 30 Meter beträgt, könnte man mit dem AK-12-Geschütz Drohnen auch auf 300 Meter und darüber hinaus bekämpfen – wenn man trifft. Zum Zielen hat der Soldat nur eine Visierplatte mit Fadenkreuz aus Metall, so wie sie schon bei Flugabwehrgeschützen im Zweiten Weltkrieg üblich waren.

Flugabwehrvisier auf dem AK-12-Geschütz

Flugabwehrvisier auf dem AK-12-Geschütz

Weil alle 6 Gewehre gleichzeitig schießen, erhöht sich die Trefferchance. Bei einer Feuerrate von etwa 700 Schuss pro Minute werden so insgesamt jede Sekunde 70 Schuss abgegeben. Allerdings bedeutet das gleichzeitige Schießen, dass auch alle Gewehre gleichzeitig nachgeladen werden müssen. Im Video haben die AK-12s Magazine mit einer Kapazität von 30 Schuss. Also müssen nach spätestens 2,5 Sekunden Schusszeit die 6 AK-12s neu geladen werden.

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Auch die Soldaten der Ukraine haben mit ähnlichen Konstruktionen experimentiert. Bekannt ist etwa ein Video aus dem Sommer 2023. Darin ist eine Art Flugabwehr-Lafette zu sehen, bei der 6 AK-74-Sturmgewehre sternförmig angeordnet sind und gleichzeitig abgefeuert werden.

Womöglich nicht sehr effektiv, aber billig

Die Effektivität dieser Drohnenabwehr-Buggys ist vermutlich eher gering. Wenn die Drohnen in kurzer Entfernung schweben oder nur sehr langsam fliegen, wird der Abschuss schon klappen. Ist die FPV-Drohne aber schnell unterwegs oder nähert sich von hinten oder weit oben, sieht es schlecht für den Mad-Max-Lada aus.

Die neue Buggys sind deshalb der Kategorie „Hilft’s a bisserl, hilft’s mehr als gar nix“ zuzuordnen. Zumindest ist es eine günstige und schnelle Lösung, im Vergleich zu Hightech-Drohnenabwehrpanzern oder Roboterpanzern, die Russland erst bauen oder gar entwickeln müsste.

Solche nutzen Radar, eine optische Zielerfassung (Bilderkennung mit Kamera) oder eine Kombination daraus. Bei Systemen wie dem Skyranger von Rheinmetall wird noch Airburst-Munition genutzt, die vor dem Ziel in der Luft explodiert. So wird die Reichweite und Präzision eine Gewehrpatrone mit der gewollten Streuung einer Schrotpatrone kombiniert.

Infanteriewaffen gegen Drohnen

Da nicht nur Fahrzeuge im Visier von Kamikaze- und Granaten abwerfenden Drohnen sind, sondern auch Infanteristen, wird hier nach geeigneten Lösungen gesucht. Jammer in der Form von Pistolen und Gewehren, um die Verbindung zwischen Drohne und Fernsteuerung zu stören, haben sich bisher am Schlachtfeld nicht bewährt.

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Die Schrotflinte als günstige Low-Tech-Lösung funktioniert zwar, setzt aber Können voraus. Der Soldat muss gut genug mit einer Schrotflinte umgehen können, um ein fliegendes Ziel zu treffen. Außerdem muss er die Nerven bewahren können: Ist die Kamikaze-Drohne in Reichweite der Schrotflinte, ist sie schon gefährlich nahe.

Eine Mischung aus High- und Low-Tech bietet das Start-up ZeroMark an. Dabei wird ein Sturmgewehr mit einer beweglichen Schulterstütze und einem optischen Zielerfassungssystem ausgestattet. So soll das Gewehr quasi von selbst auf die Drohne zielen – der Schütze muss nur noch abdrücken. Das System wurde heuer von den US Marines getestet.

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Gregor Gruber

Testet am liebsten Videospiele und Hardware, vom Kopfhörer über Smartphones und Kameras bis zum 8K-TV.

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Gregor Gruber

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